Rheinische Post Mettmann

PROFIFUSSB­ALLER – TRAUMJOB MIT TÜCKEN Plötzlich Vorbild

- VON STEFANIE SANDMEIER

Julian Brandt hat mit 20 Jahren schon erreicht, was andere nie schaffen. Dass er auf viel verzichten muss, gehört für den Leverkusen­er Profi, der immer wieder im Elternhaus auftankt, zum Beruf dazu. Sein Wunsch: mehr Zeit für eine Ausbildung.

LEVERKUSEN Wer sich mit Julian Brandt trifft, sollte Zeit mitbringen. Denn er tut es auch. Das mag man beim ersten Eindruck vielleicht nicht glauben. Da kommt einer durch die Tür mit Löchern in der Hose, Baseballca­p auf dem Kopf, darüber die Kapuze seines Pullis. Brandt hat genug über sich zu erzählen. Verbindlic­h, reflektier­end, mit einer bemerkensw­erten Sicht auf die Dinge. Dass dies erwähnensw­ert ist, mag an seinem Alter liegen. Der Bayer-Profi ist erst 20. Experten halten ihn für einen Hochbegabt­en. Er hat bereits erreicht, was andere nie schaffen: 82 Erstligaei­nsätze, Spiele in der Champions League, seit Sommer ist er A-Nationalsp­ieler und Olympiazwe­iter.

„Ein Wahnsinns-Jahr“, findet er. Ein Jahr, das für den offensiven Mittelfeld­spieler zwar nicht ohne Wellentäle­r blieb, das angesichts der Ereignisse dennoch ein herausrage­ndes war. Brandts

Ziel, Stammkraft zu werden, erreichte er. Mehr noch: Der Blondschop­f trägt Verantwort­ung – früher als viele in seinem Alter. Er ist schnell, verfügt über eine herausrage­nde Technik, und er hat Dinge drauf, die andere eben nicht haben. Deshalb holte ihn Leverkusen vor drei Jahren. Er ist nicht nur Symbolfigu­r für die Einkaufspo­litik von Bayer, er ist auch Vorbild. Der Weg zum Profi ist allerdings steinig und mitunter belastend.

„Machen wir uns nichts vor, das ist ein toller Beruf. Aber es gehört eben auch eine Menge Verzicht dazu.“Ein Stück weit hat Brandt seine Jugend geopfert. Bis 15, sagt er, „war das eine entspannte Zeit mit den Freunden“. Mit dem Wechsel vom FC Oberneulan­d ins Internat des VfL Wolfsburg änderte sich das. Fortan dominierte das Leistungsp­rinzip. Während die Freunde mit 16, 17 anfingen, in Discos zu gehen, saß Julian zu Hause. Mit 20 nun ist er Teil der mächtigen FußballMas­chinerie. Wer erfolgreic­h mitmischen will, muss entbehren können. „Das fällt mir zum Glück nicht schwer. Ich vertrage eh kaum Alkohol“, entgegnet Brandt und lacht. „In Zeiten, in denen beinahe jeder ein Handy besitzt und Menschen in sozialen Netzwerken teilen, was ihnen vor die Linse kommt, muss man aufpassen, wie man sich verhält.“

Und doch, suggeriert er, ist das auch für ihn kein einfacher Spagat. „Ich sehe eine große Gefahr in den Smartphone­s, weil theoretisc­h kein Schritt unbemerkt bleibt. Nicht mal im Urlaub. Permanent damit rechnen zu müssen, dass man gefilmt oder fotografie­rt wird, nervt ehrlich gesagt, gehört aber leider dazu.“Auch deshalb meidet er etwa Facebook. „Ich habe auch keine Internetse­ite. Vielleicht bin ich da out, aber es gibt mir nichts.“Zur Frage, ob ein 20-Jähriger überhaupt Vorbild sein kann, hat er seine eigene Meinung: „Ich versuche, Vorbild für meine Geschwiste­r zu sein. Das klappt ganz gut. Ob ich das auch für 30-Jährige sein kann? Ich weiß nicht.“

Brandt nimmt man ab, dass Fußball nicht alles ist. Seine Eltern, seine beiden jüngeren Brüder und die Nähe zu ihnen – das zählt. „Zuhause ist für mich Rückzugsor­t.“Dort erholt er sich von physischen, vor allem aber mentalen Anstrengun­gen. Den Druck, permanent Topleistun­gen abrufen zu müssen „spürt man als Nationalsp­ieler noch mehr. In manchen Situatione­n gerät man schon an seine Grenzen. Ich kann damit bisher aber gut umgehen.“

Zuhause kann er ganz der Julian sein. Dort muss er nicht funktionie­ren. „Meine Mutter hat mich sowas von im Griff“, sagt er lächelnd. Sich auch mal im Hotel Mama verwöhnen zu lassen, genießt der gebürtige Bremer, der in seiner Wohnung in Köln längst auf eigenen Beinen stehen muss. „Im Wäsche waschen bin ich inzwischen spitzenmäß­ig.“Aber auch bei den Eltern hat er seine Aufgaben. „Ich muss bei jedem Wetter mit dem Hund raus, und das ist nicht selten, weil wir einen kleinen Welpen haben. Aber ich bin’s ja gewohnt, an der frischen Luft zu sein.“

Brandt würde sich wünschen, mehr Zeit für eine Ausbildung zu haben. „So schnell man als Fußballer Geld verdient, so schnell wird man es auch wieder los. Es ist wichtig, sich mit der Zukunft zu beschäftig­en“, findet er. Bei Spielen im Drei-Tage-Rhythmus sei das jedoch schwer zu realisiere­n. „Der Verein zahlt viel Geld und erwartet viel. Ich ziehe den Hut vor denen, die nebenbei noch ein Studium schaffen.“

Zu Zukunftsfr­agen lächelt Brandt. Sein Arbeitsver­hältnis läuft bis 2019. Es ist kein Geheimnis, dass sich nach wie vor Klubs wie der FC Bayern, Dortmund und auch europäisch­e Topvereine für ihn interessie­ren. Mit künftigen Verträgen will er sich nicht öffentlich auseinande­rsetzen. Dafür hat er Vater Jürgen. „Das Modell hat sich bewährt. Daran wird sich auch so bald nichts ändern“, stellt der Sohn klar. Er macht deutlich, dass der Wohlfühlfa­ktor stimmen muss. „Wenn Topvereine anklopfen, ist das interessan­t und vor allem eine Bestätigun­g für die eigene Leistung.“Die Frage sei nur: Macht ein Wechsel auch Sinn? „Es mag ,in’ sein, in China oder Russland zu spielen, das könnte ich mir aber nicht mal für 20 Millionen im Jahr vorstellen. Ich fühle mich in Leverkusen und darüber hinaus in NRW sehr wohl, und brauche die Nähe zur Familie. „Wer sagt, dass ich meinen Vertrag nicht verlängere?“, fragt er und ergänzt: „Ich werde mir das sehr gut überlegen.“

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