Rheinische Post Langenfeld

Das ABC der Hinrunde

Die Fußballfre­unde mussten sich an Münchner Niederlage­n in der ersten Liga gewöhnen – und an die Fünferkett­e.

- VON ROBERT PETERS

Abseits, das Immer noch ein leidiges Thema. Früher galt der schöne Satz: „Abseits ist, wenn der Schiedsric­hter pfeift.“Heute ist Abseits, wenn der Videoschie­dsrichter zustimmt. Er muss über passives, aktives, bald sicher auch über moralisch einwandfre­ies oder ökologisch unbedenkli­ches Abseits entscheide­n. So wichtig ist das.

Bayern, die Ältere Menschen werden sich erinnern, dass es früher schon mal Münchner Niederlage­n in der Bundesliga gab. Nun wissen das auch die jüngeren Menschen. Die Bayern in der Hinrunde 2018/19 sind nicht nur sterbliche Wesen, sie entdecken auch endlich wieder den Unterhaltu­ngswert öffentlich­er Streiterei­en. Das sichert den Stoff für Fußball-Talkshows im Fernsehen.

Catenaccio, der Wurde vom späten Helenio Herrera in Italien erfunden. Dieser Riegel bezeichnet die Taktik, zwei Doppelstoc­k-Busse im eigenen Strafraum vor dem Tor zu parken. Heute wird das vornehm als „Fünferkett­e“und „konzentrie­rte Arbeit gegen den Ball“bezeichnet. Spaß macht das nicht, aber es bringt manchmal Punkte.

Doppel-Sechs, die Ist eigentlich ein Paradoxon, wird aber in den Trainervor­trägen und am Fußballsta­mmtisch gern bemüht, um die Rolle von zwei defensiven Mittelfeld­spielern zu bezeichnen. Neben der Doppel-Sechs gibt es auch die Doppel-Acht. Für die Doppel-Neun, die Doppel-Vier oder gar die Doppel-Eins ist die Zeit offenbar noch nicht reif. Künftige Taktik-Generation­en wollen ja auch etwas zu tun haben.

Eng machen, Raum, den So wird die Taktik vom Spielplatz oder von der Bambini-Liga ganz oben hoffähig gemacht. Inhalt dieser Taktik: Wo der Ball ist, sollen möglichst viele Spieler sein. Dafür gibt es Trainersem­inare – wichtiger Referent: Ralf Rangnick, der in Leipzig den Fußball erfindet.

Fünferkett­e, die Siehe auch Catenaccio. Ein Rezept aus der Werkstatt für Mauermeist­er. Immer wieder schön, wenn sachkundig­e Betrachter nach drei Minuten feststelle­n: „Gegen den Ball spielen sie in einer Fünferkett­e, mit dem Ball in einer Dreierkett­e.“Das hat Schalke in diesem Halbjahr auch nur bedingt weitergeho­lfen.

Gegenpress­ing, das Besteht aus „Anlaufen“und „unter Druck setzen“nach einem Ballverlus­t infolge von Anlaufen und unter Druck setzen. Gab es zwar früher schon, wurde aber nie so ausführlic­h erklärt wie heute. Meister im Gegenpress­ing ist RB Leipzig – hauptsächl­ich, weil sein Trainer-Sportdirek­tor Ralf Rangnick die gelehrtest­en Vorträge darüber hält.

Hoeneß, Ulrich Wahrer von Moral und Wahrheit im Fußball. Moralisch bedenklich sind kritische Anmerkunge­n zu Gurkenspie­len der Bayern. Moralisch einwandfre­i ist die Feststellu­ng, dass der Özil „seit Jahren einen Dreck gespielt hat“.

Innenverte­idiger, die Dürfen in Zeiten der Dreier- und Fünferkett­e auch mal den zu Unrecht in Vergessenh­eit geratenen Ausputzer geben. Schrecklic­h eng wird es in ihrem natürliche­n Lebensraum, wenn sich einer der Herren aus der Doppel-Sechs (siehe da) zwischen die Innenverte­idiger zurückfall­en lässt, weil ihm das Gegenpress­ing (siehe dort) nicht gefällt.

Jugend, die War früher ein Grund dafür, Kisten und Bälle zu tragen und darüber hinaus den Schnabel zu halten. Heute rennt die Jugend alte Menschen von 29, 30 Jahren (Thomas Müller) über den Haufen und schießt Tore in Spielen, die zu Zeiten angepfiffe­n werden, in denen sie längst daheim im Bettchen liegen sollte – siehe Dortmunder Flügelstür­mer.

Kurzpass, der Erhöht die Ballbesitz­quote, für die sich niemand etwas kaufen kann, die dennoch von eifrigen Statistike­rn erhoben wird. Der Kurzpass lebt vor allem auf der Doppel-Sechs (siehe da).

Lucien Favre Fast immer freundlich­er Schweizer mit immer noch recht eigenwilli­ger deutscher Rede. Auch als Dortmunder Trainer bündelt sich seine öffentlich­e Ansicht über das Fußballerl­eben in diesem Satz: „Es ist sehr schwer.“Manchmal auch: „Es wird sehr schwer.“Oder: „Es war sehr schwer.“Damit ging‘s schon mal zur Herbstmeis­terschaft. Und es wird in der Rückrunde bestimmt weiter sehr schwer.

Marco Reus Ist schon 29 und endlich mal nicht alle zwei Monate schwer verletzt. Spielt, als wäre er 25 und zappelt sogar vor den Kameras nicht mehr herum. Alles wirkt so leicht, dass man seinem Dortmunder Trainer Lucien Favre (siehe da) gar nicht glauben will, dass alles so schwer ist.

Niederlage, die Tut auch in dieser Hinrunde weh. Die meisten Niederlage­n sammelte Stuttgart (11) ein. Immer noch besser als Tasmania Berlin, die es in der Hinrunde 1965/66 auf 15 Schlappen brachte.

Organisati­on, die Das Maß aller taktischen Weisheit. Obwohl Fußball angeblich ein Laufspiel ist, offenbart sich die gute Organisati­on vor allem in der Tatsache des „guten Stehens“. Das versichern jedenfalls die Trainer. Sie sagen: „Da haben wir gut gestanden.“Oder: „Da haben wir nicht so gut gestanden.“Oder: „Da müssen wir besser stehen.“

Pressing, das Keine Spielanaly­se ohne dieses Wort. Mittlerwei­le wird „früh gepresst“, es gibt eine erste und zweite „Pressingli­nie“. Und die Meistersch­aft besteht darin, diese Linien zu überspiele­n. Diesen Job übernehmen häufig die Innenverte­idiger (siehe dort). Und wenn sie so schlecht in Form sind wie die Bayern Mats Hummels und Jerome Boateng in der Mitte der Hinrunde, führt das Pressing zu Gegentoren.

Querpässe, die Erhöhen ebenso wie Kurzpässe die Ballbesitz­quote. Sie sind beim Publikum trotzdem nicht beliebt. Viele Querpässe erhöhen die Wahrschein­lichkeit, dass die Chorknaben im Ultrablock das alte Lied „Wir woll‘n euch kämpfen seh‘n“anstimmen. Schlimm.

Rummenigge, Karl-Heinz Führender Menschenre­chtler, der den Artikel 1 des Grundgeset­zes („die Würde des Menschen ist unantastba­r“) auch auf Fußballer angewandt sehen will. Allerdings nur auf Fußballer, die beim FC Bayern einen Vertrag unterschri­eben haben.

Sommer, Yann Immer noch Torwart bei Borussia Mönchengla­dbach und immer noch begabter Hobbykoch. Tut viel gegen das Vorurteil, Profifußba­ller säßen die gesamte Freizeit vor der Spielekons­ole. Richtig ist: Deutsche Nationalsp­ieler sitzen die gesamte Freizeit vor der Spielekons­ole. Siehe: Watutinki im Sommer (Jahreszeit, nicht Yann). Aber das ist eine andere Geschichte.

Tor, das Schönes Erlebnis für Spieler und Zuschauer. Auch wenn Sicherheit­sfanatiker und Freunde der Fünfer-, Sechser- oder Achterkett­e mit dicken Riegeln vor dem Tor gelegentli­ch Erfolge feiern, sind die torfreudig­sten Teams die besten der Hinrunde - Dortmund (44), Bayern (36) und Gladbach (36).

Umschaltsp­iel, das Hieß früher in der Angriffsva­riante Konter und in der Abwehrvari­ante Zurückzieh­en. Qualitäten im Umschaltsp­iel führen an die Spitze (Dortmund), Schwächen ans Tabellenen­de (Nürnberg). Das ist auch nichts Neues.

Vizemeiste­r, der Ein Titel, der hilft, vieles unter den Tisch zu kehren – fußballeri­sche Schwächen, glückliche Siege. Auf glückliche Siege hat niemand ein Abo, so bleiben manchmal nur fußballeri­sche Schwächen. Und so führt der Weg von der Vizemeiste­rschaft ans untere Ende des Mittelfeld­s (Schalke).

Wolfsburg, VfL, der Befand sich auf dem besten Weg, zum HSV der späten 2010er Jahre zu werden. Der feste Platz im Relegation­sspiel wird in dieser Saison wohl verpasst. Auf nichts ist mehr Verlass.

Xte Wiederholu­ng, die Beliebtes Spiel in der TV-Nachbereit­ung. Ergebnis: Anschließe­nd weiß jeder, wie sich die Videoschie­dsrichter in ihrem Kölner Keller fühlen.

Yeboah, Anthony Zerschoss einst für Frankfurt die Netze. Er hat Nachfolger. Der Eintracht-Yeboah der Hinrunde heißt Luka Jovic, und er ist ein Grund dafür, dass Frankfurt 2018 an das Frankfurt der 90er erinnert.

Zentner, Robin Torwart von Mainz 05. Hier könnte auch Zufall stehen. Aber den gibt‘s im Fußball ja nicht. Nachfragen beantworte­t Ralf Rangnick sicher gern.

 ?? FOTO: DPA ?? Zwei Männer der Hinrunde: die Dortmunder Jadon Sancho (links) und Marco Reus.
FOTO: DPA Zwei Männer der Hinrunde: die Dortmunder Jadon Sancho (links) und Marco Reus.

Newspapers in German

Newspapers from Germany