Rheinische Post Mettmann

Abe und Obama gemeinsam in Pearl Harbor

- VON GODEHARD UHLEMANN

Beim japanische­n Angriff 1941 starben 2400 Amerikaner. Erstmals gedenkt ein japanische­r Premier mit dem US-Präsidente­n der Opfer.

HONOLULU Es ist ein heikler Besuch, den Japans Regierungs­chef Shinzo Abe gestern in den USA absolviert­e. Durch seinen historisch­en Bezug wird er auch politisch wichtig, und er hebt ihn über öde und blasse Routinetre­ffen hinaus. Zusammen mit dem scheidende­n amerikanis­chen Präsidente­n Barack Obama, der für diesen Anlass seinen Weihnachts­urlaub unterbroch­en hatte, machte der Japaner in Pearl Harbor seine Aufwartung und gedachte der Menschen, die beim Überraschu­ngsangriff der kaiserlich­en Luftwaffe auf die US-Flotte umgekommen waren: 2403 Amerikaner.

Beide erinnerten gemeinsam unmittelba­r am Ort des Geschehens an die Toten. In einer kurzen Zeremonie legten Obama und Abe zwei Kränze in der weißen Gedenkstät­te nieder, die wie eine Brücke über das

„Ein Tag der Schande, den wir nie vergessen

werden“

Franklin D. Roosevelt

US-Präsident, am 8. Dezember 1941 –

dem Tag nach dem Angriff

Wrack des Schlachtsc­hiffs „Arizona“gebaut ist. Die „Arizona“sank beim Angriff auf Pearl Harbor. Anschließe­nd ließen die beiden Regierungs­chefs von der Gedenkstät­te aus Blumen ins Meer fallen.

Ohne Kriegserkl­ärung waren die Japaner am 7. Dezember 1941 ihren Überraschu­ngsangriff auf die USPazifikf­lotte geflogen und hatten dabei eine Reihe von Kriegsschi­ffen versenkt oder schwer beschädigt. Die Marinebasi­s auf der Hawaii-Insel Oahu wurde massiv getroffen. Im Hafen lagen an dem Tag rund 140 Kriegsschi­ffe, darunter acht Schlachtsc­hiffe und 29 Zerstörer. Der Angriff Japans auf Pearl Harbor hatte das Selbstbewu­sstsein der Weltmacht tief erschütter­t und ein traumatisc­hes Erlebnis verursacht, das bis heute nachhallt.

Rund zwei Millionen Menschen kommen pro Jahr an die Stätte des Angriffs. Sie wollen verstehen, wie die japanische­n Flugzeugtr­äger unentdeckt bis auf rund 230 Meilen an ihr militärisc­hes Ziel gelangen konnten. Bei der ersten Angriffswe­lle waren 185 Maschinen im Einsatz, später kamen noch weitere Torpedo-Flugzeuge hinzu, die ihre tödli- che Last vor den Schiffen abwarfen. Zu diesem Zeitpunkt war an eine effektive Verteidigu­ng gar nicht mehr zu denken. Zeitzeugen beschreibe­n die Situation als chaotisch.

Amerikas Antwort kam prompt am folgenden Tag: Präsident Franklin D. Roosevelt sprach im US-Kongress vom „Tag der Schande, den wir nie vergessen werden“. Der Präsident erklärte Japan den Krieg und vollzog damit den Eintritt des Landes in den Zweiten Weltkrieg. An dessen Ende standen die demütigend­e Niederlage des Kaiserreic­hes, die beiden verheerend­en Atombomben­abwürfe auf Hiroshima und Nagasaki, das Ende des japanische­n Expansions­drangs in Südostasie­n und eine Neuordnung der Region. Und die menschlich­e Bilanz: Millionen Tote, Verletzte und Vertrieben­e.

Heute wird die Pazifik-Region durch die massiven chinesisch­en Interessen und die atomaren Provokatio­nen Nordkoreas geprägt. Für Japan wichtig zu wissen: Der einstigen Feind USA ist seit Jahrzehnte­n ein verlässlic­her Freund. Doch ob das auch in Zukunft uneingesch­ränkt gilt, ist ungewiss. Der in den Startlöche­rn sitzende neue amerikanis­che Präsident Donald Trump hat Shinzo Abe schon unter Druck gesetzt – indem er bereits andeutete, die Zahl der rund 50.000 in Japan (vornehmlic­h auf Okinawa) stationier­ten US-Soldaten massiv reduzieren zu wollen. Japan solle sich künftig aus Eigenveran­twortlichk­eit stärker militärisc­h und auch finanziell an der Sicherheit­sarchitekt­ur in Fernost beteiligen. Das wiederum stößt nicht nur in China auf Misstrauen. Auch Länder, die einst unter dem japanische­n Expansions­drang litten, wollen kein militärisc­h erstarktes Japan vor ihrer Tür haben, sie fühlen sich an den japanische­n Imperialis­mus erinnert. Bevor Abe Anfang der Woche in Tokio losflog, hatte er friedliche­re Zeiten beschworen: „Der Schrecken des Krieges sollte sich niemals wiederhole­n“, mahnte er.

Die „Arizona“war von einer etwa eine Tonne schweren Bombe getroffen worden. Der Feuerball der Explosione­n schoss über 150 Meter in die Höhe. Wie ein Fanal stand er mahnend am Himmel. Viele Mitglieder der Besatzung brannten wie Fackeln. 1177 Soldaten kamen in dem Inferno um, nur rund 300 haben den Angriff überlebt. Die Krankenhäu­ser der Insel waren überfüllt. Bis heute tritt aus dem Stahlgigan­ten Öl an die Oberfläche: „Die schwarzen Tränen der Arizona“heißt das Schauspiel theatralis­ch.

Der Abe-Besuch ist eine Antwort an Barack Obama, der als erster amtierende­r US-Präsident nach dem G7-Gipfel im Mai Hiroshima besucht hatte. Die Stadt war durch den ersten Atombomben­einsatz in der Geschichte der Menschheit weitgehend zerstört worden.

Obama wie auch Abe waren an wichtigen Gedenkstät­ten ihrer Nationen. Worte der Entschuldi­gung für Unrecht und Leid fand weder der eine noch der andere. Bei seinem Besuch in Hiroshima war sich Obama durchaus der belasteten wechselsei­tigen Geschichte bewusst. In das Gästebuch des Friedensmu­seums schrieb er: „Nie wieder Hiro- shima, aber auch nie wieder Pearl Harbor.“Japan ist bis heute das einzige Land der Welt, das von Atombomben getroffen wurde. Aus diesem Grunde hatte das Land stets auf eigene Atomwaffen verzichtet.

Dass der Abe-Besuch politisch für Aufsehen sorgt, mag der aktuellen weltpoliti­schen Lage mit einem anstehende­n Wechsel im amerikanis­chen Präsidente­namt geschuldet sein, doch auch andere japanische Regierungs­chefs hatten Pearl Harbor aufgesucht. Bereits 1951 war Shigeru Yoshida dort, 1956 folgte ihm Ichiro Hatoyama und 1957 Nobusuke Kishi. Er war der Großvater von Shinzo Abe. Nun gab es erstmals einen gemeinsame­n japanisch-amerikanis­chen Besuch, der der Welt verdeutlic­hen soll: „Wir stehen weiter zusammen.“

 ?? FOTO: REUTERS ?? US-Präsident Barack Obama (l.) und Japans Premiermin­ister Shinzo Abe in der Gedenkstät­te für das 1941 versenkte US-Schlachtsc­hiff „Arizona“. Das „Memorial“ist wie eine Brücke in die Hafenbucht gebaut, unmittelba­r oberhalb des Wracks.
FOTO: REUTERS US-Präsident Barack Obama (l.) und Japans Premiermin­ister Shinzo Abe in der Gedenkstät­te für das 1941 versenkte US-Schlachtsc­hiff „Arizona“. Das „Memorial“ist wie eine Brücke in die Hafenbucht gebaut, unmittelba­r oberhalb des Wracks.

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