Der Geräuschemacher des Krieges
In der Kunsthalle ist Kunst zu entdecken, die sich mit der Wahrnehmung von Gewalt und der Schminke der Kanzlerin beschäftigt.
Gregor Jansen weiß, was Journalisten wollen: Der Chef der Kunsthalle nimmt die Frage nach den Zahlen vorweg, bevor sie jemand stellen kann. 50 Tonnen Sand sind, so erzählt er, für die auffälligste Arbeit der Doppelausstellung angekarrt worden. Eine ganze Woche habe es gedauert, das feinkörnige Material im zweiten Obergeschoss des Hauses am Grabbeplatz zu verteilen. Nun stapfen die Besucher durch Samson Youngs Werk „Stanley“, das nur auf den ersten Blick Assoziationen an chillige Beach Bars hervorruft. Bis nämlich die pinke Neonschrift ins Auge fällt. „Nothing we did could have saved Hong Kong. It was all wasted“ist dort zu lesen, „Nichts, was wir taten, hätte Hongkong retten können. Es war alles vergebens“.
Stanley Beach ist jener Strand in Youngs Heimatstadt, an dem die Verteidigungsschlacht Hongkongs im Zweiten Weltkrieg verloren wurde. Im gleichen Saal findet sich die zentrale Arbeit der Schau: „Nocturne“(2015), eine Performance, die an fast jedem Ausstellungstag von morgens bis abends im Museum zu erleben ist. Immerhin, eine Stunde Mittagspause gönnt man dem Akteur. Er sitzt an einem Bildschirm, auf dem Aufnahmen von Nachtbombardements zu sehen sind. Es handelt sich überwiegend um US-Angriffe im Mittleren Osten, die Young im Netz gefunden hat. Wie ein Echtzeit-Geräuschemacher lässt der Performer dazu mittels Backpapier, Reis oder Teeblättern die dazugehörigen Geräusche entstehen. Die wiederum werden mittels Piratenradio-Frequenzen auf Empfangsgeräte übertragen.
„Nocturne“ist ein gutes Beispiel für die Arbeitsweise des Künstlers. Young stellt historisch-gesellschaftliche Bezüge her, beschäftigt sich mit der Frage, wie Sound in politi- schen Konflikten genutzt wird, in Kriegen. Und lässt so eine völlig neue Perspektive auf die Wahrnehmung von Klängen und Bildern entstehen.
Eine Etage tiefer ist Simon Fujiwaras „Figures in a landscape“zu sehen. Das Werk des Mannes, der seit nunmehr zehn Jahren in Berlin lebt, kreist um die Frage nach der Konstruktion und Repräsentation von Identität und Geschichten. Fujiwara bedient sich der Bildsprachen und Ästhetiken aus Marketing, Werbung, Popkultur und sozialen Medien, um sie von innen heraus zu unterwandern. Die Schau in der Kunsthalle ist seine erste große institutionelle Einzelausstellung in Deutschland. Sie umfasst lediglich vier Arbeiten. Eine davon beschäftigt sich mit der Deutschen Bundeskanzlerin. Genauer gesagt mit ihrem Make-Up. Letzteres wurde speziell für HD-Kameras entwickelt und wird der Kanzlerin jeden Tag aufgetragen, wie eine Maske. Fujiwara hat nun ein von der Visagistin gemaltes Bild des Make-Ups 1000fach vergrößert und anschließend durch ein Raster zerteilt. Offenbar war die Beschäftigung mit der Fassadenfarbe der mächtigsten Frau der Welt für den Künstler sehr ergiebig. Die Werkreihe „Masks (Merkel)“zählt 150 Gemälde. Eine kleine Auswahl von ihnen hat es nun in die Kunsthalle geschafft. Ob die Bundeskanzlerin weiß, dass ihr Konter-
Simon Fujiwara hat das Make-up der Kanzlerin 1000-fach vergrößert und durch den Raster
geschickt
fei zu Kunst geworden ist? Kuratorin Anna Lena Seiser weiß es nicht. „Vielleicht erfährt sie es ja durch diese Ausstellung“, sagt sie und lacht. Die Ausstellung „Samson Young: „A dark theme keeps me here, I‘ll make a broken music“& Simon Fujiwara „Figures in a landscape“ist zu sehen vom 17. Dezember bis zum 5. März in der Kunsthalle am Grabbeplatz 4. Weitere Informationen unter: www.kunsthalle-duesseldorf.de