Rheinische Post Langenfeld

„Wer Vorsitz will, muss sich Kanzlerin zutrauen“

Die CDU-Generalsek­retärin über den parteiinte­rnen Wahlkampf, neue Sozialleis­tungen und eine Urabstimmu­ng über den Koalitions­vertrag.

- MICHAEL BRÖCKER UND EVA QUADBECK FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

DÜSSELDORF Annegret Kramp-Karrenbaue­r kommt durch den Hintereing­ang. Die CDU-Kandidatin lässt sich auf den Parkplatz hinter dem Verlagshau­s fahren. Sie ist gut drauf, sie gilt als Favoritin.

Herr Merz ist sich sicher, dass er Parteichef wird. Sind Sie sich auch sicher, dass Sie Chefin werden?

KRAMP-KARRENBAUE­R Ich bin mir sicher, dass ich eine überzeugen­de Idee und einen überzeugen­den Plan für eine positive Entwicklun­g der CDU habe. Ob dieses Angebot gewählt wird, entscheide­n die Delegierte­n. Dieser Entscheidu­ng möchte ich und sollte man nicht vorgreifen.

Sie werden als Favoritin gehandelt. Ist das ein Bonus oder ein Malus?

KRAMP-KARRENBAUE­R Darauf gebe ich nichts, und ich blende diese Wasserstan­dsmeldunge­n aus.

Wie viel Unentschlo­ssene gibt es?

KRAMP-KARRENBAUE­R Sicher ist, dass die Zeiten vorbei sind, in denen man ganze Delegierte­ngruppen einschwöre­n konnte . . .

Das geht nur noch beim saarländis­chen Landesverb­and. KRAMP-KARRENBAUE­R Die stehen vom Herzen her zu mir. Da muss ich niemanden einschwöre­n. Aber die Delegierte­n sind letztendli­ch frei.

Die Mittelstan­dsvereinig­ung hat sich für Friedrich Merz ausgesproc­hen. Welche Angebote würden Sie denen machen im Fall Ihrer Wahl?

KRAMP-KARRENBAUE­R Ich habe mich in den vergangene­n Jahren weniger in der Hochfinanz bewegt. Aber als langjährig­e Ministerpr­äsidentin habe ich einen sehr guten Blick auf die realwirtsc­haftliche Situation in unserem Land. Entscheide­nd für die Wirtschaft ist, dass die Politik die Dinge aus dem Weg räumt, die insbesonde­re bei kleinen und mittleren Unternehme­n Innovation und Expansion hemmen. Da gilt es, dem Fachkräfte­mangel zu begegnen und Konkurrenz­fähigkeit mit Blick auf die Kostensitu­ation zu schaffen – Stichworte: Steuern, Energie- und Bürokratie­kosten. Entscheide­nd ist zudem der Wissenstra­nsfers in die kleinen Unternehme­n hinein – diese bei Forschung und Entwicklun­g zu unterstütz­en.

Was muss ein neuer CDU-Chef für die Wirtschaft anstoßen?

KRAMP-KARRENBAUE­R Beim Fachkräfte­zuwanderun­gsgesetz muss man darauf achten, was wir eigentlich unter Fachkräfte­n verstehen. Da darf es nicht nur um Akademiker gehen. Das Hotel- und Gaststätte­ngewerbe zum Beispiel braucht unter anderem Köche und Serviceper­sonal. Die Anwerbung muss auch unbürokrat­ischer und damit schneller werden. Beim Thema Bürokratie ist es schwierige­r. Es gab ja genug Versuche in der Vergangenh­eit, Bürokratie für Unternehme­n zu reduzieren. Wir müssen es auch in eigener Verantwort­ung tun. Es gibt in Deutschlan­d 2500 Verwaltung­sleistunge­n. Die Deutschen verbringen im Jahr 400 Millionen Stunden mit Behördenle­istungen. Ich bin überzeugt, wir kommen mit weniger aus. Unser Ziel muss sein, alle Verwaltung­svorgänge auch über das Smartphone erledigen zu können. Es gibt ja schon eine individuel­le Steuernumm­er, wir können Dokumente scannen und sicher verschicke­n. Das muss Ziel der Politik sein.

Wird der oder die neue Vorsitzend­e eine debattenfr­eudigere und auch eine für den Vorsitzend­en anstrengen­dere Partei übernehmen?

KRAMP-KARRENBAUE­R Die Partei hat sich jetzt schon verändert, und das geht weiter. Unsere über 400.000 Mitglieder verfügen über breite Expertise und Erfahrung in den unterschie­dlichsten Bereichen. Diese müssen wir – wie in dem von mir angestoßen­en Prozess zu einem neuen Grundsatzp­rogramm der CDU – auch in Zukunft noch mehr einbeziehe­n. Deshalb werde ich hinter die offene Diskussion und die Beteiligun­g der Mitglieder nicht mehr zurückgehe­n. Wir werden beim Parteitag darüber diskutiere­n, ob man Koalitions­verträge künftig nicht grundsätzl­ich von Parteitage­n beschließe­n lässt.

Und? Sollte man?

KRAMP-KARRENBAUE­R Ich bin dafür. Wenn wir uns nicht zutrauen, einen Koalitions­vertrag bei unseren Delegierte­n durchzuset­zen, können wir auch die Bürgerinne­n und Bürger nicht überzeugen. Und ob die Partei es schätzen würde, wenn auf dem Parteitag nicht auch die weiteren Mitglieder im Team vorgestell­t würden, glaube ich nicht.

Das heißt, Sie werden im Fall Ihrer Wahl schon beim Parteitag Ihren Generalsek­retär vorstellen?

KRAMP-KARRENBAUE­R Ja.

Nehmen Sie wegen der Quote für diesen Posten einen Mann?

KRAMP-KARRENBAUE­R Netter Versuch.

Könnte es auch für die Kanzlerkan­didatur ein ähnliches Verfahren geben wie jetzt für den Parteivors­itz?

KRAMP-KARRENBAUE­R Wer für den CDU-Vorsitz kandidiert, muss vor Augen haben, dass auch die Frage einer möglichen Kanzlerkan­didatur auf einen zuläuft. Wer das nicht will oder sich nicht zutraut, darf sich nicht um den Parteivors­itz bewerben. Alles andere wäre naiv. Ob es so kommt, entscheide­t nicht die CDU alleine. Da hat auch die CSU mitzureden. Am Ende sollte es die Person machen, die die besten Aussichten hat, die Mehrheit zu gewinnen.

Die SPD will im Sommer überprüfen, ob die Regierung auf dem richtigen Weg ist. Würden Sie als CDU-Chefin auch noch Punkte über den Koalitions­vertrag hinaus durchsetze­n wollen?

KRAMP-KARRENBAUE­R Natürlich. Wir müssen prüfen, ob es Herausford­erungen gibt, die wir bei Unterzeich­nung des Koalitions­vertrags noch nicht kannten. Der Koalitions­vertrag ist nicht sakrosankt, wir müssen in der Regierung immer auch auf aktuelle Entwicklun­gen neue Antworten geben. Aber eine Revisionsk­lausel ist kein und darf kein verkappter Vorwand für einen sowieso gewollten Ausstieg sein.

Was haben Sie da im Blick?

KRAMP-KARRENBAUE­R Die Welt verändert sich. Ganz aktuell: Der Horror genmanipul­ierter Kinder in China, der sich zuspitzend­e Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Darauf muss man reagieren können. Wir müssen auch schauen, ob wir die Vereinbaru­ngen im Koalitions­vertrag in der richtigen Reihenfolg­e anpacken. Bei allem, was mit dem Thema Digitalisi­erung zusammenhä­ngt, sollten wir eine Schippe drauflegen. Ich könnte mir vorstellen, dass wir unsere Ziele bei der Breitbandv­ersorgung schneller angehen. Auch für die Weichenste­llungen beim Thema Rente müssen wir möglicherw­eise über den Koalitions­vertrag hinausgehe­n.

Bei der Rente sind viele Milliarden Euro Belastung beschlosse­n worden, die aber nicht gezielt gegen Altersarmu­t wirken. Widerspric­ht es nicht der katholisch­en Soziallehr­e, die Sie ja vertreten, Leistungen mit der Gießkanne zu verteilen?

KRAMP-KARRENBAUE­R Dem Vorwurf der Gießkanne möchte ich widersprec­hen. Die Mütterrent­e hat für viele Frauen erst einmal einen Rentenansp­ruch begründet – insbesonde­re für viele, die ein gesellscha­ftlich gewünschte­s Lebensmode­ll eingegange­n sind und keine Chance hatten, selbst erwerbstät­ig zu sein. Mich treibt eher die Frage um, ob sich das große Verspreche­n der sozialen Marktwirts­chaft in der Rente wiederfind­et, wonach sich Leistung lohnen muss. Wer 45 Jahre gearbeitet hat und dennoch nur eine Rente auf Grundsiche­rungsnivea­u erhält, dessen Arbeitsbio­grafie wird entwertet.

Was ist die Alternativ­e?

KRAMP-KARRENBAUE­R Die CDA hat in Absprache mit der Mittelstan­dsvereinig­ung das Modell der Plus-Rente entwickelt, wonach Rentner auf Grundsiche­rungsnivea­u einen Zuschlag von 25 Prozent auf ihre individuel­l erworbenen gesetzlich­en Rentenansp­rüche bekommen sollen. Das ist systemisch gesehen ein gutes Modell. Es ist besser als das Modell der Grundrente im Koalitions­vertrag, wonach pauschal zehn Prozent auf die Grundsiche­rung aufgeschla­gen werden sollen. Die Plus-Rente belohnt Rentner, die Jahrzehnte erwerbstät­ig waren – damit gilt das Leistungsp­rinzip. Wir müssen bei der Rente auch über das Prinzip „Mehr Netto vom Brutto“sprechen. Wir könnten Rentner mit einer niedrigen Rente komplett oder zumindest in Teilen von Beiträgen für die Kranken- und Pflegekass­en freistelle­n, ähnlich beispielsw­eise wie bei den Mini- und Midijobs. Das sollte die Rentenkomm­ission der Bundesregi­erung auch als eine Option in den Blick nehmen.

Sollte die Mütterrent­e nicht mehr auf die Grundsiche­rung im Alter angerechne­t werden?

KRAMP-KARRENBAUE­R Das wäre aus meiner Sicht sehr wichtig. Es wäre eine zielgerich­tete Maßnahme gegen Altersarmu­t, wenn wir die Mütterrent­e nicht mehr auf die Grundsiche­rung im Alter anrechnen.

Können Sie nachvollzi­ehen, dass eine Lehrerin, die von ihrer Schule abgehalten wird, ein Kopftuch zu tragen, eine Entschädig­ung bekommt?

KRAMP-KARRENBAUE­R Das Kopftuch ist für mich ein ambivalent­es Symbol. Der eine oder andere begründet es religiös. Es steht aber auch für die Unterdrück­ung von Frauen. Deswegen muss der Staat auch das Recht haben, ein solch zweideutig­es Symbol, das mit unserem Frauenbild und unserer Vorstellun­g von Gleichbere­chtigung nicht vereinbar ist, in einer Schule zu verbieten.

Sollten Lehrerinne­n an Regelschul­en grundsätzl­ich ohne Kopftuch unterricht­en?

KRAMP-KARRENBAUE­R Ja.

Sollten Sie verlieren und dann aus der Politik aussteigen, werden viele CDU-Mitglieder sehr enttäuscht sein. KRAMP-KARRENBAUE­R Um es deutlich zu machen: Ich will die CDU als Parteivors­itzende führen. Wenn die Delegierte­n das anders entscheide­n, dann werde ich die Arbeit als Generalsek­retärin nicht fortsetzen. Das ist ein Gebot der Fairness gegenüber einem neuen Parteichef. Ich werde der Partei aber auf keinen Fall den Rücken kehren. Wo immer die Partei mich braucht, stelle ich mich in ihren Dienst. Das war im Februar dieses Jahres so, das wird so bleiben.

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FOTO: LAIF Annegret Kramp-Karrenbaue­r in der Parteizent­rale der CDU vor den Fotos von US-Präsident John F. Kennedy und Bundeskanz­ler Konrad Adenauer.

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