FRAGE DES STILS
Über Geschmack lässt sich nicht streiten
Früher hatte man’s ja als Gastgeber leichter. Da wurde gegessen, was Schwiegermutti auf den Tisch brachte, und im schlimmsten Fall sah man den Schwippschwager, wie er den Rest des trockenen Bratens unauffällig dem Familienhund zukommen ließ oder den ungeliebten Rotkohl mit etwas mehr Wein herunterspülte. Heute ist es eher üblich als die Ausnahme, besondere Ernährungsgewohnheiten zu haben. Da muss man als Gastgeber fürchten, dass ein Drittel der Gäste vegan lebt (vom Sauerbraten also quasi nur die Rosinen isst), mindestens einer am Tisch verträgt kein Gluten, ein anderer ist laktoseintolerant. Aber ist es eigentlich okay, bei Einladungen wählerisch zu sein? Oder ist es stilvoll, das Menü stillschweigend zu schlucken?
Zu kaum einem Thema haben sich die Meinungen in den vergangenen Jahren so stark gewandelt wie zum Essen. Vegetarier sind längst keine Öko-Sonderlinge mit Jutetaschenpflicht mehr, Nahrungsmittelallergien kommen tatsächlich öfter vor als früher (selbst, wenn man die eingebildeten abzieht), und in vielen Familien hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Kinder nicht ihren Teller leer essen müssen. Es- sen ist heute für viele Menschen mehr als nötiges Grundbedürfnis – es definiert die Persönlichkeit, die Überzeugungen und den Lebensstil. Da muss es erlaubt sein, Grenzen zu ziehen. Tierschützer müssen nicht Tante Gerda zuliebe Schweinefilet essen (Ich persönlich denke ja: Bestens, da bleibt mehr für mich), und wer von Rosenkohl Schweißausbrüche bekommt, darf frühzeitig abwinken. Wer als Gastgeber vermeiden will, sich am Fest der Liebe zu ärgern, kann vorab nach Essge- wohnheiten fragen. Wegen eines Vegetariers muss nicht der Braten vom Menü fliegen – aber vielleicht bereitet man eine Portion des Kartoffelsalats ohne Speckstückchen vor . . .
Klar ist aber: Ein höflicher Gast bringt den Gastgeber umgekehrt nicht in eine peinliche Situation oder macht ihm zu viel Arbeit. Schon bei der Zusage kann man höflich warnen, dass man etwa kein Fleisch isst und keine Milchprodukte verträgt, aber den angekündigten Fisch (ohne Sahnesoße) gern essen wird. Veganer können anbieten, den Gastgeber zu entlasten, indem sie ein eigenes Leibgericht mitbringen (nicht nur die eigene Portion!). Was nicht geht: Missmutig in den Kartoffeln stochern, weil man alles andere abgelehnt hat. Oder das Essen der anderen kommentieren, deren Fleischkonsum einem nicht passt. Wenn Sie etwas nicht sehr lecker finden, behalten Sie es besser für sich (es wurde sicher mit Liebe gekocht), lassen Sie notfalls einen Rest auf dem Teller – das ist okay – und wahren Sie den Tischfrieden. Streiten Sie lieber über etwas anderes. Vielleicht die Christbaumspitze oder so. Schicken Sie uns Ihre Stilfrage per Mail an: stilfrage@rheinische-post.de