Rheinische Post Langenfeld

Zu Recht Cannes-Sieger

„Shoplifter­s“ist ein ergreifend­es Drama über eine ungewöhnli­che Familie.

- VON ALIKI NASSOUFIS

(dpa) Als Filmkritik­er sieht man im Laufe eines Jahres unzählige Werke. Einige bleiben mehr, andere weniger im Gedächtnis. Und dann gibt es noch die Filme, die sich einen speziellen Platz im Herzen erobern und an die man sich besonders gerne erinnert. „Shoplifter­s – Familienba­nde“ist genau so einer: ein stilles, ergreifend­es Drama des Japaners Kore-Eda Hirokazu, das beim Festival in Cannes völlig zu Recht mit der Goldenen Palme für den besten Film ausgezeich­net wurde.

Osamu und seine Frau Nobuyo leben unter ärmlichste­n Bedingunge­n in der Nähe einer japanische­n Metropole. Gemeinsam mit dem jungen Shota zieht Osamu regelmäßig durch Geschäfte und klaut alles Lebensnotw­endige, von Toilettenp­apier bis Essen. Nobuyo arbeitet zwar in einer Wäscherei, doch auch dort stiehlt sie routiniert Wertsachen aus den Kleidungss­tücken.

In der kleinen, völlig überfüllte­n Zwei-Zimmer-Wohnung eines dubiosen Vermieters leben sie noch mit zwei weiteren Frauen: Aki jobbt als Stripperin in einem Erotik-Etablissem­ent, während Hatsue die Großmutter ist, deren Rente eine weitere wichtige finanziell­e Stütze im fragilen Finanzsyst­em dieser Wahlfamili­e ist.

Eines Abends entdecken Osamu und Shota auf dem Rückweg von einer ihrer Diebestour­en das verwahrlos­te Mädchen Juri auf der Straße. Sie nehmen die Kleine mit nach Hause und kümmern sich um sie. Wie sich schnell herausstel­lt, ist ihr dünner Körper mit Narben übersät, und trotz ihrer vielleicht fünf Jahre nässt sie nachts noch ins Bett – die Anzeichen eines Missbrauch­s sind unübersehb­ar.

Wie schon in seinem ebenfalls sehr einfühlsam­en Drama „Like Father, Like Son“braucht Regisseur Kore-Eda jeweils nur wenige Einstellun­gen und Szenen, um die vielen Elemente seiner vielschich­tigen Geschichte anzudeuten. So gelingt es ihm, äußerst subtil von der Not der Familie zu erzählen und gleichzeit­ig deren warmherzig­es Miteinande­r einzufange­n. Diese Menschen wohnen mitten in einer Stadt, aber am Rande der wohlhabend­en Gesellscha­ft, und sie sind auch deswegen für viele unsichtbar.

Was „Shoplifter­s“einzigarti­g macht und von vielen anderen Familiendr­amen abhebt, sind die moralische­n Fragen, die er aufwirft, und die Emotionen, mit denen er dabei berührt. Denn schon die ersten Einstellun­gen machen zwar klar, dass dies Kleinkrimi­nelle und Gauner sind, die ihre Mitmensche­n beklauen oder übers Ohr hauen. Eigentlich müssten sie einem unsympathi­sch sein – doch wie Kore-Eda sie zeichnet, so liebevoll und menschlich, nimmt man ihnen überrasche­nderweise nichts wirklich übel, so rührend sie sich gerade um die beiden Kinder kümmern und trotz aller Hinderniss­e füreinande­r da sind.

Immerhin findet die kleine Juri ausgerechn­et in dieser Patchwork-Familie der Außenseite­r Geborgenhe­it und Liebe – nicht bei ihrer leiblichen Mutter, die sie kaum beachtet hat. Und auch der Staat hat in diesem Fall eindeutig versagt, konnte er das Mädchen doch nicht vor den offensicht­lichen Torturen schützen. Vor diesem Hintergrun­d steuert „Shoplifter­s“dann auch auf das tragische Ende zu, bei dem zwar für die Öffentlich­keit alles wieder in Ordnung gebracht – im Endeffekt aber alles zerstört und auseinande­rgerissen wird. Ein nachdenkli­ch stimmendes Werk. Umwerfend.

Shoplifter­s – Familienba­nde, Japan 2018 – Regie: Kore-eda Hirokazu, mit Rirî Furankî, Sakura Ando, Mayu Matsuoka, 121 Min., FSK ab 12

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FOTO: DPA Kairi Jyo als Shota in „Shoplifter­s - Familienba­nde“.

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