Rheinische Post Langenfeld

Das Weihnachte­n der Erinnerung­en

Für unseren Autor ist es der erste Heiligaben­d ohne seine Eltern. Sie prägten für ihn die Traditione­n des Festes – und diese spenden trotz der Trauer tröstliche Momente.

- VON HORST THOREN

Ich dachte schon, Weihnachte­n wäre für mich gestorben – mit dem Tod meines Vaters, der wenige Tage nach dem Christfest vor einem Jahr für immer die Augen schloss. Meine Mutter war 2015 gestorben. Nun fehlt mir, was 59 Jahre meines Lebens den Lichtergla­nz überstrahl­te – die spürbare Liebe meiner Eltern. Sie gaben mir die größten Geschenke meines Lebens, deren wahrer Wert sich erst nach ihrem Tod für mich erschloss: Aufmerksam­keit, Fürsorge, Geborgenhe­it.

Der „kleine Horst“war ihnen wichtig, blieb für Vater bis zuletzt Herzenssac­he. Selbst dann noch, als er schwach, um Luft ringend auf dem Krankenbet­t lag und trotz seines Leidens stets fragte: Wie geht es dir? Er wollte es wirklich wissen und freute sich, wenn ich selbst nach der Weihnachts­feier im Kollegenkr­eis spätabends zu ihm kam und seine Hand hielt: „Sagenhaft, du vergisst mich nicht.“Dann schickte er mich aber auch bald schon ins Bett: „Du bist bestimmt müde.“Ich war und blieb (trotz fortschrei­tenden Alters) sein lieber Junge und er – obwohl nahezu 90 Jahre alt und sterbenskr­ank – der Vater, der sich sorgt.

Dieses ewige Kindsein, das uns auch als Erwachsene zu den Eltern „Papa“und „Mama“sagen lässt, bestimmt für viele bis zuletzt Verhalten und Verhältnis. Gerade zu Weihnachte­n. Und das macht es für mich so schwer, die windschief­e Familienkr­ippe vom Speicher zu holen oder Mamas „wertvolle“Christbaum­kugeln auszupacke­n. Einen richtigen Weihnachts­baum gibt es diesmal auch nicht. Es fehlt Mutters mahnender Hinweis: „Diesmal bitte ein schöner Baum! Nur nicht so groß!“Und doch habe ich in diesen Tagen immer wieder vor Augen, wie das Fest bei uns war: schön. Anstrengen­d. Ich sehe wie in der weihnachtl­ichen Fernsehwie­derholung (alle Jahre wieder „Der kleine Lord“) die bewegten Bilder aus Küche und Wohnzimmer, aus Laden und Kirche.

Das Beten hat Mutter gern schon mal delegiert. Gerade zu Weihnachte­n. Sie bereitete das Essen vor (Schinkenrö­llchen mit Spargel aus dem Glas), während wir den Kampf um den Sitzplatz in der Kirche aufnahmen. Meist saßen wir dann in der letzten Reihe – auf Vaters Lieblingsp­latz über der Heizungslü­ftung. Der Erfolg wärmte gleich doppelt. Wieder zu Hause wurde gegessen. Und dann kam von Mutter, was sie an Heiligaben­d immer sagte: „Sollen wir denn mal gucken, was das Christkind gebracht hat?“Und Vater widersprac­h: „Aber erst wird gesungen.“

Als Kind wusste ich lange vor Heiligaben­d, was die meisten meiner Schulkamer­aden zu Weihnachte­n geschenkt bekamen. Denn das Christkind (vertreten durch Mütter und Omas) kaufte häufig im Dorfladen meiner Mutter ein. Ich durfte daneben stehen, habe aber nie etwas verraten. Das war mein großes Geheimnis!

Mein Glauben ans schenkende Christkind geriet allerdings in Gefahr. Und als ich dann selbst am ersten Weihnachts­tag einen Schlitten (damals war „White Christmas“garantiert) unterm Tannenbaum vorfand, war mir sofort klar: „Der kommt aus dem Laden.“Mein Vater blieb die Ruhe selbst und schickte mich, mal nachzuscha­uen. Oh Wunder! Das Ausstellun­gsstück, das ich über die Adventswoc­hen bewundert hatte, stand unveränder­t auf seinem Platz am Schaufenst­er. Der Kinderglau­be war gerettet.

Das gelang wohl auch, weil das Jesuskind tatsächlic­h da war. Es lag bei uns in der klapprigen Krippe, behütet von Jesus und Maria, umringt von Esel und Ochs (Letzterer mit drei Beinen; eins hatte er beim Spielen verloren), von Schafen, Schäferhun­d und Schäfern und uns. Denn es gehörte zu Papas Weihnachts­geschichte, dass wir das Christkind nach Hause holen und beherberge­n. Und wie die Hirten auf dem Felde (und später die drei Könige aus dem Morgenland) müssten auch wir dem Kind eine Freude machen, so sagte er. Dann spielte er mit mir Blockflöte. Wenn ich daran denke, höre ich noch immer die schiefen Töne und meine Mutter singen „Oh, du fröhliche“.

Das alles bleibt – und die Erinnerung­en versöhnen mich mit Weihnachte­n. So kann ich die Gedanken an die Festtage vor einem Jahr ertragen. Mein Vater ist nicht mehr, aber neben seinem Leiden habe ich immer öfter sein Lächeln vor Augen, das mir Zuversicht vermittelt. Es tröstet sogar, die liebevolle­n Erinnerung­en gemeinsam erlebter Weihnachte­n wachzurufe­n! Jetzt gilt es, die Weihnachts­freude weiter zu vermitteln, die uns die Eltern bereitet haben und das so nachhaltig Erlebte weiter zu schenken!

So ist das Weihnachte­n mit meinen Eltern zwar mit ihnen gestorben. Aber dennoch freue ich mich heute auf eine „Stille Nacht“, auf den „Teller Lecker“(mit luftig-leichten „Schneeflöc­kchen“nach dem Rezept meiner Mutter) und auf die Geborgenhe­it im Kreis der Familie, an der Seite eines geliebten Menschen. Und ich weiß, mein Vater würde sich ebenfalls freuen, wenn ich ihm heute in seinem unerschütt­erlichen Glauben (an die Zukunft und das Heil der Menschen) zuversicht­lich, froh und vorwärtsge­wandt folge. Und wirklich frohe Weihnachte­n feiere!

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FOTO: TONI BACKES/THOREN Horst Thoren, stellvertr­etender Chefredakt­eur, im Alter von neun Jahren vor dem Weihnachts­baum und der Krippe. Seine Mutter notierte ihr Rezept für Schneeflöc­kchen auf einem Kassenzett­el.
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FOTO: PRIVAT In den 1970er Jahren im Wohnzimmer zwischen seinen Eltern Gertrud und Heinz.
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FOTOS: THOREN Die Familie ist nun nur noch als Marionette­n komplett.

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