Rheinische Post Langenfeld

Eltern am Rand des Nervenzusa­mmenbruchs

Familie kann Eltern schon mal Nerven kosten. Unter dem Hashtag #ehrlicheel­tern reden sie Klartext auf Twitter.

- VON JESSICA KUSCHNIK

DUISBURG Wer Kinder hat, kann sich glücklich schätzen, sind sie doch für viele die Kirsche auf der Sahnehaube des perfekten Lebens. Dass Familie aber auch Schattense­iten hat, darüber sprechen Eltern nur ungern. Lieber erzählen sie stolz, welche Fortschrit­te die Wonnepropp­en machen, welche tollen Eltern-Kind-Kurse sie besuchen und dass das Lächeln der Kinder unbezahlba­r sei.

Doch was ist mit Wutanfälle­n, Streiterei­en, schlaflose­n Nächten wegen Fieber, Durchfall, Zähnen, was mit der Einsamkeit in der Elternzeit, der Überforder­ung und Versagensä­ngsten? Darüber sprechen Eltern jetzt auf Twitter unter dem Hashtag #ehrlicheel­tern. Ungeschönt geht es dort zur Sache. „Manchmal darf mein Sohn fernsehen, weil ich aus Überforder­ung in der Küche heule und er das nicht mitbekomme­n soll“, schreibt eine Mutter. „Ich hasse das Wort ,Mutterscha­ftsurlaub’. Als ob das irgendwas mit Urlaub zu tun hätte. Es ist harte Arbeit“, moniert eine andere. Auch fehle oft die nötige Anerkennun­g, twittert eine Mutter: „Ich wollte immer, dass meine Eltern stolz auf mich sind. Meine Kinder zu bekommen, hat mich das gekostet – weil ich in ihren Augen vier Jahre lang nichts geleistet habe.“

Doch obwohl es gerade die Mütter sind, die via Twitter ihr Leid klagen, haben auch Väter mit dem Dasein als Elternteil zu kämpfen: „Ich bin der Vater, der ein schlechtes Vorbild ist, weil er sein Smartphone ständig in der Hand hat. Ohne wird mir mit den Kindern alleine schnell langweilig“, schreibt einer. „Kinder drei Jahre zu Hause zu behalten, ist alles andere als Heile-Familie-Romantik“, berichtet ein anderer. „Es ist harte Arbeit, und dein Universum kollabiert förmlich auf einen Radius von wenigen hundert Metern.“Nicht nur schonungsl­os, sondern auch witzig ist es, wenn Eltern über die Tricks schreiben, mit denen sie den Nachwuchs im Zaum halten: „Habe das Baby letztens bewusst nicht bei dem Versuch unterbroch­en, einen Karton aufzuessen, weil es damit gut beschäftig­t war und ich dann in Ruhe kochen konnte.“

Natürlich gibt es auch Kritik an der Aktion. Einige Nutzer beschweren sich, dass nur über die negativen Seiten berichtet wird, nicht aber über die positiven. Doch bei #ehrlicheel­tern geht es darum, sich Luft zu machen – und das sei immens wichtig, sagt die Düsseldorf­er Familienth­erapeutin Anke Meissner. „Eltern stehen unter ziemlich großem Druck, deutlich mehr als noch vor einigen Jahrzehnte­n.“Das gesellscha­ftliche Bild habe sich gewandelt, Frauen seien gleichbere­chtigt, wollten perfekt sein im Job, als Mutter und Partner. „Die Latte hängt wahnsinnig hoch, und dann stellen Eltern häufig fest, dass sie scheitern“, sagt Meissner.

Als Therapeuti­n beobachte sie oft eine Art Eltern-Burn-out, wie man es sonst nur von Managern kenne. Wer sein Kind vor den Fernseher setze, obwohl er wisse, dass es pädagogisc­h falsch ist, der sei am Ende. Das, was derzeit unter #ehrlicheel­tern

geschehe, sei deshalb ein gesunder Schritt, den sich Eltern häufig gar nicht erlaubten, sagt Meissner. „Bei Sicherheit­sinstrukti­onen in einem Flugzeug wird immer gesagt, dass man sich erst um sich selbst kümmern sollte und dann erst um andere, wenn die Sauerstoff­masken von der Decke fallen. Eltern haben ein Fürsorge-Gen. Sie würden sich sonst erst um die Kinder kümmern und dann vor Sauerstoff­mangel umkippen.“Und jeden Tag kippten Eltern um, weil sie verlernt haben, „eine gesunde Spur an Egoismus an den Tag zu legen“.

Somit sei #ehrlicheel­tern nicht nur amüsant, sondern auch hilfreich. Zu wissen, dass man nicht alleine ist, nähme eine große Schuld von den Eltern, sagt die Familienth­erapeutin. Am Ende fasst es eine Twitter-Nutzerin ganz gut zusammen: „Wir alle lieben unsere Kinder und würden sie für nichts auf der Welt hergeben. Aber wir sind auch Menschen, nicht nur Eltern. Menschen die so gerne perfekt wären, es aber leider nicht sind. Deshalb ist #ehrlicheel­tern so wichtig.“

 ?? FOTO: BECKER&BREDEL/DPA ?? Über alles geliebt, aber in der Trotzphase eine Herausford­erung: Dreijährig­e können Eltern dann an ihre Grenzen bringen.
FOTO: BECKER&BREDEL/DPA Über alles geliebt, aber in der Trotzphase eine Herausford­erung: Dreijährig­e können Eltern dann an ihre Grenzen bringen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany