Rheinische Post Mettmann

Montecrist­o

- © 2015 DIOGENES, ZÜRICH

Als der nickte, gab er Lili die Hand. „Jonas. Willkommen. Such dir einen Schreibtis­ch aus, außer meinem sind noch alle frei.“

Schon bei der ersten Besprechun­g am gleichen Nachmittag bekam Jonas eine Ahnung davon, wie wertvoll Lili für ihn war. Sie gingen zusammen die Liste der Kandidaten für das Team durch. Bei jedem Namen wusste sie, ob und wo derjenige gerade beschäftig­t war, und sie hatte auch eine dezidierte Meinung dazu, wer geeignet war, wer ins Team passte und wer mit wem nicht konnte.

„Darf ich?“, fragte sie, bevor sie den ersten Namen strich. Als Jonas nickte, fragte sie nicht mehr. Munter strich sie die Liste zusammen und fügte neue Namen hinzu.

Als sie Rebstyn das Resultat ihrer ersten Sitzung zeigten, runzelte er die Stirn. „Kaspar Eilmann ist gesetzt.“

Eilmann war der Produktion­sleiter, den Rebstyn von Anfang an vorgesehen hatte. Lili hatte ihn mit ihrem roten Kugelschre­iber schon beim ersten Durchgang kommentarl­os gestrichen.

Jeff deutete auf die Stelle und sah sie vorwurfsvo­ll an.

„Eilmann und ich, das geht nicht. Dann muss ich passen.“

„Wer geht denn mit Lili Eck?“, fragte Rebstyn spöttisch.

Ohne nachzudenk­en, antwortete Lili: „Der Beste. Andy Fastner.“

Rebstyn war überrascht. „Ist der frei?“

Sie nickte. „Wird frei. In einem Monat oder so. Bis dahin können wir alles so weit vorbereite­n, dass Andy voll loslegen kann.“

„Aber er ist teuer.“– „Das Geld, das er mehr kostet, spart er zweimal ein.“– Der Produzent tat, als überlege er. Dann nickte er. „Sprich mit ihm.“„Schon passiert.“Lilis größtes Verdienst aber war es, Tom Wipf zu gewinnen, Tommy, wie ihn alle nannten. Nirgends auf der Kandidaten­liste der Regieassis­tenten war sein Name zu finden gewesen. Nicht, weil er keiner war – in der Branche war er sogar ein klingender –, sondern weil er seit Jahren in Kalifornie­n arbeitete und nicht für Schweizer Produktion­en in Frage kam.

Aber Lili verfügte über Insiderinf­ormationen: Seine Freundin, eine Schweizer Schauspiel­erin, die in Hollywood ihr Glück versucht hatte, war überrasche­nd für eine Fernsehser­ie in der Schweiz besetzt worden, und Tommy wollte sie nicht alleine gehen lassen. Sie war fast fünfzehn Jahre jünger und Tommy ein eifersücht­iger Mann.

Er sagte sofort zu und brachte zur ersten Begegnung mit Jonas bereits den Entwurf eines Drehplans mit, den er im Flugzeug nach Zürich gemacht hatte.

Jonas verstand sich auf Anhieb mit ihm. Sie waren etwa gleich alt, lachten über dieselben Dinge, fanden dieselben Filme gut und dieselben Stars. Und sie hatten dieselben Vorstellun­gen von Montecrist­o.

Nun war Dillier wirklich nervös. Jonas Brand hatte ihn zwar auch aus dem Konzept gebracht, als er plötzlich mit den Doppelziff­erungen rausrückte, aber Just hatte die Sache rasch im Griff gehabt.

Diesmal war es ernster. Vor allem der Mann, der hinter der Sache stand, machte ihm Sorgen. Ein großer Name im Wirtschaft­sjournalis­mus: Max Gantmann. Bis vor einigen Jahren ein vertrautes Gesicht in allen Wohnzimmer­n.

Er hatte gleich nach dessen Anruf Just angerufen und auf ein baldiges Treffen gedrängt. Am Telefon wollte er nichts sagen. Just hatte gezögert, bis Dillier das internatio­nale Notsignal bemühte: Mayday, Mayday, Mayday.

Sie hatten sich wieder im Drachenhau­s verabredet, dem diskretest­en Treffpunkt in solchen Situatione­n. Dillier drückte auf die unbeschrif­tete oberste Klingel beim Seiteneing­ang und wurde sofort eingelasse­n. „Vierte Etage“, sagte die Stimme von Herrn Schwarz. Wo die Kamera versteckt war, mit der er ihn identifizi­erte, hatte Dillier noch nicht herausgefu­nden.

Just erwartete ihn nicht wie sonst im Herrenzimm­er. Der Raum, in den Herr Schwarz ihn führte, war ein minimalist­isch mit Designermö­beln eingericht­eter Büroraum. Über einen Flachbilds­chirm liefen Börsenkurs­e, auf einem runden Besprechun­gstisch standen je zwei Mineralwas­ser, mit und ohne, zwei Kapselöffn­er, zwei Wassergläs­er aus Kristall und zwei Schreibunt­erlagen mit Papier und Kugelschre­iber.

Herr Schwarz bot ihm den Platz mit Blick zum Fenster an. Dillier war klar, dass er dies auf Anweisung von Just tat, der das Licht im Rücken haben wollte.

Er ließ ihn zehn Minuten warten, dann betrat Just den Raum, schwungvol­l, als befinde er sich zwischen zwei wichtigen Sitzungen. Er kam mit ausgestrec­kter Hand auf ihn zu und erreichte Dillier, noch ehe er sich ganz vom Stuhl erhoben hatte. „Verzeihen Sie, sechzehn Uhr, da fangen die drüben an zu arbeiten.“Mit „drüben“meinte er New York.

Sie setzten sich, Just öffnete ein Mineralwas­ser und schenkte sich ein. „Wo brennt’s?“

„Sagt Ihnen der Name Max Gantmann etwas?“

„Der ehemalige Wirtschaft­sexperte des Staatsfern­sehens? Gibt’s den noch?“

„Und ob. Der hat mich heute angerufen.“Dillier wartete, bis Just fragte, weshalb. Als die Frage ausblieb, fuhr er fort: „Wegen der Doppelziff­erungen.“

„Ach, ich dachte, die Sache sei erledigt. Hat sich nicht eine der Noten als Fälschung erwiesen?“

„Es ging ihm nicht um diesen Geldschein.“Wieder wartete Dillier darauf, dass Just nachhakte.

Und diesmal tat er es: „Worum denn?“

Nach einer Kunstpause sagte Dillier feierlich: „Gantmann wollte wissen, ob es wahr sei, dass wir im Spätsommer letzten Jahres größere Mengen Doppelziff­erungen gedruckt hätten.“Pause. „Und an die GCBS geliefert.“

Was Dillier wie eine kleine Ewigkeit des Schweigens vorkam, waren wohl nicht mehr als ein paar Sekunden.

Endlich sagte Just: „Woher hat er das?“

Frau Gabler ging nicht mehr viel aus dem Haus. Sie war vierundach­tzig und schlecht zu Fuß. Sie hatte sich vor Jahren einer Hüftoperat­ion unterziehe­n müssen, und seither war alles schlimmer geworden. Zuerst wollte die Wunde nicht verheilen. Der Arzt sagte, das habe mit ihrer Diabetes zu tun und damit, dass sie rauche. Dabei war er über beides genau informiert gewesen. Man musste ein zweites und drittes Mal operieren, sechs Wochen lag sie im Spital.

Danach kamen Komplikati­onen.

(Fortsetzun­g folgt)

die

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