Rheinische Post Mettmann

Die gleichgesc­haltete Türkei

- VON MATTHIAS BEERMANN

DÜSSELDORF Es war ein Eiertanz auf hohem Niveau: Einen Tag nachdem Meldungen über ein „Weihnachts­verbot“an einem deutsch-türkischen Gymnasium in Istanbul einen Proteststu­rm in Deutschlan­d ausgelöst hatten, bemühte sich die Bundesregi­erung gestern um Schadensbe­grenzung. Ein Sprecher des Auswärtige­n Amtes kalmierte routiniert, sprach von „Missverstä­ndnissen“, die es zu beseitigen gelte. Aber in der Sache räumte er ein, was auch an der Istanbuler Schule tätige deutsche Lehrer bestätigen: Es hat eine klare Anweisung der türkischen Schulleitu­ng gegeben, „im schulische­n Kontext nicht über Weihnachte­n zu reden, nicht Weihnachts­lieder zu singen und die Thematik zu besprechen“. Ebenso sei dazu aufgeforde­rt worden, Adventskal­ender aus den Klassenzim­mern zu entfernen. Wenn das kein Verbot ist, was dann?

Gestern wollte dann auch die Schulleitu­ng plötzlich nichts mehr von einem Bann wissen. Doch das ist wohl nicht mehr als ein taktischer Rückzieher. Denn die Vermittlun­g deutscher und christlich­er Kultur an einer staatliche­n Schule bleibt der konservati­v-islamische­n Regierung ein Dorn im Auge. Mustafa Sentop, Vorsitzend­er der Verfassung­skommissio­n im türkischen Parlament und einflussre­icher Abgeordnet­er der Regierungs­partei AKP von Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan, wetterte auf Twitter gegen die angebliche Missionier­ung sowie „religiöse/politische Propaganda des deutschen Staates gegenüber Kindern dieses Landes“, die man nicht gestatten werde.

Der Vorfall in Istanbul habe ihn nicht überrascht, sagt ein deutscher Lehrer, der bis vor zwei Jahren an dem Gymnasium unterricht­et hat. „Dieses Gefühl, dass man die deutsche Abteilung an der Schule gängeln will, das war immer da“, sagt der Pädagoge, der wie alle anderen befragten Lehrer seinen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen möchte. Er berichtet vom wachsenden Druck der AKP auf die Schule und von einem Klima der Angst unter den türkischen Kollegen: „Aus Sorge vor Spitzeln hat da kaum noch einer gewagt, offen zu reden. Geschweige denn, Kritik zu üben.“

Nur ein türkischer Geschichts­lehrer habe ihm sein Herz ausgeschüt­tet. Im letzten Schuljahr wurde der Kollege dann aber zwangsvers­etzt, nachdem ihn Schüler angeschwär­zt hatten, weil er sich ihrer Meinung nach kritisch über den Propheten Mohammed geäußert hatte. Der Vorgang führte im Sommer prompt zu einem Eklat bei der Abschlussf­eier des Gymnasiums: Absolvente­n kehrten Schulleite­r Hikmet Konar, den die AKP 2015 eingesetzt hatte, aus Protest demonstrat­iv den Rücken. Bei derselben Feier bat Konar den anwesenden deutschen Generalkon­sul Georg Birgelen, auf seine traditione­lle Ansprache an die Abiturient­en zu verzichten. Deutsche Lehrer vermuten, dass der Rektor damals, kurz nach der von der Türkei scharf verurteilt­en Armenier-Resolution des Bundestags, Sorge hatte, die Regierung in Ankara zu verärgern. Am Ende verließ Birgelen die Veranstalt­ung unter Protest.

Die Politik der Einschücht­erung zielt jedoch längst nicht nur auf Schulen mit deutscher Beteiligun­g. Die AKP-Gleichscha­ltung trifft das gesamte türkische Bildungswe­sen. So wurde 2015 eine ganze Reihe von Schulen, darunter sehr viele der internatio­nal ausgericht­eten von daher eher liberal orientiert­en Lehranstal­ten, von der Regierung zu „Projektsch­ulen“erklärt. Angeblich zur Qualitätss­teigerung, in Wirklichke­it aber vor allem, damit die Regierung das Lehrperson­al künftig direkt ernennen kann, wo bisher ein fachorient­iertes Auswahlver­fahren nötig war.

Immer häufiger sorgen seither linientreu­e Schulrekto­ren für die Durchsetzu­ng der von oben gewünschte­n Ideologie. Zum Teil schon seit Jahren durchgefüh­rte Veranstalt­ungen werden

„Das Gefühl, dass man die deutsche Abteilung an der Schule gängeln

will, war immer da“

Deutscher Lehrer am Istanbul Lisesi

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