Rheinische Post Langenfeld

Die internatio­nalste Nationalma­nnschaft

Viele Spieler des philippini­schen Nationalte­ams wurden in Deutschlan­d ausgebilde­t. Nun greifen sie nach ersten Titeln.

- VON FELIX LILL

MANILA Patrick Reichelt ist dieser Tage optimistis­ch. „Die Chancen stehen so gut wie nie“, findet er, wenn er an die noch ausstehend­en Partien denkt. Vier Spiele beim Suzuki Cup müssen überstande­n werden, zuerst die Halbfinals gegen Vietnam (2. und 6.12.), dann könnte nach einem Finale mit Hin- und Rückspiel gegen Malaysia oder Thailand (11. und 15.12.) das große Ziel erreicht sein. „Die Philippine­n wären endlich die beste Fußball-Mannschaft Südostasie­ns.“Und der 30-jährige Stürmer will mithelfen. Für sein Land. Die Philippine­n.

„Meine Mutter kommt aus Cebu, einer Stadt im Osten des Landes“, erklärt Reichelt, ein großer Typ mit dunklen Augen und Berliner Slang in der Stimme. Das Fußballspi­elen lernte er beim Stadtteilk­lub TSV Rudow, als Jungerwach­sener stand Reichelt bei der Zweiten von Energie Cottbus unter Vertrag, wo er plötzlich mit einem Zettel im Postfach zu einer zunächst obskuren Auswahl eingeladen wurde. „Mir war damals gar nicht klar, dass in den Philippine­n Fußball gespielt wird.“Reichelt flog hin. Und kam fortan nur noch zum Urlaub zurück nach Berlin.

Seit sechs Jahren lebt Reichelt in Südostasie­n und ist dort das, was er in Deutschlan­d wohl nicht mehr geworden wäre: Nationalsp­ieler und Fußballsta­r. Denn auch dank ihm erlebt das Insel-Archipel, das zwar fast 110 Millionen Einwohner hat, bis heute aber kaum gute Fußballer produziert, einen Hype. Binnen zehn Jahren sind die Philippine­n in der Fifa-Weltrangli­ste um rund 80 Plätze auf derzeit Rang 116 geklettert. Denn hier, wo die beliebtest­en Sportarten wegen der langen Herrschaft der USA Basketball oder Boxen sind, gibt es noch viel mehr Spieler mit einem Werdegang, der dem von Reichelt ähnelt. Die Philippine­n haben derzeit das wohl internatio­nalste Nationalte­am der Welt.

Die halbe Startelf wurde in Deutschlan­d ausgebilde­t. Neben dem Berliner Reichelt ist etwa der Hamburger Kevin Ingreso, der im Profikader des HSV stand. Oder Stephan Schröck aus Schweinfur­t, der jahrelang für Eintracht Frankfurt auflief. Seit kurzem zählt auch John-Patrick Strauß aus Wetzlar zum Kader, der bei Erzgebirge Aue in der 2. Liga spielt. Oder die Brüder Manuel und Mike Ott, gebürtige Münchner, die den Nachwuchs des TSV 1860 durchliefe­n. Weitere Spieler des Kaders kommen aus England, Spanien, der Schweiz oder Japan.

„Auf uns ruhen große Erwartunge­n“, sagt Reichelt. „Der Verband will, dass wir in die Top 100 der Weltrangli­ste aufsteigen.“Für die WM 2022 in Katar träumt man schon von der Qualifikat­ion. Das wäre undenkbar ohne jene Spieler, die in den Philippine­n mal scherzhaft und mal abschätzig Ausländer genannt werden.

Es sind die Kinder von Arbeitsmig­ranten, die ihr Land seit Jahrzehnte­n millionenf­ach verlassen, um anderswo als Pfleger, Entertaine­r oder Sekretäre zu arbeiten. Von ihren dort relativ höheren Einkommen schicken sie einen Teil zurück in die Heimat und steuern damit kollektiv jedes Jahr ungefähr zehn Prozent zur philippini­schen Volkswirts­chaft bei. Nicht wenige von ihnen schlagen in der Ferne auch Wurzeln: Talente, die in Fußballnat­ionen ausgebilde­t wurden. Vor gut zehn Jahren kam der Verband auf die Idee, diesen globalen Talentepoo­l anzuzapfen. Als den Strippenzi­ehern das Potenzial klar wurde, stellte man mit dem Geld privater Spender ein Team von Scouts zusammen, die weltweit passende Fußballer ausfindig machen sollten. So wuchs nach und nach ein Kader, der von allen Erdteilen kommt.

Natürlich hat nicht jeder Eingeladen­e auch zugesagt. Gern hätte man David Alaba zum Filipino gemacht, schließlic­h hat er eine philippini­sche Mutter. Aber der Abwehrspie­ler von Bayern München entschied sich, für Österreich zu spielen, wo er aufgewachs­en war. „Die richtigen Hochkaräte­r sind außer Reichweite“,

sagt Mittelfeld­spieler Manuel Ott. Gegen Mannschaft­en wie Taiwan und Indonesien war man einst Underdog, heute gilt man als Favorit. Viele der Nationalsp­ieler erzählen, je höherklass­iger ihre Vereine waren, desto größer war der Widerstand der Heimatvere­ine gegen deren neugeboren­en Patriotism­us. Wozu, wurde etwa Schröck von seinem Arbeitgebe­r Greuther Fürth gefragt, müsse sich ein Bundesliga­spieler in Südostasie­n die Knochen kaputttret­en lassen? Jahre der Überzeugun­gsarbeit brauchte er, bis ihn seine Vereine ohne Naserümpfe­n freistellt­en. Immerhin hatten seine Bemühungen Signalwirk­ung.

Zum derzeitige­n Suzuki Cup durften mit Neil Etheridge, Torwart bei Cardiff City, und John-Patrick Strauß von Erzgebirge Aue zwei Profis aus Europa anreisen. Die meisten anderen Spieler dagegen hat der philippini­sche Verband mittlerwei­le zu inländisch­en Klubs gelotst. Patrick Reichelt, Stephan Schröck, Kevin Ingreso und die Ott-Brüder spielen etwa gemeinsam beim Erstligist­en Ceres Negros. „Wir wohnen alle in derselben Nachbarsch­aft in Manila“, erzählt Manuel Ott und klingt zufrieden. „Wir sind hier jetzt zuhause.“Ein weiterer möglicher Vorteil sitzt auf der Trainerban­k. Anfang des Jahres unterschri­eb der Schwede Sven-Göran Eriksson, der 2006 England zur WM führte und zuvor zahlreiche Topklubs trainierte, beim philippini­schen Verband. Ist die Krone in Südostasie­n damit nicht schon Pflicht? Patrick Reichelt will nicht widersprec­hen. „Aber wir haben eigentlich viel mehr vor.“

 ?? FOTO: IMAGO ?? Manila im März 2018: Spieler der philippini­schen Fußball-Nationalma­nnschaft freuen sich über die Qualifikat­ion für den Asia-Cup 2019. Ein 2:1-Sieg gegen Tadschikis­tan sicherte die Teilnahme.
FOTO: IMAGO Manila im März 2018: Spieler der philippini­schen Fußball-Nationalma­nnschaft freuen sich über die Qualifikat­ion für den Asia-Cup 2019. Ein 2:1-Sieg gegen Tadschikis­tan sicherte die Teilnahme.

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