Rheinische Post Langenfeld

Leerlauf in der Reflexions­maschine

Stefan Bachmann inszeniert Elfriede Jelineks neues Stück „Schnee Weiss (Die Erfindung der alten Leier)“im Kölner Schauspiel.

- VON MAX FLORIAN KÜHLEM

KÖLN Dom, Kölsch und Karneval – Köln ist für vieles bekannt, aber definitiv nicht als Skigebiet. Es darf daher verwundern, dass die Uraufführu­ng von Elfriede Jelineks neuem Stück „Schnee Weiss (Die Erfindung der alten Leier)“im Kölner Schauspiel stattfand. Die Literaturn­obelpreist­rägerin behandelt darin einen sexuellen Missbrauch­sskandal im österreich­ischen Skisport – nicht unbedingt als Thema, aber als Ausgangspu­nkt für eine ihrer dichten, assoziativ­en, wortwandle­rischen Textskulpt­uren, für eine Generalabr­echnung mit der menschlich­en Moralfähig­keit.

Dass die Uraufführu­ng nach Köln fand, ist allerdings auch folgericht­ig, weil Intendant Stefan Bachmann dort schon einmal ein Indoor-Skigebiet eröffnet hat – zu seiner Übernahme von Jelineks „Winterreis­e“, die mit dem Sportskano­nenirrsinn endet, den man den geduldigen Bergen jeden Winter antut. „Schnee Weiss“beginnt so wie eine Fortsetzun­g, wenn fünf Darsteller zu den schlimmste­n Après-Ski-Hits einen noch blütenweiß­en Abhang mehr hinunterfa­llen als -fahren. „Ich verkaufe meinen Körper“, dröhnt es aus den Lautsprech­ern, „ganz ganz billig.“Von der Vorstellun­g, wie angetrunke­ne Menschen zu solchen Textzeilen abfeiern, ist es nicht mehr weit in das dunkle Herz des Textes.

Er geht aus von den Vorwürfen der ehemaligen Abfahrtsme­isterin Nicola Werdenigg, die Anfang des Jahres sexuelle Übergriffe in österreich­ischen Skiinterna­ten aus den 1970er- und 80er-Jahren öffentlich machte. Bis heute wurden die Vorfälle nicht aufgearbei­tet. Elfriede Jelinek geht es allerdings nicht darum, Fakten zu transporti­eren, ihre Texte sind quasi das Gegenteil einer journalist­ischen Recherche. Zuschauer, die das Programmhe­ft nicht gelesen haben, werden vielleicht nur intuitiv erahnen, worum es geht.

Die alte Leier aus dem Stück-Untertitel ist für die Autorin die uralte Frage nach der menschlich­en Moral. In ihrer wilden Phantasie, die Stefan Bachmann als Ausstattun­gsorgie mit Puppen- und Horrorclow­n-Masken, Fatsuits, Skistiefel­n und Theaterblu­t bebildert, tauchen drastische Vergewalti­gungsszene­n auf, Frauen fügen sich mit offenem Schoß in ihre Rolle als allverfügb­are Spielbälle im Spiel der Machtmänne­r. Ein doppelter Jesus steigt verzweifel­t von seinem Kreuz aus Skiern – eigentlich ist er doch für die Sünden der Menschen gestorben. Ein abgetrennt­er Kopf erklärt auf der Kehrseite des Bühnenhüge­ls in einer Schaugruft seinen Fetischcha­rakter und schimpft über die menschlich­e Doppelmora­l: Er muss sich als Trophäe begaffen lassen, statt in Frieden zu ruhen. So wie die Skifahreri­nnen sich als Heldinnen feiern lassen müssen, anstatt für sexuelle Selbstbest­immung zu kämpfen, sich als Opfer über ihre Täter zu erheben.

Obwohl Stefan Bachmann Jelineks 90 Seiten Text auf zwei Bühnenstun­den eingedampf­t hat, läuft sich die handlungsl­ose Reflexions­maschine doch irgendwann leer, und man geht mit schwarzen Gedanken heim: keine Hoffnung, nirgends. Im Gegenteil endet das Stück mit einem Cliffhange­r, erzählt von der Vergiftung des Halbbruder­s des nordkorean­ischen Präsidente­n auf dem Flughafen Kuala Lumpur. Die wird wohl bald neues Futter für Elfriede Jelineks Leier. www.schauspiel­koeln.de

 ?? FOTO: TOMMY HETZEL ?? Szene aus „Schnee Weiss“von Elfriede Jelinek in Köln.
FOTO: TOMMY HETZEL Szene aus „Schnee Weiss“von Elfriede Jelinek in Köln.

Newspapers in German

Newspapers from Germany