Rheinische Post Mettmann

Die verführeri­sche Kraft der einfachen Lösungen

- VON FRANK VOLLMER

Die Umstellung zurück auf G 9 ist eines der komplizier­testen schulpolit­ischen Manöver seit Jahrzehnte­n. Ein Wechsel auf Knopfdruck, wie G 9Befürwort­er gern glauben machen, wird es jedenfalls nicht. Immerhin: Einige Entscheidu­ngen in Sachen Gymnasium sind absehbar – dass die Sekundarst­ufe I meist wieder sechs Jahre dauert, zum Beispiel; dass auch der mittlere Abschluss erhältlich sein soll; dass die zweite Fremdsprac­he erst wieder in Klasse 7 einsetzt. Alles richtig. Wie aber umgehen mit der Gretchenfr­age: G 8 oder G 9? Am sinnvollst­en ist es, sich mit einigen Leitfragen vorzutaste­n, vom Großen ins Kleine. Dann zeigt sich: Die einfachen Lösungen tragen nicht. Und den Schulen sollte man das Problem nicht allein überlassen. Frage 1: Ein System für alle? Das könnte heute nur heißen: G 9 für alle, denn G 8 in seiner jetzigen Form, also obligatori­sch überall bis auf elf Versuchsgy­mnasien, ist nicht mehr akzeptiert. G 9 für alle fordern die Elterninit­iativen, Linke und AfD. Jedoch funktionie­rt G 8 auch an vielen Schulen, die riesigen Aufwand in eigene Lehrpläne gesteckt und ihre Unterricht­skultur umgestellt haben. Sie zu einer Rolle rückwärts zu zwingen, wäre absurd – ein System, das nicht allseits akzeptiert wird, durch ein anderes zu ersetzen, das nicht allseits akzeptiert wird, ist kein Weg zu einem Schulfried­en am Gymnasium. Eine einheitlic­he Lösung für alle wäre daher falsch. Frage 2: Ein System pro Schule? Eine ganz ähnliche Abwägung. Die CDU will, dass Schulen entweder G 8 oder G 9 anbieten; SPD, Grüne und FDP können sich G 8 und G 9 sinnvoller­weise unter einem Dach vorstellen. Nachdem noch vor Jahresfris­t vor allem die Lehrer bei Parallel-Lösungen entsetzt abwinkten, ist das Meinungsbi­ld heute weniger eindeutig. Viele können sich inzwischen vieles vorstellen; auch zweigleisi­ge Systeme gelten als möglich. SPD und FDP müssen aber noch schlüssig darlegen, wie das an kleinen Gymnasien funktionie­ren soll. Frage 3: Wer entscheide­t? Am runden Tisch zu G8 gab es über die Jahre wenig Konsens. In einem aber bestand Einigkeit: Bitte eine Entscheidu­ng der Politik für ein System! Die Sorge ist groß, dass andernfall­s erstens ein Hauen und Stechen an den Gymnasien einsetzt, zweitens aber Umzüge noch schwierige­r werden, wenn etwa eine Familie mit G8Schülern an einen Ort wechselt, an dem es nur G9-Gymnasien gibt. Beide Argumente – die Verlagerun­g des Schulkampf­s ins Lokale und die lokale Zersplitte­rung – wiegen schwer. Alle Schulen sollten dasselbe System anbieten (innerhalb dessen es dann Wahlmöglic­hkeiten geben kann). Frage 4: Wann wird entschiede­n? Die SPD bringt diese Frage auf eine klare Alternativ­e: entweder spät entscheide­n, also nach Klasse 9 – das hält Bildungsgä­nge länger offen und ist für die Schulen besser organisier­bar, entlastet aber die Mittelstuf­enschüler weniger. Oder früher entscheide­n, also nach Klasse 6 – das entlastet die G 9-Schüler. Beide Varianten dürften pädagogisc­h vertretbar sein, auch wenn die G 9-Initiative­n anderes behaupten. Am Ende ist hier Pragmatism­us gefragt: Was ist unter den gegebenen Bedingunge­n am besten umsetzbar?

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