Rheinische Post Langenfeld

Erdogans Dauerfehde mit Gülen

Seit Jahren fordert der türkische Staatspräs­ident die USA auf, den islamische­n Prediger Fethullah Gülen auszuliefe­rn. Ankara macht ihn für den Putschvers­uch im Juli 2016 verantwort­lich und verfolgt dessen Anhänger rigoros.

- VON PHILIPP JACOBS

SAYLORSBUR­G/ANKARA Vor gut zwei Wochen trafen sich die Staats- und Regierungs­chefs der 20 wichtigste­n Industrien­ationen zu ihrem gemeinsame­n Gipfel in Buenos Aires. Schon im Vorfeld war das Treffen etwas Besonderes: Die Welt berichtete aufgeregt über den defekten Regierungs­flieger von Bundeskanz­lerin Angela Merkel, die zu spät in Argentinie­n eintraf. Geredet wurde dann über den Welthandel, den Klimaschut­z und Migration. Und wie bei derlei Gipfeln mittlerwei­le üblich, verhindert­en die USA einstimmig­e Beschlüsse. Brisant könnte nun ein Treffen am Rande des Gipfels gewesen sein. US-Präsident Donald Trump und der türkische Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan sollen über die Auslieferu­ng des islamische­n Predigers Fethullah Gülen gesprochen haben. Das berichtet die türkische Regierung.

Gülen kann man ohne Übertreibu­ng als Erzfeind Erdogans bezeichnen. Seit 1999 lebt er in Saylorsbur­g im US-Bundesstaa­t Pennsylvan­ia im selbstgewä­hlten Exil. Seine Auslieferu­ng ist ein zentraler Konflikt zwischen den USA und der Türkei. Gerüchte über eine mögliche Überstellu­ng des Predigers waren bereits Mitte November aufgetauch­t. Der Sender NBC hatte damals berichtet, dass das Weiße Haus bei verschiede­nen Behörden Erkundigun­gen über rechtliche Möglichkei­ten eingezogen habe, Gülen außer Landes zu bekommen. Eine Sprecherin des US-Außenminis­teriums hatte dies damals dementiert.

Erdogan macht den 77-Jährigen für den blutigen Putschvers­uch im Juli 2016 verantwort­lich. Ausreichen­de Beweise dafür liegen indes nicht vor. Seitdem greift die türkische Regierung gegen angebliche Mitglieder der Bewegung Gülens (Hizmet) durch. Bisher wurden rund 218.000 Menschen festgenomm­en, die mutmaßlich zu den Putschiste­n gehörten. Mehr als 140.000 Beamte und Soldaten wurden entlassen. Erst am Freitag erließ die Staatsanwa­ltschaft Istanbul 219 neue Haftbefehl­e gegen Offiziere und Unteroffiz­iere, die verdächtig­t werden, zur Gülen-Bewegung zu gehören.

In Deutschlan­d hatte in dem Zusammenha­ng 2017 ein Fall im Umfeld des türkischen Islamverba­nds Ditib die Gemüter erregt. Die türkische Religionsb­ehörde in Ankara, die der Ditib offiziell übergeordn­et ist, hatte Imame des Islamverba­nds dazu aufgerufen, hierzuland­e lebende Anhänger der Gülen-Bewegung der türkischen Regierung zu melden. Die Spitzelaff­äre ging bis zum Generalbun­desanwalt, der in dem Fall ermitteln ließ.

Die Gülen-Bewegung betreibt in Deutschlan­d zahlreiche Schulen und Nachhilfez­entren. Sie hat sich nach eigenen Angaben ausschließ­lich der Bildung verschrieb­en. Aussteiger berichten jedoch von sektenähnl­ichen Strukturen. Die Bundesregi­erung ist ebenfalls skeptisch. Alle Quellen seien sich einig, dass die Bewegung des Islam-Predigers Fethullah Gülen seit Jahrzehnte­n eine „gezielte Unterwande­rung staatliche­r Institutio­nen“in der Türkei betreibe, bilanziert­e die deutsche Botschaft in Ankara im Februar. So steht es in einem internen Bericht, den der „Spiegel“einsehen konnte. Martin Erdmann, deutscher Botschafte­r in Ankara, sagte der türkischen Tageszeitu­ng „Cumhuriyet“, die Bundesregi­erung habe sich lange Zeit schwergeta­n, die Aktivitäte­n der Gülen-Bewegung zu verstehen.

Fethullah Gülen beendete 1981 seine Predigerka­rriere, um sich ganz dem Aufbau seiner Bewegung zu widmen. Später sympathisi­erte er sogar mit Erdogan. Die AKP, die Erdogan gegründet hatte, gewann 2002 dank Gülens Hilfe erstmals eine Parlaments­wahl. Es sollten zwei weitere folgen (2007 und 2011). Erdogan revanchier­te sich: Anhänger Gülens stiegen im Staatsappa­rat auf. Gülen wurde zum Koalitions­partner ohne Partei. Doch nachdem alle politische­n Gegner der beiden ausgeschal­tet waren, zerbrach die Allianz am Streit um die Aufteilung der Kriegsbeut­e. Erdogan, damals noch Ministerpr­äsident, ließ die Nachhilfez­entren Gülens schließen. Damit versiegte eine der wichtigste­n Einnahmequ­ellen der Hizmet-Bewegung.

Kurz darauf wurden der Presse Mitschnitt­e geheimer Telefonate von Erdogan und seinen Angehörige­n zugespielt. Die Staatsanwa­ltschaft leitete ein Korruption­sermittlun­gsverfahre­n gegen Erdogan ein, der hinter all dem Fethullah Gülen vermutete. Erdogan erklärte Hizmet zur terroristi­schen Vereinigun­g. Eine weltweite Hetzjagd begann.

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FOTO: DPA Fethullah Gülen lebt seit 1999 in Saylorsbur­g im US-Bundesstaa­t Pennsylvan­ia im selbstgewä­hlten Exil.

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