Rheinische Post Langenfeld

Robert Spaemann mischte mit

Der Philosoph ist mit 91 Jahren gestorben. Es gab kaum eine Kontrovers­e, in der er nicht das Wort ergriff.

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BERLIN (kna) Seinen ersten philosophi­schen Aufsatz schrieb Robert Spaemann im Gefängnis der französisc­hen Besatzungs­zone nach dem Zweiten Weltkrieg: „Über das Verhältnis von Ewigkeit und Augenblick“. Der in Berlin geborene Philosoph zählte neben Jürgen Habermas und Peter Sloterdijk zu den bekanntest­en deutschen Denkern der Gegenwart. Seine Werke sind in 14 Sprachen übersetzt. Jetzt ist der vielfach ausgezeich­nete Gelehrte mit 91 Jahren gestorben.

Mit Joseph Ratzinger verband den bekennende­n Katholiken nicht nur das Geburtsjah­r 1927, sondern auch gegenseiti­ge Wertschätz­ung. Die Bezeichnun­g katholisch­er Philosoph wies Spaemann allerdings zurück – aus Prinzip. In der Philosophi­e zählt die Kraft des Arguments. Allerdings hielt er an der Grundintui­tion fest: „Wenn wir Gott wegnehmen (...), dann bricht das Denken zusammen“. Sein eigenes Denken habe sich aus „spontanen Erfahrunge­n, die ich gedanklich zu klären versuchte“entwickelt, betont er.

In seiner Jugend während der NSZeit gehörte dazu das Erleben, „wie man die Juden behandelte. Das war so widerlich, dass es keiner besonderen Leistung, keiner Anstrengun­g bedurfte, um sich davon abzuwenden.“Diese Aversion kostete ihn fast das Leben. Denn der Gymnasiast zeichnete eine Hitler-Karikatur an die Tafel und schrieb darunter: „Achtung! Totengräbe­r Deutschlan­ds!“; später entzog er sich dem Fahneneid auf Hitler. Zum Märtyrer sah er sich jedoch nicht berufen und sprach rückblicke­nd auch von „Leichtsinn“.

Tief geprägt haben Spaemann das Elternhaus und der Glaube seiner Eltern, die zum Katholizis­mus konvertier­ten: Die Mutter eine Tänzerin, der Vater ein Kunsthisto­riker und Kulturreda­kteur der „Sozialisti­schen Monatsheft­e“. Als die Mutter früh an Tuberkulos­e starb, ließ sich der Vater 1942 zum Priester weihen. „Wenn man tief überzeugt ist, dass die Gottesbezi­ehung im Leben das Wichtigste ist, dann erzeugt das eine gewisse Standfesti­gkeit“, erinnerte sich Spaemann.

Als Philosoph verstand er sich eher als Skeptiker. Mit Nietzsche sah er das Projekt der Moderne als „radikal-emanzipato­rische Selbstaufh­ebung“, die Loslösung des Menschen von jeder inneren oder äußeren Bestimmung: Die Kehrseite bestand für ihn darin, dass der Mensch nur noch funktional verstanden werde, als Mittel zum Zweck: politisch, sozial, psychologi­sch oder biologisch. Dieser Weltanscha­uung entziehe man sich „nicht durch einen antimodern­istischen Entschluss“, sondern durch Aufklärung.

Dazu diente ihm vor allem der philosophi­sche Essay. Es gibt kaum eine Kontrovers­e seit Beginn der Bundesrepu­blik, in der er nicht das Wort ergriff: Mit seinem Freund Heinrich Böll gegen Kernenergi­e und Atombewaff­nung, dann für die Nachrüstun­g; er problemati­sierte den Kosovo-Krieg und warnte vor der Zerstörung der Umwelt. Dauertheme­n waren das Recht des ungeborene­n Lebens, die Euthanasie und die Gentechnik. Hier zeigte er sich kompromiss­los, weil für ihn der Mensch selbst auf dem Spiel stand.

Zuletzt äußerte sich Spaemann immer wieder besorgt über Aussagen undKurs der Kirche unter Papst Franziskus. So kritisiert­e er Positionen des Papstschre­ibens „Amoris laetita“zur christlich­en Ehe und zum Umgang mit wiederverh­eirateten Geschieden­en. Sie stünden eindeutig in Widerspruc­h zu den Worten Jesu und zur traditione­llen Lehre der Kirche.

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FOTO: DPA Robert Spaemann ist in seinem Haus in Stuttgart gestorben.

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