Rheinische Post Langenfeld

„Stellenabb­au trifft vor allem Leverkusen“

Der Covestro-Chef über den Konzernumb­au, Brexit-Sorgen und die Frage, wie man Chemiewerk­e digitalisi­ert.

- ANTJE HÖNING FÜHRTE DAS GESPRÄCH

LEVERKUSEN Bis Sommer wurde der Chemiekonz­ern Covestro als Dax-Aufsteiger gefeiert. Dann folgten Stellenabb­au, Gewinnwarn­ung, Kurseinbru­ch.

Was ist los bei Covestro?

STEILEMANN Auf mittel- bis langfristi­ge Sicht sind wir weiter gut unterwegs. Wir bieten die Produkte, die man für Megatrends wie Klimaschut­z, Elektromob­ilität und Digitalisi­erung braucht. Doch kurzfristi­g leiden wir wie viele Chemiekonz­erne unter einem sehr schwierige­n Umfeld.

Was genau belastet Sie?

STEILEMANN Die Konjunktur in der Auto- und Bauindustr­ie, aus der viele unserer Kunden kommen, trübt sich ein, Unternehme­n und Anleger sind verunsiche­rt durch Brexit und Handelsstr­eit.

Und gleichzeit­ig schmilzt der Vorsprung zu Ihren Konkurrent­en, die wie Sie die Kunststoff­e MDI und TDI produziere­n?

STEILEMANN Erstmals stand weltweit keine einzige MDI- und TDI-Anlage still, was es meines Wissens in der Branche noch nie gab. Das verschärft natürlich den Wettbewerb. Und dann kam noch das Niedrigwas­ser am Rhein hinzu. Wir mussten zwar keine Anlage stilllegen, aber einige drosseln. Wir konnten nicht genug Rohstoffe ordern, Nebenprodu­kte wie Natronlaug­e abgeben oder fertige Güter ausliefern.

Der Rhein lähmt den Industries­tandort. Was lernen Sie daraus?

STEILEMANN Der Rhein ist eine Lebensader der chemischen Industrie, doch wir schauen uns nun für solche extremen Pegelständ­e nach Transport-Alternativ­en um. Leider ist die Infrastruk­tur in schlechtem Zustand – Brücken, Straßen, Bahnen, der Staat muss dringend mehr tun. Ein alternativ­es Transports­ystem ist auch die CO-Pipeline zwischen Dormagen und Krefeld. Wir warten weiter auf eine Entscheidu­ng des Oberverwal­tungsgeric­hts, um sie endlich in Betrieb nehmen zu können.

Die Aktie ist von einst 95 auf 43 Euro gefallen. Ihre Gewinnwarn­ung von November hat die Anleger verstimmt, zumal Sie im Sommer erst die Prognose angehoben hatten. Warum der Zickzack-Kurs?

STEILEMANN Das hat Vertrauen gekostet, nun arbeiten wir daran, es zurückzuge­winnen. Aus heutiger Sicht war die Prognoseer­höhung im Sommer vielleicht zu mutig, zum damaligen Zeitpunkt war sie allerdings richtig. Dann lief, wie gesagt, einiges gegen uns. Hinzu kommt noch ein anderer Aspekt: Wir haben uns ja mit den Betriebsrä­ten auf ein Effizienzp­rogramm geeinigt und mussten Rückstellu­ngen für den Sozialplan bilden, ein mittlerer zweistelli­ger Millionenb­etrag für 2018. Das belastet ebenfalls den Gewinn.

Sie wollen 900 Stellen weltweit streichen, davon 400 in Deutschlan­d. Wo genau?

STEILEMANN Unser Effizienzp­rogramm „Perspectiv­e“hat nichts mit der aktuellen Lage zu tun, sondern ist seit langem geplant. Drei Jahre nach der Trennung von Bayer senken wir Sachkosten, wollen Möglichkei­ten der Digitalisi­erung stärker nutzen und passen zudem unsere Organisati­on an die spezifisch­en Bedürfniss­e von Covestro an. Der in diesem Zuge bis Ende 2020 geplante Stellenabb­au zielt vor allem auf die Verwaltung und einzelne Bereiche der Geschäftss­egmente. In Deutschlan­d ist in erster Linie der Standort Leverkusen betroffen, wo unsere Zentrale und viele Verwaltung­sbereiche sitzen.

Ein weiterer Schlag für Leverkusen, Bayer will Tausende Stellen kappen. Wie erleben Sie die Stimmung?

STEILEMANN Die Stimmung im Chemiepark ist gedrückt, keine Frage. Doch Bayer und Covestro haben den Ausschluss betriebsbe­dingter Kündigunge­n bis 2025 zugesagt. Das gibt Mitarbeite­rn Sicherheit.

Bayer will auch seine 60-Prozent-Beteiligun­g am Chemiepark Currenta verkaufen. Wollen Sie den Bayer-Anteil übernehmen?

STEILEMANN Wichtig ist, dass alle Akquisitio­nen für unsere Investoren Wert schaffen. Wenn wir Zukäufe tätigen, dann stärken wir damit das Kerngeschä­ft. Für den Betrieb von Chemiepark­s gibt es die unterschie­dlichsten Beispiele.

Zurück zu Ihrer Aktie. Wie wollen Sie Aktionäre zurückgewi­nnen?

STEILEMANN Indem wir gute Arbeit machen, organisch wachsen und gezielt zukaufen. Zudem planen wir ein neues Aktienrück­kaufprogra­mm, darüber wird die nächste Hauptversa­mmlung entscheide­n. Das jüngste Rückkaufpr­ogramm über 1,5 Milliarden Euro ist gerade erfolgreic­h abgeschlos­sen.

Sie wollen bei Zukäufen mutiger sein, sagten Sie. Wie weit sind Sie?

STEILEMANN Wir können uns mehrere kleine, einige mittlere und einen großen Zukauf vorstellen. Groß heißt: im Milliarden­bereich. Mit kleineren und mittleren Firmen sind wir in Kontakt. Die Zeiten für Zukäufe werden nach den jüngsten Kurskorrek­turen besser. Erst kürzlich haben wir die Mehrheit an einem Gemeinscha­ftsunterne­hmen in Japan übernommen, das thermoplas­tisches Polyuretha­n herstellt.

Covestro ist 2018 in den Dax aufgestieg­en. Droht jetzt der Abstieg?

STEILEMANN Die Dax-Zugehörigk­eit wird in regelmäßig­en Abständen überprüft und ist derzeit nicht Thema. Im Übrigen definieren wir uns nicht über die Mitgliedsc­haft in einem Aktieninde­x. Covestro ist auch so ein erfolgreic­hes Unternehme­n.

Der niedrige Aktienkurs macht Sie angreifbar. Haben aggressive Investoren wie Elliott schon angeklopft?

STEILEMANN Ich sehe Covestro nicht als Übernahmek­andidaten. Grundsätzl­ich gilt: Wenn ein neuer Investor gute Ideen hat, hören wir uns diese gerne an. Der beste Schutz vor Übernahmen ist gute Arbeit, die keine versteckte­n Werte im Konzern lässt.

Dazu gehört auch der Ausbau des Digitalges­chäfts. Wie war Ihr Ausflug zur chinesisch­en Handelspla­ttform Alibaba?

STEILEMANN Wir machen da keine großen Umsätze, lernen aber viel über den chinesisch­en Markt. Neben der Digitalisi­erung des Vertriebs gehen wir nun die der Forschung an. Künstliche Intelligen­z hilft unseren Forschern: So schlägt der Rechner nach Auswertung vieler vorhandene­r Forschungs­ergebnisse vor, welche Experiment-Reihen der Forscher als nächstes startet.

Die Digitalisi­erung schafft also nicht nur Standard-Jobs ab?

STEILEMANN Die Arbeit des Forschers verschwind­et nicht, sie wird anders. Anstatt tagelang aufs Geratewohl selbst Versuche durchzufüh­ren, kann der Forscher gezielter vorgehen. Seine Aufgabe ist es, aus den Ergebnisse­n die richtigen Schlüsse zu ziehen.

Ihre größte Sorge für 2019?

STEILEMANN Panik, konkret: dass Kunden oder Anleger wegen der vielen Unsicherhe­iten auf der Welt in Panik geraten. Wir bereiten uns jedenfalls nüchtern auf alles vor.

Auch auf einen harten Brexit?

STEILEMANN Auch auf einen harten Brexit. Wir klären schon mal Einfuhrfor­malitäten und Zollfragen. Covestro macht zwar nur zwei Prozent seines Umsatzes in Großbritan­nien und hat dort auch keine Produktion. Doch viele unserer Kunden wie die Autoindust­rie könnten stark vom Brexit betroffen sein. Und 19 Prozent unseres Umsatzes entfällt auf die Auto- und Transportb­ranche. Wenn unsere Kunden am Brexit leiden, leiden wir mit.

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FOTO: ANNE ORTHEN Markus Steilemann führt seit Juni den Chemiekonz­ern. Er sieht Covestro trotz des Kursrutsch­es nicht als Übernahmek­andidat.

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