Die gleichgeschaltete Türkei
DÜSSELDORF Es war ein Eiertanz auf hohem Niveau: Einen Tag nachdem Meldungen über ein „Weihnachtsverbot“an einem deutsch-türkischen Gymnasium in Istanbul einen Proteststurm in Deutschland ausgelöst hatten, bemühte sich die Bundesregierung gestern um Schadensbegrenzung. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes kalmierte routiniert, sprach von „Missverständnissen“, die es zu beseitigen gelte. Aber in der Sache räumte er ein, was auch an der Istanbuler Schule tätige deutsche Lehrer bestätigen: Es hat eine klare Anweisung der türkischen Schulleitung gegeben, „im schulischen Kontext nicht über Weihnachten zu reden, nicht Weihnachtslieder zu singen und die Thematik zu besprechen“. Ebenso sei dazu aufgefordert worden, Adventskalender aus den Klassenzimmern zu entfernen. Wenn das kein Verbot ist, was dann?
Gestern wollte dann auch die Schulleitung plötzlich nichts mehr von einem Bann wissen. Doch das ist wohl nicht mehr als ein taktischer Rückzieher. Denn die Vermittlung deutscher und christlicher Kultur an einer staatlichen Schule bleibt der konservativ-islamischen Regierung ein Dorn im Auge. Mustafa Sentop, Vorsitzender der Verfassungskommission im türkischen Parlament und einflussreicher Abgeordneter der Regierungspartei AKP von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, wetterte auf Twitter gegen die angebliche Missionierung sowie „religiöse/politische Propaganda des deutschen Staates gegenüber Kindern dieses Landes“, die man nicht gestatten werde.
Der Vorfall in Istanbul habe ihn nicht überrascht, sagt ein deutscher Lehrer, der bis vor zwei Jahren an dem Gymnasium unterrichtet hat. „Dieses Gefühl, dass man die deutsche Abteilung an der Schule gängeln will, das war immer da“, sagt der Pädagoge, der wie alle anderen befragten Lehrer seinen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen möchte. Er berichtet vom wachsenden Druck der AKP auf die Schule und von einem Klima der Angst unter den türkischen Kollegen: „Aus Sorge vor Spitzeln hat da kaum noch einer gewagt, offen zu reden. Geschweige denn, Kritik zu üben.“
Nur ein türkischer Geschichtslehrer habe ihm sein Herz ausgeschüttet. Im letzten Schuljahr wurde der Kollege dann aber zwangsversetzt, nachdem ihn Schüler angeschwärzt hatten, weil er sich ihrer Meinung nach kritisch über den Propheten Mohammed geäußert hatte. Der Vorgang führte im Sommer prompt zu einem Eklat bei der Abschlussfeier des Gymnasiums: Absolventen kehrten Schulleiter Hikmet Konar, den die AKP 2015 eingesetzt hatte, aus Protest demonstrativ den Rücken. Bei derselben Feier bat Konar den anwesenden deutschen Generalkonsul Georg Birgelen, auf seine traditionelle Ansprache an die Abiturienten zu verzichten. Deutsche Lehrer vermuten, dass der Rektor damals, kurz nach der von der Türkei scharf verurteilten Armenier-Resolution des Bundestags, Sorge hatte, die Regierung in Ankara zu verärgern. Am Ende verließ Birgelen die Veranstaltung unter Protest.
Die Politik der Einschüchterung zielt jedoch längst nicht nur auf Schulen mit deutscher Beteiligung. Die AKP-Gleichschaltung trifft das gesamte türkische Bildungswesen. So wurde 2015 eine ganze Reihe von Schulen, darunter sehr viele der international ausgerichteten von daher eher liberal orientierten Lehranstalten, von der Regierung zu „Projektschulen“erklärt. Angeblich zur Qualitätssteigerung, in Wirklichkeit aber vor allem, damit die Regierung das Lehrpersonal künftig direkt ernennen kann, wo bisher ein fachorientiertes Auswahlverfahren nötig war.
Immer häufiger sorgen seither linientreue Schulrektoren für die Durchsetzung der von oben gewünschten Ideologie. Zum Teil schon seit Jahren durchgeführte Veranstaltungen werden
„Das Gefühl, dass man die deutsche Abteilung an der Schule gängeln
will, war immer da“
Deutscher Lehrer am Istanbul Lisesi