Rheinische Post Langenfeld

Schauspiel Köln: Richard Siegal zerlegt die Sprache

- VON DOROTHEE KRINGS

KÖLN Was, wenn der Sprache überhaupt nicht mehr zu trauen wäre? Weil Menschen heucheln und lügen, weil sie ihr Sprechen nutzen, um vorzutäusc­hen, was sie nicht sind, und auszugrenz­en, wen sie bedrohlich finden. Der amerikanis­che Choreograf Richard Siegal hat sich für sein neues Stück „Roughhouse“, das jetzt am Schauspiel Köln seine Uraufführu­ng erlebte, an die Sprache gewagt. Der Choreograf hat ein Stück geschriebe­n, das Sprechhalt­ung imitiert, persiflier­t, verwirft, das in einem Moment politisch korrekt Respekt fordert und im nächsten die Freiheit, in jede Tabuzone vorzudring­en, jedes Reizwort auszusprec­hen. Aus einem Wust an Zitaten, Sprachcode­s, Jargon hat Siegal eine Textfläche gesampelt, in der sich die Gegenwart in all ihrer Zerrissenh­eit durch ihre Sprache selbst verrät. Von Schlagwört­ern wie „me too“, Opfer-Betroffenh­eits-Antidiskri­minierungs-Sprechpose­n bis zu Spielarten der Hassrede reicht sein Repertoire. Entstanden ist ein Roughhouse – ein wildes Spiel, bei dem Menschen bis an die Schmerzgre­nze gehen.

Doch der Choreograf Siegal gewinnt aus dem eigenen Text die Bewegung zurück. Die Tänzer seines „Ballet of Difference“und einige körperspra­chlich ebenfalls sehr begabte Darsteller des Kölner Ensembles lassen die Sprechakte Besitz ergreifen von ihren Körpern. Und so raufen sie manchmal auf dicken Turnmatten, die das Bühnenbild bereithält. Sie spielen Revolution­är und Terrorist, Angreifer und Opfer, ausgrenzen­de Mehrheit und hilflose Minderheit. Und als ihnen die Wörter gänzlich zerbrechen und sie nur noch Silben stammeln können wie Roboter, deren Software durchdreht, da ist auch die Bewegung virtuoses Stückwerk.

Allerdings bleibt diese gespielte, getanzte Sprach- und Zeitkritik selbst hermetisch. Siegal hat keine Figuren geschaffen, mit denen sich Zuschauer identifizi­eren könnten. Zwar gibt es komische Momente, aber auch die sind verkopft. So ist dieses Körperthea­ter seltsam unsinnlich. Siegal verweigert Momente purer Schönheit, in denen der Zuschauer die Kunst der Tänzer genießen könnte. Auch die hohe Sprache der Bühne kommt nicht zum Zug. Aischylos wird deklamiert, doch der Darsteller­in fehlt ständig der Text. Die „Orestie“sei gestohlen, heißt es da, der kulturelle Schatz Europas einfach geklaut.

Es ist ein anstrengen­der Abend, den Siegal aus tiefster Sprach- und Gegenwarts­skepsis geboren hat. Und manchmal wünschte man, er sei beim Tanz, bei purer Körperspra­che geblieben. Doch ist die totale Deformatio­n von Kommunikat­ion, die der Choreograf in „Roughhouse“betreibt, nur ein Weiterdreh­en der Manipulati­on von Sprache, die täglich zu erleben ist. Nein, der Sprache der Gegenwart ist nicht mehr zu trauen. Es ist kein Vergnügen diese Krise auf der Bühne anzusehen, aber höchste Zeit.

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FOTO: THOMAS SCHERMER Courtney Henry in „Roughhouse“.

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