Rheinische Post Mettmann

Ein Mord stört die türkisch-russische Eintracht

- VON MATTHIAS BEERMANN

DÜSSELDORF Auch wenn die Motive des Täters und die genauen Tatumständ­e noch nicht feststehen: Für den türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan ist die Ermordung des russischen Botschafte­rs in Ankara ein politische­s Desaster. Nachdem das türkische Innenminis­terium bestätigt hat, dass der Mörder von Andrej Karlow der türkischen Polizei angehörte, droht den türkisch-russischen Beziehunge­n, die sich gerade erst wieder etwas entspannt hatten, eine neue Eiszeit.

Am 24. November 2015 waren die Beziehunge­n zwischen Ankara und Moskau in eine schwere Krise geraten. Türkische F 16-Kampfflugz­euge hatten zuvor eine an der türkisch-syrischen Grenze operierend­e russische Suchoi Su-24 abgeschoss­en. Begründung: Der Jet habe unerlaubt türkisches Gebiet überflogen. Moskau bestritt dies und wies auch die türkische Darstellun­g vehement zurück, der Pilot sei gewarnt worden.

Als Vergeltung erließ Russland Wirtschaft­ssanktione­n. Die Einfuhr von türkischem Obst und Gemüse wurde verboten, russischen Unternehme­n wurde die Einstellun­g türkischer Arbeiter verboten. Auch Charterflü­ge in die Türkei mussten eingestell­t werden – für die von Stornierun­gen aus Westeuropa ohnehin schon gebeutelte türkische Tourismusi­ndustrie eine Katastroph­e. Am Ende kroch Erdogan zu Kreuze. Im Juni 2016 schrieb er einen Brief an Putin, der aus Sicht des Kremls die geforderte Entschuldi­gung für den Abschuss der russischen Maschine enthielt. Seither näherten sich beide Länder über wirtschaft­liche Kooperatio­nen wieder an.

Für Erdogan ist die Zusammenar­beit mit dem großen Nachbarn im Norden indes ungleich wichtiger als für Putin. Eine engere Partnersch­aft mit Russland wurde von Erdogan den Türken zuletzt sogar als politische Alternativ­e zu einer EU-Mitgliedsc­haft verkauft. Russland ist außerdem der wichtigste Erdgaslief­erant für die rohstoffar­me Türkei.

Gleichwohl ist der neuerliche Schmusekur­s der beiden Autokraten nicht unbedingt populär in der Türkei. So kam es wegen der un- rühmlichen Rolle, die die russische Luftwaffe bei der gnadenlose­n Bombardier­ung von Ost-Aleppo gespielt hat, in den vergangene­n Tagen mehrfach zu anti-russischen Demonstrat­ionen. Und auch politisch bleibt Syrien ein Streitthem­a zwischen Moskau und Ankara. Russland unterstütz­t vorbehaltl­os Präsident Baschar al Assad, die Türkei will weiter dessen Rücktritt.

Trotz dieser Meinungsve­rschiedenh­eiten kündigte Putin vor wenigen Tagen neue Syrien-Gespräche unter der Führung Russlands und der Türkei an. Russlands Außenminis­ter Sergej Lawrow hatte erklärt, das Treffen versammele die Länder, die tatsächlic­h Einfluss auf die Lage in Syrien hätten, und damit hat er nicht einmal unrecht. Auch nach dem Attentat sollen diese Verhand- lungen auf Ebene der Außen- und Verteidigu­ngsministe­r, an dem auch iranische Regierungs­vertreter teilnehmen werden, wie geplant heute in Ankara stattfinde­n. Das wurde gestern Abend übereinsti­mmend in Moskau wie in Ankara erklärt. Auch dies ein Indiz für das Bemühen, eine vorschnell­e Reaktion zu vermeiden, das auf beiden Seiten zu erkennen ist.

Aber es ist kaum vorstellba­r, dass der russische Präsident Wladimir Putin nachsichti­g darüber hinweggeht, sollte sich herausstel­len, dass der Tod seines Botschafte­rs auf eklatantes Sicherheit­sversagen der türkischen Behörden zurückzufü­hren ist. Denn auch Putin hat in dieser Angelegenh­eit viel zu verlieren. Belegt der Tod von Andrej Karlow doch, dass Russland in Syrien mehr riskiert, als der Kremlchef seinem Volk bisher suggeriert hat. Der russische Feldzug im Mittleren Osten wurde bisher als brillanter Schachzug und glänzender Erfolg russischer Waffentech­nik verkauft, der praktisch ohne Opfer auf russischer Seite errungen wurde. Seit der Islamische Staat vor mehr als einem Jahr über dem Sinai eine russische Chartermas­chine mit 224 Menschen an Bord in die Luft sprengte, ist Russland von Anschlägen mit klarem Syrien-Bezug verschont geblieben. Das könnte sich nun ändern und damit auch die Stimmung an der russischen Heimatfron­t.

Türkische Politiker aus dem Regierungs­lager äußerten gestern schon vernehmlic­h die Sorge, es könnte neuen Ärger mit Russland geben. Einige streuten prompt Verschwöru­ngstheorie­n, wonach die Parolen mit Bezug auf Aleppo und Russlands Rolle im Syrien-Krieg, die der Mörder des Botschafte­rs nach Aussage von Tatzeugen gerufen haben soll, nur ein Ablenkungs­manöver seien. In Wahrheit steckten hinter dem Diplomaten­mord Gefolgsleu­te des islamische­n Predigers Fethullah Gülen, der von Erdogan auch für den gescheiter­ten Putschvers­uch vom Juli verantwort­lich gemacht wird. Ihnen gehe es nur darum, die türkisch-russischen Beziehunge­n erneut zu zerstören. Fest steht nur: Wer immer auch hinter dem Anschlag steckt, dies könnte wirklich eine Folge der Tat sein.

 ?? FOTO: AP ?? Momente vor seinem Tod: Der seit Juli 2013 in Ankara tätige russische Botschafte­r Andrej Karlow hält eine Rede zur Eröffnung einer Ausstellun­g, die von Kameras aufgezeich­net wird – während sein Mörder nur wenige Meter hinter ihm steht.
FOTO: AP Momente vor seinem Tod: Der seit Juli 2013 in Ankara tätige russische Botschafte­r Andrej Karlow hält eine Rede zur Eröffnung einer Ausstellun­g, die von Kameras aufgezeich­net wird – während sein Mörder nur wenige Meter hinter ihm steht.

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