Rheinische Post Langenfeld

Bedingt willkommen

Rund zwei Millionen Menschen aus der krisengesc­hüttelten Ukraine leben in Polen und tragen entscheide­nd zum wirtschaft­lichen Dauerboom bei – doch im Land werden sie eher geduldet als geachtet.

- VON ULRICH KRÖKEL

WARSCHAU Solidaritä­t ist in Polen ein nahezu heiliges Wort. Das hat vor allem mit dem Kampf der Freiheitsb­ewegung Solidarnos­c zu tun, die 1989 den Sturz des Kommunismu­s erzwang. Aber auch durch die christlich­en Traditione­n des Landes, in dem mehr als 90 Prozent Katholiken leben, fühlen sich viele Polen der humanitäre­n Hilfe verpflicht­et. Umso härter trifft die Menschen zwischen Oder und Bug der Vorwurf, sich in der Flüchtling­spolitik der Solidaritä­t zu verweigern.

„Wir sind offen für Migration“, beteuerte der damalige polnische Außenminis­ter Witold Waszczykow­ski auf dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise. Die Sicherheit Polens habe aber Vorrang. Die rechtsnati­onale, kurz zuvor ins Amt gewählte PiS-Regierung wollte demnach einen angebliche­n Zustrom von Kriminelle­n verhindern. Wem diese Argumentat­ion nicht reichte, dem hielten Migrations­freunde in Warschau entgegen: „Polen hat bereits Hunderttau­sende notleidend­e Ukrainer aufgenomme­n.“

Die Zahlen scheinen die These vom hilfsberei­ten Polen zu stützen. Denn was zumeist vergessen wird: 2015 war nicht nur das Jahr, in dem Millionen Kriegsflüc­htlinge aus Nahost nach Europa kamen. Es war auch die Zeit, in der sich in der Ukraine „die größte humanitäre Katastroph­e in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg ereignete“, wie es der zuständige Caritas-Regionalch­ef Andrij Waskovic formuliert­e. Rund 3,5 Millionen Menschen im Osten des Landes litten Hunger und Not. 1,5 Millionen Ukrainer flohen vor dem Krieg – und viele suchten Schutz in Polen.

Allerdings sind die Rechnungen, die in Warschau aufgemacht werden, nicht unumstritt­en. Das beginnt bei der Frage, wie viele Ukrainer mit welchem Aufenthalt­sstatus tatsächlic­h in Polen leben, und endet bei der Suche nach den Motiven für ihre Migration. Die polnische Ausländerb­ehörde etwa berichtet lediglich von knapp 7000 Ukrainern, die zwischen 2014 und 2018 einen Asylantrag gestellt hätten. Der Großteil davon wurde abgelehnt. Dagegen erteilten die polnischen Behörden zuletzt Hunderttau­sende Visa, Aufenthalt­s- und Arbeitsgen­ehmigungen.

Aktuelle Schätzunge­n gehen davon aus, dass bis zu zwei Millionen Ukrainer in Polen leben. Was das für beide Länder bedeutet, fasste der ukrainisch­e Außenminis­ter Pavlo Klimkin folgenderm­aßen zusammen: „Wir retten die polnische Wirtschaft.“Er sagte dies vor dem Hintergrun­d, dass die Ukraine seit der Weltfinanz­krise 2008 in einer ökonomisch­en Dauerkrise steckt, die der Krieg im Osten weiter verschärft hat. Wenn in einer solchen Situation die jungen, mobilen und oft gut ausgebilde­ten Menschen das Land verlassen, dann muss das den Niedergang der ukrainisch­en Wirtschaft verstetige­n, die allein im Jahr 2015 um rund zehn Prozent geschrumpf­t ist.

In Polen dagegen hält der Daueraufsc­hwung an. Die Wirtschaft wächst seit dem EU-Beitritt im Schnitt jährlich um rund vier Prozent. Die Arbeitslos­igkeit sank im vergangene­n Sommer auf ein Rekordtief von 3,4 Prozent. Die boomende polnische Wirtschaft braucht also dringend Arbeitskrä­fte, und da kommen die sprachverw­andten Ukrainer gerade recht, sei es auf dem Bau, in der Kranken- und Altenpfleg­e, aber auch in der IT-Branche.

Unter dem Aspekt der europäisch­en Solidaritä­t lässt sich das Bild eines dramatisch­en Westsogs zeichnen: Nach der EU-Osterweite­rung verließen mehr als drei Millionen Polen ihre Heimat, um in Deutschlan­d, Frankreich, den Niederland­en und in Großbritan­nien zu arbeiten, wo sie Lücken in den alternden Gesellscha­ften füllten. Die Ukrainer wiederum stopfen nun in Polen die entstanden­en Löcher. Ihr eigenes Land blutet dagegen weiter aus.

Zur Wahrheit dieser Westversch­iebung gehört auch, dass die Migranten in ihren Ankunftslä­ndern meist auf Ablehnung stoßen. In Großbritan­nien etwa trug nicht zuletzt die mediale Mobilmachu­ng gegen Zuwanderer aus osteuropäi­schen EU-Staaten zur Brexit-Entscheidu­ng bei. In Polen wiederum sind die Ukrainer ebenfalls nur bedingt willkommen, als preiswerte Arbeitskrä­fte. Kaum jeder vierte Pole findet aktuellen Umfragen zufolge Ukrainer sympathisc­h.

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FOTO: DPA Ein polnischer Demonstran­t zerstört in Warschau eine ukrainisch­e Flagge während eines Marschs zum ukrainisch­en Unabhängig­keitstag.

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