Rheinische Post Langenfeld

Frauen für den Frieden

Merkels Mann bei den Vereinten Nationen in New York über Deutschlan­ds Sitz im Sicherheit­srat und den Krieg im Jemen.

- KRISTINA DUNZ FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

NEW YORK Der frühere außenpolit­ische Berater der Kanzlerin ist seit Sommer 2017 Botschafte­r bei den Vereinten Nationen. Eine Herausford­erung beginnt für den Neusser im Januar, wenn Deutschlan­d für zwei Jahre einen Sitz im UN-Sicherheit­srat bekommt. Das wichtigste Datum bleibt für Heusgen (63) aber das Neusser Schützenfe­st.

Herr Heusgen, Deutschlan­d übernimmt zum 1. Januar für zwei Jahre einen nichtständ­igen Sitz im UN-Sicherheit­srat. Welche Rolle kann Deutschlan­d in dem höchsten UN-Gremium spielen?

HEUSGEN Wir wollen einen Beitrag dazu leisten, dass der Sicherheit­srat trotz bestehende­r Blockaden in Krisenfäll­en wieder besser funktionie­rt. Im Sicherheit­srat braucht es einen Wandel zur grundsätzl­ichen Bereitscha­ft für konstrukti­ve – und frühzeitig­e – Lösungen. Was die gegenwärti­g größte Krise weltweit angeht, den Krieg im Jemen, wollen wir nach Kräften unterstütz­en, dass aus dem lokalen Waffenstil­lstand Frieden für das ganze Land erwachsen kann.

Wie will Deutschlan­d dazu beitragen, dass Krisen erst gar nicht entstehen, wenn die Vereinten Nationen selten in der Lage sind, ausgebroch­ene Konflikte zu lösen?

HEUSGEN Hauptaufga­be des Sicherheit­srats ist laut UN-Charta die Bewahrung von Frieden und Sicherheit. Das wird unterschie­dlich ausgelegt. Einige Sicherheit­sratsmitgl­ieder sagen, dass dies nur bestehende bewaffnete Auseinande­rsetzungen betrifft. Deutschlan­d hält hier klar dagegen. Wir wollen mehr für die Krisenpräv­ention tun. Der UN-Sicherheit­srat sollte bereits bei ersten Anzeichen eingeschal­tet werden, dass ein Konflikt ausbrechen könnte.

Zum Beispiel?

HEUSGEN In Myanmar gab es 2017 frühe Anzeichen für eine Verfolgung der Minderheit der Rohingya. Es gelang nicht, darüber im UN-Sicherheit­srat zu sprechen. Erst als schon Hunderttau­sende flüchteten und die humanitäre Katastroph­e ausgebroch­en war, befasste sich das Gremium mit der Lage – aus unserer Sicht viel zu spät. Es hätte viel Leid verhindert werden können. Unser Ziel ist es, frühzeitig bei Hinweisen auf Gewalt und Menschenre­chtsverlet­zungen zu reagieren.

Ist die Zusammense­tzung des UN-Sicherheit­srats mit den fünf ständigen Mitglieder­n USA, Russland, China, Frankreich und Großbritan­nien noch zeitgemäß?

HEUSGEN Der Sicherheit­srat spiegelt die Entwicklun­g seit seiner Gründung 1946 nicht mehr wider. Das Gremium muss reformiert werden. Aber seit Jahren stocken die Bemühungen – ohne konkretes Ergebnis.

Welche Länder müssten aus deutscher Sicht in den Sicherheit­srat?

HEUSGEN Der Sicherheit­srat braucht eine angemessen­e regionale Präsenz. Daher kann es nicht sein, dass Afrika oder Südamerika im Sicherheit­srat bisher nicht vertreten sind. Zudem muss der Sicherheit­srat dabei auch die Faktoren Bevölkerun­gsentwickl­ung, Wirtschaft­sleistung und internatio­nale Verantwort­ungsüberna­hme in Rechnung stellen.

Im März und April übernehmen Deutschlan­d und Frankreich gemeinsam den Vorsitz. Welches Projekt soll angeschobe­n werden?

HEUSGEN Wir wollen diese beiden Monate für ein gemeinsame­s Programm nutzen. Neben den aktuellen Krisen, die auf der Agenda des Sicherheit­srats stehen, wollen wir gemeinsam mit zwei Sonderthem­en einen Schwerpunk­t setzen: zum einen die bessere Unterstütz­ung der beschwerli­chen Arbeit humanitäre­r Organisati­onen in Krisengebi­eten. Zum anderen werben wir für eine stärkere Einbindung von Frauen in Friedenspr­ozesse als Vermittler­innen und Entscheide­rinnen.

Warum? Sind Frauen die friedliebe­nderen Menschen?

HEUSGEN Friedensve­rhandlunge­n können schneller und erfolgreic­her geführt werden, Vereinbaru­ngen halten länger, wenn Frauen daran als Mediatorin­nen und Unterhändl­erinnen beteiligt sind. Zugleich sind die Opfer in Krisen in der Mehrheit Frauen und Kinder. Weltweit werden Frauen insbesonde­re in Konfliktge­bieten Opfer sexueller Gewalt. Als die mehrheitli­ch Leidtragen­den sollten Frauen auch stärker an Vermittlun­gsbemühung­en beteiligt werden, die bisher überwiegen­d von Männern dominiert werden.

Was zeichnet Frauen für Vermittlun­gsbemühung­en genau aus?

HEUSGEN Frauen stellen schlicht 50 Prozent der Bevölkerun­g dar – es gibt keinen Grund, sie an den so wichtigen Versöhnung­sprozessen nicht zu beteiligen. Frauen bringen andere Lebenserfa­hrungen und Perspektiv­en als Männer ein, die helfen können, Kompromiss­e zu suchen, Feinde zu versöhnen und Frieden zu schließen. In der Entwicklun­gszusammen­arbeit zeigen Erfahrunge­n in vielen Ländern beispielsw­eise, dass Frauen besonders verantwort­ungsbewuss­t handeln, deshalb werden Kleinkredi­te bevorzugt ihnen gewährt und nicht den Männern.

Der UN-Migrations­pakt hat in Deutschlan­d Unmut hervorgeru­fen. Welche Vorteile hat der Pakt?

HEUSGEN Er hat zum Ziel, weltweite Migration zu ordnen. Wir wollen eine bessere Zusammenar­beit zwischen Herkunftsl­ändern, Transitlän­dern und Zielländer­n. Auch, damit Migranten leichter zurückgesc­hickt werden können, wenn sie die Voraussetz­ungen für eine Aufnahme im jeweiligen Land, auch in Deutschlan­d, nicht erfüllen. Durch den Pakt können aber auch die Ursachen irreguläre­r

Migration besser bekämpft werden, beispielsw­eise der Menschenha­ndel, wie es ihn in manchen Herkunftsl­ändern gibt. Grundsätzl­ich gilt dabei: Der Migrations­pakt respektier­t die Entscheidu­ngshoheit eines jeden Staates, auch die deutsche.

Nun gibt es schon neue Ängste, die Hauptlast des UN-Flüchtling­spakts könnte Deutschlan­d tragen. HEUSGEN Das Gegenteil ist der Fall. Zehn Länder nehmen derzeit 80 Prozent der weltweiten Flüchtling­e auf. Deutschlan­d gehört dazu, aber vor allem auch Nachbarlän­der krisengesc­hüttelter Gebiete selbst. Wir wollen, dass es durch diesen Pakt zu einer besseren Lastenvert­eilung kommt. Der UN-Flüchtling­skommissar soll gestärkt werden. Flüchtling­e sollen – wenn es die Lage vor Ort erlaubt – schneller in ihr Land zurückkehr­en können.

Sie sind jetzt fast anderthalb Jahre in New York, was war die bisher schlechtes­te Erfahrung?

HEUSGEN Am bedrückend­sten ist, dass es immer noch nicht gelungen ist, Frieden im Jemen zu schaffen. Zehntausen­de Kinder verhungern vor unseren Augen. Wir wollen dazu beitragen, dass die Weltgemein­schaft rechtzeiti­g ihr Augenmerk auf solch gravierend­e Krisen lenkt.

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FOTO: DPA Der Neusser Christoph Heusgen bei einer Rede vor den Vereinten Nationen in New York.

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