Die verführerische Kraft der einfachen Lösungen
Die Umstellung zurück auf G 9 ist eines der kompliziertesten schulpolitischen Manöver seit Jahrzehnten. Ein Wechsel auf Knopfdruck, wie G 9Befürworter gern glauben machen, wird es jedenfalls nicht. Immerhin: Einige Entscheidungen in Sachen Gymnasium sind absehbar – dass die Sekundarstufe I meist wieder sechs Jahre dauert, zum Beispiel; dass auch der mittlere Abschluss erhältlich sein soll; dass die zweite Fremdsprache erst wieder in Klasse 7 einsetzt. Alles richtig. Wie aber umgehen mit der Gretchenfrage: G 8 oder G 9? Am sinnvollsten ist es, sich mit einigen Leitfragen vorzutasten, vom Großen ins Kleine. Dann zeigt sich: Die einfachen Lösungen tragen nicht. Und den Schulen sollte man das Problem nicht allein überlassen. Frage 1: Ein System für alle? Das könnte heute nur heißen: G 9 für alle, denn G 8 in seiner jetzigen Form, also obligatorisch überall bis auf elf Versuchsgymnasien, ist nicht mehr akzeptiert. G 9 für alle fordern die Elterninitiativen, Linke und AfD. Jedoch funktioniert G 8 auch an vielen Schulen, die riesigen Aufwand in eigene Lehrpläne gesteckt und ihre Unterrichtskultur umgestellt haben. Sie zu einer Rolle rückwärts zu zwingen, wäre absurd – ein System, das nicht allseits akzeptiert wird, durch ein anderes zu ersetzen, das nicht allseits akzeptiert wird, ist kein Weg zu einem Schulfrieden am Gymnasium. Eine einheitliche Lösung für alle wäre daher falsch. Frage 2: Ein System pro Schule? Eine ganz ähnliche Abwägung. Die CDU will, dass Schulen entweder G 8 oder G 9 anbieten; SPD, Grüne und FDP können sich G 8 und G 9 sinnvollerweise unter einem Dach vorstellen. Nachdem noch vor Jahresfrist vor allem die Lehrer bei Parallel-Lösungen entsetzt abwinkten, ist das Meinungsbild heute weniger eindeutig. Viele können sich inzwischen vieles vorstellen; auch zweigleisige Systeme gelten als möglich. SPD und FDP müssen aber noch schlüssig darlegen, wie das an kleinen Gymnasien funktionieren soll. Frage 3: Wer entscheidet? Am runden Tisch zu G8 gab es über die Jahre wenig Konsens. In einem aber bestand Einigkeit: Bitte eine Entscheidung der Politik für ein System! Die Sorge ist groß, dass andernfalls erstens ein Hauen und Stechen an den Gymnasien einsetzt, zweitens aber Umzüge noch schwieriger werden, wenn etwa eine Familie mit G8Schülern an einen Ort wechselt, an dem es nur G9-Gymnasien gibt. Beide Argumente – die Verlagerung des Schulkampfs ins Lokale und die lokale Zersplitterung – wiegen schwer. Alle Schulen sollten dasselbe System anbieten (innerhalb dessen es dann Wahlmöglichkeiten geben kann). Frage 4: Wann wird entschieden? Die SPD bringt diese Frage auf eine klare Alternative: entweder spät entscheiden, also nach Klasse 9 – das hält Bildungsgänge länger offen und ist für die Schulen besser organisierbar, entlastet aber die Mittelstufenschüler weniger. Oder früher entscheiden, also nach Klasse 6 – das entlastet die G 9-Schüler. Beide Varianten dürften pädagogisch vertretbar sein, auch wenn die G 9-Initiativen anderes behaupten. Am Ende ist hier Pragmatismus gefragt: Was ist unter den gegebenen Bedingungen am besten umsetzbar?