Rheinische Post Langenfeld

„Ich bin kein Nazi und war nie einer“

Der vor dem Landgerich­t Münster angeklagte ehemalige SS-Wachmann äußerte sich zu seiner Rolle im KZ Stutthof.

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MÜNSTER (dpa) „Sie nannten mich Bubi. Wohl, weil ich so klein und schmächtig war.“Der ehemalige SS-Wachmann, der sich wegen hundertfac­her Beihilfe zum Mord vor dem Landgerich­t Münster verantwort­en muss, hat am Dienstag erklärt, warum er in dem Konzentrat­ionslager der Nazis bei Danzig seinen Dienst verrichtet hat. Einer der Gründe: Weil er so klein und schmächtig war, habe ihn die Wehrmacht als in Rumänien geborenen Volksdeuts­chen nicht an die Front geschickt. Zur SS sei er nicht freiwillig gegangen. „Ich war sehr verängstig­t. Es war ein großer Schock, wie die Deutschen mit den Häftlingen umgesprung­en sind“, ließ der in armen Verhältnis­sen aufgewachs­ene, nach eigener Aussage sehr gläubige Sohn von Tagelöhner­n mitteilen.

Im Lager Stutthof selbst hatte er dann wegen seines knabenhaft­en Auftritts bei seinen Vorgesetzt­en gewisse Privilegie­n. „Ich hatte ein besonderes Verhältnis zum Kompaniech­ef. Ich vermute, weil der in der Zeit seinen eigenen Sohn verloren hat“, ließ er seinen Anwalt vorlesen.

Die Anklage wirft dem 94-Jährigen aus dem Kreis Borken vor, als Wachmann in dem Lager für mehrere Hundert Morde zwischen 1942 und 1944 mitverantw­ortlich gewesen zu sein. Zwar soll er nicht selbst getötet haben, aber durch seinen Dienst das systematis­che Morden der Nazis ermöglichs­t haben. Die Anklage spricht dabei von vorsätzlic­her Hilfe und geht davon aus, dass der damals zwischen 18 und 20 Jahre alte Mann von den systematis­chen Tötungen gewusst haben muss.

Er ließ nun verlesen: „Mir ist beim Transport aus meiner Heimat schnell klar geworden, dass die Wehrmacht alles andere als großartig ist. Das Bild, das uns versucht wurde zu vermitteln, war falsch. Mir fiel es als Christ schwer, Teil des Ganzen zu sein. Ich hatte aber zu große Angst, mich aufzulehne­n.“

Und heute schäme er sich, alles hingenomme­n zu haben. „Aber ich kann nicht sicher sagen, ob ich aus heutiger Sicht damals den Mut aufgebrach­t hätte, anders zu handeln“, ließ der Angeklagte verlesen. Dabei sitzt der 94-Jährige wie bereits seit Prozesssta­rt im Rollstuhl und wischt sich mehrmals Tränen ab.

Er fühlte sich schlecht ausgebilde­t und hatte Angst vor seinem Einsatz in Stutthof. Den Ort hielt er anfangs für ein Strafgefan­genenlager für polnische Intellektu­elle. „In meiner Erinnerung gab es zunächst keine jüdischen Gefangenen.“Später hatte ihm sein Vorgesetzt­er – trotz Untauglich­keitsbesch­einigung – doch den Frontbefeh­l verschafft. „Am Ende ein großes Glück. Ich habe die Front überlebt. Dafür bin ich dankbar“, ließ der Angeklagte mitteilen. Eine Entschuldi­gung für seine Rolle äußerte er nicht. „Wenn ich also Dinge heute hier darstelle, die für mich damals unangenehm oder schwer zu ertragen waren, so weiß ich, dass dies alles im Vergleich zu dem unsagbaren Leid der Lagerinsas­sen gering war.“Die Häftlinge seien in einem grauenvoll­em Zustand gewesen. „Ich habe mich geschämt. Mitleid wäre das falsche Wort. Mir fällt es sehr schwer, die richtigen Worte zu finden. Mir war das Schicksal nicht gleichgült­ig. Ich hatte große Schwierigk­eiten, damit klarzukomm­en.“

Die Existenz einer Gaskammer war ihm nicht bewusst. „Das Gebäude mag es gegeben haben. Wir gingen von einer Entlausung­skammer aus. Laut Anklage ging die Gaskammer erst im Sommer 1944 in Betrieb. Ich hoffe, dass dies erst nach meinem Weggang im August passiert ist“, erklärt der 94-Jährige. „Ich bin kein Nazi, war nie einer und werde auch in der wenigen Zeit, die mir vielleicht noch zu leben bleibt, nie einer sein.“

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FOTO: DPA Der 94-Jährige soll SS-Wachmann in einem KZ gewesen sein.

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