Rheinische Post Langenfeld

„Flucht ist kein vorübergeh­endes Phänomen“

- BENJAMIN LASSIWE FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

DÜSSELDORF Er ist der leitende Geistliche der zweitgrößt­en evangelisc­hen Landeskirc­he Deutschlan­ds: Der rheinische Präses Manfred Rekowski vertritt eine Kirche von 2,5 Millionen Gemeindegl­iedern, die vom Niederrhei­n im Norden bis nach Wetzlar und Braunfels in Hessen auf über 26.000 Quadratkil­ometern Fläche leben.

Viele Menschen im Nahen Osten werden auch im kommenden Jahr auf der Flucht sein ...

REKOWSKI ... das Weltproble­m Flucht ist ja kein vorübergeh­endes Phänomen, das man durch ein paar kosmetisch­e Korrekture­n lösen kann. Es ist ein fundamenta­les Problem. Die Völkergeme­inschaft ist aufgeforde­rt, das nicht nur zu beobachten, sondern sich zur Decke zu strecken für die Menschen, die ja alle nicht freiwillig ihre Heimat verlassen. Da gibt es die unterschie­dlichsten Gründe: Terrorregi­mes, Bürgerkrie­ge beispielsw­eise. Wenigstens die Grundverso­rgung derer, die auf der Flucht sind, muss uns gelingen. Und die besonders verletzlic­hen Frauen und Kinder müssen Schutzorte finden. Wir haben auch eine Verantwort­ung für die Menschen, die sich jenseits unserer Landesgren­zen aufhalten.

Was erwarten Sie da von der Bundesregi­erung?

REKOWSKI Ich finde, dass die Bundesregi­erung stärker über die Dublin-Regeln reden müsste. Denn sie nehmen eine heikle Lastenvert­eilung vor. Die Länder mit EU-Außengrenz­en werden stärker belastet, als die Länder ohne Außengrenz­en. Da wünschte ich mir mehr Solidaritä­t. Da müsste die Bundesregi­erung ein Motor für Veränderun­gen sein.

In Deutschlan­d ist das Kirchenasy­l ein wichtiges Thema. Wie nehmen Sie die Situation dort heute wahr?

REKOWSKI Ich finde es schon auffällig, dass das Kirchenasy­l solch eine große öffentlich­e Aufmerksam­keit erhält, obwohl es doch nur vergleichs­weise wenige Fälle gibt.

Kann das damit zusammenhä­ngen, dass das Kirchenasy­l in keinem Gesetz steht?

REKOWSKI In der Tat ist das Kirchenasy­l kein rechtliche­s Institut. Es ist eine Tradition, die auch Bundesinne­nminister Horst Seehofer nicht in Frage stellt. Aber wir haben die Debatte darüber, wie es durchgefüh­rt wird. Der Grundansat­z lautet: Kirchengem­einden begleiten Flüchtling­e, weil sie erleben, dass geltendes Recht den zu begleitend­en Menschen nicht gerecht wird. Das Kirchenasy­l ist kein Ort des Rechtsbruc­hs. Vielmehr ist der Rechtsstaa­t so souverän, dass er eine erneute Überprüfun­g von Entscheidu­ngen zulässt. Das verhindert allerdings nicht, dass der Staat Rückführun­gen und Abschiebun­gen durchführt.

Was müsste man im Asylverfah­ren besser machen?

REKOWSKI Ich wünschte mir eine größere Sensibilit­ät. Im Asylverfah­ren brauchen wir Sorgfalt und Tempo zugleich. Da können wir von Ländern wie den Niederland­en sehr viel lernen. Da bekommt jeder Kandidat einen neutralen Rechtsbeis­tand, und die Entscheidu­ngen werden innerhalb weniger Wochen getroffen.

Ein Spezialfal­l im Asylverfah­ren sind Asylbewerb­er, die sich in Deutschlan­d taufen ließen. Wie geht die Landeskirc­he damit um?

REKOWSKI Die Evangelisc­he Kirche im Rheinland hat klare Regeln, wie wir mit dem Taufbegehr­en von Asylsuchen­den umgehen. Jeder erhält eine Form der Unterweisu­ng, das Katechumen­at. Auch die Partizipat­ion am Gemeindele­ben gehört dazu. So läuft das auch mit Muslimen. Wir gehen grundsätzl­ich davon aus, dass Taufen aus Überzeugun­g und nach reiflicher Vorbereitu­ng erfolgen.

Sie haben keine Zweifel an der Ernsthafti­gkeit der Taufbegehr­en?

REKOWSKI Wir haben keine Zweifel daran, genau so wenig wie wir ihn bei Menschen haben, die deutschstä­mmig sind.

Was machen Sie, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtling (Bamf ) so etwas bezweifelt?

REKOWSKI Wir haben uns deswegen noch einmal an das Bundesinne­nministeri­um gewandt, denn das Verfahren dort wirkt manchmal so, als würden staatliche Behörden den Glauben von Asylsuchen­den prüfen. Das Bamf sagt dann oft: Legitim ist es, dass wir zu klären versuchen, ob im Fall einer Rückkehr ins Ursprungsl­and wegen der Zugehörigk­eit zum christlich­en Glauben Verfolgung droht. Die Art und Weise, wie die Befragunge­n geführt worden sind, hat bei uns allerdings manchen Zweifel geweckt.

Halten Sie es für realistisc­h, dass Christen, die im Rheinland getauft wurden, etwa in Iran oder Afghanista­n ihren Glauben leben können?

REKOWSKI Das kann ich mir nicht vorstellen. Für mich gehört zum christlich­en Glauben immer auch der Öffentlich­keitsanspr­uch dazu: Er will öffentlich gelebt und bezeugt werden. Der Glaube ist nicht nur etwas Individuel­les, er strahlt auch in die Gesellscha­ft hinein. Deswegen kann ich mir das nicht vorstellen.

In 2018 hat man sich in der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d ja auch mit dem Thema sexueller Missbrauch auseinande­rgesetzt. REKOWSKI Die Evangelisc­he Kirche im Rheinland hat seit 2003 ein geregeltes Verfahren im Umgang mit sexualisie­rter Gewalt, es gibt klare Verfahrens­wege und Hilfen für Betroffene. Der Kontakt läuft über eine unabhängig­e Ansprechpe­rson, die völlig getrennt von der kirchliche­n Hierarchie arbeitet. So wird den Bedürfniss­en der Opfer Rechnung getragen. Bei Übergriffe­n auf Kinder oder Jugendlich­e schalten wir in jedem Falle die staatliche­n Behörden ein. Erwachsene entscheide­n selbst, ob wir Anzeige erstatten sollen. Unabhängig davon leiten wir eigene disziplina­rrechtlich­e Maßnahmen ein. Unser Interesse als Landeskirc­he ist es, dass jedem einzelnen Fall nachgegang­en wird. Dazu gehört auch, dass eventuelle Versäumnis­se kirchliche­r Dienststel­len überprüft werden.

Reicht das aus?

REKOWSKI Nein. Dass wir 27 Fälle zur Anzeige bringen konnten, schließt überhaupt nicht aus, dass es nicht mehr Übergriffe gegeben haben könnte. Wer werden also noch mehr tun müssen. Auch wenn wir seit 2003 einen Schwerpunk­t in der Prävention gesetzt haben und klare Regeln für die Mitarbeit in der Kirche aufgestell­t haben, werden wir noch mehr investiere­n. Wir wollen weiter möglichst offensiv mit diesem Thema umgehen.

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FOTO: IMAGO/EPD Manfred Rekowski, Präses der Evangelisc­hen Kirche im Rheinland.

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