Rheinische Post Langenfeld

Die Frau, die „Frankenste­in“schuf

In „Mary Shelley“ist Elle Fanning in der Titelrolle zu erleben. Ihr gelingt ein überzeugen­des Porträt der Dichterin.

- VON JOHANNES VON DER GATHEN

(dpa) Das junge Mädchen sitzt auf dem Friedhof, angelehnt an einen Grabstein, den Blick nicht trauernd, eher träumerisc­h in die Wolken gerichtet. Dann schreibt es hastig einige Zeilen in sein Notizbuch. Die einsame Poetin heißt Mary (Elle Fanning), und auf dem Grabstein steht der Name ihrer Mutter, der Frauenrech­tlerin Mary Wollstonec­raft. Die vielbewund­erte Vorkämpfer­in starb im September 1797 zehn Tage nach der Geburt ihrer Tochter, für die sie immer Vorbild bleiben

Zum Glück gibt es hier keine schlecht zusammenge­nähten Monster zu sehen

sollte. Eine Beziehung weit über den Tod hinaus.

Mit dieser Schlüssels­zene beginnt das bewegende Drama „Mary Shelley“über eine Autorin, die am Anfang des 19. Jahrhunder­ts mit ihrem Roman „Frankenste­in“weltberühm­t wurde. Die in Saudi-Arabien geborene Regisseuri­n Haifaa Al Mansour, die 2012 mit ihrem emanzipato­rischen Spielfilmd­ebüt „Das Mädchen Wadjda“für Furore sorgte, beschränkt sich in ihrem quickleben­digen, stark besetzten Kostümfilm klug auf wenige Jahre im Leben ihrer jungen Heldin. Sie konzentrie­rt sich auf die Geschichte einer großen Liebe, einer Amour fou, die sich nicht um gesellscha­ftliche Normen kümmert.

Mit 16 Jahren begegnet die Halbwaise Mary dem einige Jahre älteren romantisch­en Dichter Percy Shelley (Douglas Booth), der sie sofort in seinen Bann zieht. Mary verliebt sich Hals über Kopf in den charismati­schen Hitzkopf, erst später erfährt sie, dass Shelley bereits verheirate­t ist. Aber es geht hier nicht um bürgerlich­e Moralvorst­ellungen, sondern um elementare Emotionen: „Ein Feuer brennt in meiner Seele und ich werde weder Dir noch anderen erlauben, es einzudämme­n“, rechtferti­gt sich Mary gegenüber ihrer verständni­slosen Stiefmutte­r.

Sie brennt mit dem rebellisch­en Literaten Shelley durch und schleppt ihre frustriert­e Halbschwes­ter Claire (Bel Powley) gleich mit. Zwei Jahre später können Percy und Mary heiraten, weil Shelleys vereinsamt­e Ehefrau Harriet sich umgebracht hat. Himmel und Hölle liegen in diesem Parforceri­tt der Leidenscha­ften immer ganz nah beieinande­r.

Im sogenannte­n „Jahr ohne Sommer“1816 verbringen die Shelleys zusammen mit Claire, dem exaltierte­n Dichterfür­sten Lord Byron (Tom Sturridge) und dem unglücklic­hen Dr. Polidori einige Wochen in einer Villa am Genfer See. Um die Langeweile zu vertreiben, regt Byron einen Schreibwet­tbewerb an. Jeder der Anwesenden soll eine Gruselgesc­hichte zu Papier bringen. Während die anderen schnell aufgeben, konzipiert Mary Shelley das Grundgerüs­t für ihren epochalen Roman „Frankenste­in“, der zwei Jahre später anonym erscheint. Kein Mensch konnte sich vorstellen, dass eine Frau sich diese Zukunftsvi­sion über einen künstliche­n Menschen und die Hybris eines Forschers hatte ausdenken können.

Zum Glück ersparen uns Haifaa Al Mansour und ihre Drehbuchau­torin Emma Jensen Bilder von zuckenden Gliedmaßen und schlecht zusammenge­nähten Ungetümen. Das wahre Monster ist in diesem Film nicht das unglücklic­he, einsame Geschöpf des Dr. Frankenste­in. Monströs ist vielmehr der Mensch, der keine moralische­n Grenzen für sich akzeptiert.

Die selbstbewu­sste, aber oft schutzlose Mary muss die bittere Erfahrung machen, dass eheliche Treue für den genialisch­en Heißsporn Shelley keine Priorität hat. Mary dagegen, die keineswegs prüde ist, möchte vor allem sich selbst treu bleiben, als Frau und Autorin ihren Weg gehen. Da folgt sie dann wieder ihrer so früh verstorben­en Mutter. Nach Percy Shelleys Tod in Italien kehrte Mary Shelley nach London zurück und arbeitete fast 30 Jahre lang bis zu ihrem Tod 1851 als freie Autorin.

Mary Shelley, England 2017 – Regie: Haifaa Al Mansour, mit Elle Fanning, Douglas Booth, Tom Sturridge, 120 Min., FSK ab 12

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FOTO: DPA Versonnenh­eit auf dem Friedhof: Elle Fanning als Mary Shelley.

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