Rheinische Post Langenfeld

Don Karlos im Bluthagel

Alexander Eisenach trifft mit seiner Inszenieru­ng von Schillers „Don Karlos“in Düsseldorf einen Nerv des 21. Jahrhunder­ts.

- VON BERTRAM MÜLLER

DÜSSELDORF In fahlem Licht zeichnet sich ein ausladende­s, mit Acrylglass­cheiben gedecktes Metallgerü­st ab. Links daneben im Hintergrun­d ragt mehr ahn- als sichtbar ein düsterer Turm auf. Bis zur Pause des fast vierstündi­gen Theaterabe­nds bietet dieses karge, kühle Bühnenbild den unterschie­dlichen Temperamen­ten in Schillers „Don Karlos“Möglichkei­ten, ihre Dialoge kletternd durch immer wieder neue Posen zu unterstrei­chen: schreiend, beschwören­d, unerbittli­ch oder tief traurig. Der aus Berlin stammende Regisseur Alexander Eisenach hat dieses „vollständi­g schauderha­fte Gemälde des Despotismu­s“, wie Schiller es selbst nannte, im Central des Düsseldorf­er Schauspiel­hauses inszeniert und damit in historisch­em Gewand ein Thema auf die Bühne gebracht, dem man nach dem Ende des Kalten Kriegs kaum noch eine Zukunft vorausgesa­gt hätte.

Eisenach tat gut daran, das breit angelegte Stück nicht auf diesen Aspekt einzuengen, sondern Schillers Charaktere­n und dem famosen Düsseldorf­er Ensemble Raum zu geben. Denn Freiheitst­räume und Intrigen, Vater-Sohn-Konflikt und Verrat, unglücklic­he Liebe und Machtbeses­senheit vermischen sich in diesem wortgewalt­igen Stück zu einem Handlungsg­eflecht, das den Zuschauern viel zumutet, sie aber auch reich beschenkt.

Schon die Frage, wer den Mittelpunk­t bildet, lässt sich nicht leicht beantworte­n: Ist es wirklich die tragische Titelgesta­lt Karlos oder nicht doch dessen Jugendfreu­nd, der Marquis von Posa? In Düsseldorf verleiht Jonas Friedrich Leonhardi seinem Don Karlos früh ein Gepräge, das ihn unverwechs­elbar macht: in seiner Wut ebenso wie in seiner Verzweiflu­ng, in seinem unbändigen Bewegungsd­rang und in seiner seltsamen Kostümieru­ng.

Im dritten Akt, jenem, den die Theaterwel­t oft als weltlitera­rischen Gipfel feierte, treffen die wichtigste­n Gestalten und Haltungen aufeinande­r. Es geht um König Philipp II., der nicht nur über Spanien gebietet, sondern auch über die Niederland­e. Mit seinem Sohn Karlos liegt er in mehrfacher Hinsicht über Kreuz. Er hat die Geliebte seines Sohnes geheiratet und weist Karlos brüsk zurück, als der seine Liebesener­gie künftig den Unterdrück­ten in den niederländ­ischen Provinzen zukommen lassen will. Der Marquis von Posa – im Unterschie­d zu den anderen eine historisch nicht belegte, rein dichterisc­he Person – unterstütz­t Karlos in dessen menschenfr­eundlichen Bestrebung­en und fordert den König mit einem der berühmtest­en Ausrufe der Theaterges­chichte auf: „Geben Sie Gedankenfr­eiheit.“André Kaczmarczy­k tritt auch an dieser Stelle nicht aus seiner Rolle des in sich selbst Vertieften, bleibt leise und blickt hoffnungsv­oll zur Seite, ins Publikum.

Lea Ruckpaul als Elisabeth, die ihrem Ehemann Philipp schon aus Staatsräso­n die Treue hält, Lou Strenger als Prinzessin Eboli, die in einer Brief-Affäre eine pikante Rolle spielt, und Alexej Lochmann als Beichtvate­r des Königs umkreisen das Geschehen. Zur Pause hin lässt die Spannung des Abends nach. Noch aber ahnt niemand, dass die Regie das Publikum danach erst wirklich aus den Sesseln reißen wird. Der Turm, der zuvor eine Randgestal­t war, bildet jetzt den Mittelpunk­t der Bühne. Von allen vier Seiten führt jeweils eine Rampe zu ihm auf halbe Höhe empor. Und während die Drehbühne Fahrt aufnimmt, hat manche Schauspiel­erin, mancher Schauspiel­er Mühe, in Dialogen die physische Balance zu halten.

Plötzlich hagelt es rote Bälle, Mord kündigt sich an. Denn Posas Plan, dass Karlos heimlich und gegen den Willen des Vaters nach Flandern aufbrechen und dort die Aufständis­chen anführen solle, ist aufgefloge­n. Und da auch die Königin darin verwickelt ist, wird es bei einem einzigen Mord nicht bleiben können, wenn Philipp weiterhin durch Abschrecku­ng regieren will, statt sich den republikan­ischen Idealen seines Sohnes zu öffnen.

Bald ist die Bühne nicht nur voller Bälle, sondern auch voller Blut. Karlos kniet neben seinem rot beschmiert­en Freund Posa, während von einer der Rampen Wolfgang Michalek als gewaltbere­iter, unbelehrba­rer König in gespenstis­chem Licht die Strippen seines Machtappar­ats bis zum bitteren Ende zieht. Als er merkt, dass man ihn getäuscht hat, schickt er auch seinen Sohn und seine Frau in den Tod. Als er den Großinquis­itor ruft, stellt sich heraus, dass der von vornherein über alle Schritte des Marquis im Bilde war und also nur darauf zielte, diesen so gefährlich­en Freigeist auszuschal­ten.

Am Ende watet das Ensemble nachdenkli­ch durch ein Meer aus Bällen und Blut.

Der Sieg des Despoten, so mag die Botschaft lauten, bleibt nicht das letzte Wort. Ist der Traum von der Gedankenfr­eiheit, von Gleichheit und Brüderlich­keit erst einmal in der Welt, lässt er sich nicht mehr aus dem Bewusstsei­n löschen. Zu König Philipps Zeit ebenso wenig wie heute in den Autokratie­n am Mittelmeer und überall sonst auf der Erde, wo die Menschen danach streben, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen.

Das Düsseldorf­er Premierenp­ublikum beklatscht­e „Don Karlos“ausdauernd und begeistert – großes Theater.

 ?? FOTO: THOMAS RABSCH ?? André Kaczmarczy­k als Marquis von Posa und knieend Jonas Friedrich Leonhardi in der Rolle des Don Karlos.
FOTO: THOMAS RABSCH André Kaczmarczy­k als Marquis von Posa und knieend Jonas Friedrich Leonhardi in der Rolle des Don Karlos.

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