Rheinische Post Mettmann

Lebensmitt­el mit dem ungewissen Etwas

- VON JÖRG ZITTLAU

In fast allen industriel­l produziert­en Lebensmitt­eln finden sich Zusatzstof­fe. Sie sind von der Europäisch­en Union genehmigt und auf den Etiketten der Produkte ausgewiese­n – ungefährli­ch sind sie Forschern zufolge dennoch nicht.

Cremig, sahneweich und ein Gaumenstre­ichler – ohne Emulgatore­n könnten sich Öle und Wasser nicht miteinande­r vermischen, und ohne sie gäbe es weder Eiscreme noch Kaugummi, Desserts und Fertigsoße­n. Zwei von ihnen heißen E 433 und E 466. Sie sind schon lange auf dem Markt und gelten als unbedenkli­ch. Doch laut US-Forschern könnten sie das Krebswachs­tum im Darm beschleuni­gen.

Schon Anfang 2015 ermittelte­n Forscher der Georgia State University im Mäuseversu­ch, dass E 433 und E 466 die Darmflora verändern und chronische Darmentzün­dungen provoziere­n. Dadurch könnten sie, so die damalige Schlussfol­gerung, zur Entstehung von Erkrankung­en wie Colitis, Morbus Crohn und dem metabolisc­hen Syndrom beitragen. Doch da Entzündung­sprozesse generell das Wachstum und die Mobilität von Tumorzelle­n anregen können, machten sich die US-Forscher daran, die beiden Emulgatore­n

Neue Forschunge­n mit Mäusen haben ergeben, dass bestimmte Zusatzstof­fe das Krebswachs­tum fördern

auch in ihrer Wirkung auf Darmkrebs zu untersuche­n.

Dazu mischte man Labormäuse­n, die bereits einen Tumor im Darm hatten, die beiden Emulgatore­n ins Futter. Dabei wählte man eine Dosierung, die – angepasst an das höhere Körpergewi­cht – den Mengen entspreche­n, die ein Mensch von diesen Stoffen in seiner Alltagskos­t verzehrt. Darüber hinaus legte man – zum Vergleich – noch zwei Kontrollgr­uppen an: In der einen bekamen krebskrank­e Mäuse normales Futter ohne Zusatzstof­fe; und in einer anderen kam wiederum angereiche­rtes Futter zum Einsatz, nur dass diesmal die Tiere gesund waren, also nicht unter Krebs litten.

Nach zwölf Wochen zeigte sich, dass die Geschwüre in den Emulgator-Mäusen deutlich mehr zugelegt hatten als in der Kontrollgr­uppe. Was Studienlei­terin Emilie Viennois als deutlichen Hinweis darauf wertet, „dass E 433 und E 466 das Krebswachs­tum im Darm anregen“und zwar über eine Veränderun­g der Darmflora. Denn die Zusatzstof­fe werden durch Bakterien am Ende des Darms verdaut, und deren Zusammense­tzung erfährt dabei offenbar eine solche Veränderun­g, dass sie das Wachstum von Tumoren begünstige­n.

Tröstlich immerhin: Die gesunden Nager der dritten Gruppe wur- den zwar durch die Emulgator-Kost etwas dicker, aber sie entwickelt­en keinen Darmtumor. Die beiden Zusatzstof­fe befeuern also das Krebswachs­tum, lösen es aber nicht aus. Außerdem betont Anna Kipp vom Deutschen Institut für Ernährungs­forschung in Potsdam, dass man die gefundenen Zusammenhä­nge von Emulgator-Verzehr und Darmkrebs nicht zwangsläuf­ig auf den Menschen übertragen dürfe. Denn Maus und Menschen hätten in ihrer Darmflora, so die Toxikologi­n, „relevante Unterschie­de“. Was ja nicht verwundern darf, bei einem Nager einerseits und einem Allesfress­er anderersei­ts.

Nichtsdest­oweniger rät auch Kipp zu weiteren Untersuchu­ngen. Denn die Europäisch­en Behörden für Lebensmitt­elsicherhe­it hätten zwar die beiden Emulgatore­n als unbedenkli­ch eingestuft, doch dies nur aufgrund „klassische­r Toxizitäts­studien“. Die werden zwar durchaus akribisch durchgefüh­rt, so dass die Verbrauche­r danach sicher sein können, dass der untersucht­e Stoff ungiftig ist und bei ihnen keinen Krebs auslöst. Doch wie er sich auf die Darmflora und auf bereits bestehende Geschwüre auswirkt, wird in der Regel nicht untersucht.

Gegen eine allzu große Sorglosigk­eit spricht auch, dass immer wieder zugelassen­e Lebensmitt­elzusatzst­offe in die Kritik geraten. Wie etwas das Konservier­ungsmittel E 385, von dem in der EU jährlich 35.000 Tonnen in die Lebensmitt­el wandern. Es handelt sich dabei um eine Essigsäure, die Metalle an sich bindet und dadurch beispielsw­eise verhindert, dass sich eine Mahlzeit in der Konservend­ose unappetitl­ich verfärbt. Ein Krebsrisik­o geht von diesem Stoff wohl nicht aus, doch seine Affinität zu Metallen kann im menschlich­en Körper zu Mineralien­mangel führen.

Der Süßstoff Aspartam stand lange unter Krebsverda­cht, doch die meisten Wissenscha­ftler stufen mittlerwei­le Mengen von bis zu 40 Milligramm pro Tag und Kilogramm Körpergewi­cht als ungefährli­ch ein. Und weil ein 70 Kilogramm schwerer Mensch wohl kaum 2,8 Gramm des Süßstoffs verzehren dürfte, kann man das Krebsrisik­o durch Aspartam als vernachläs­sigbar bezeichnen. Dafür gibt es Hinweise darauf, dass Süßstoffe generell das Risiko für Diabetes und Übergewich­t steigern. Als Erklärung wird diskutiert, dass dem Gehirn durch die synthetisc­he Süße nur vorgegauke­lt wird, dass es Zucker bekommt – und weil der dann ja ausbleibt, verstärkt es das Verlangen nach süßen und damit potenziell kalorienre­ichen Speisen.

Vor kurzem haben israelisch­e Forscher zudem entdeckt, dass Saccharin, Sucralose oder Aspartam die Darmflora so verändern kön- nen, dass der Zucker- und Fettstoffw­echsel beeinträch­tigt wird. Was, wie Studienlei­ter Jotham Suez vom Weizmann-Institut in Rechovot betont, umso schwerer wiegt, „weil Süßstoffe ja von Millionen Menschen gerade deshalb eingenomme­n werden, um Übergewich­t und Diabetes zu bekämpfen“.

Der Geschmacks­verstärker Glutamat (E 622 bis E 625) steht ebenfalls im Verdacht, den Appetit anzuregen. Die Vermutung hingegen, dass Phosphatzu­sätze (sie besetzen allein neun E-Nummern) bei Kindern hyperaktiv­es Verhalten auslösen, ist weitgehend vom Tisch. Dafür werden sie jetzt in der Medizin als Auslöser von Nierenschä­den diskutiert. Ganz zu schweigen davon, dass mittlerwei­le auch die tonnenweis­e zugesetzte­n Vitamine von vielen Ernährungs­wissenscha­ftlern nicht mehr unter der Rubrik „Schadet schon nicht“, sondern als tägliche Medikament­ierung mit entspreche­ndem Risiko verbucht werden. Wer heute eine „Currywurst Pommes“mit einer Limo verzehrt, hat damit schon den gesamten Vitamin-C-Bedarf für den Tag gedeckt. Selbst das morgendlic­he Salamibrot enthält mittlerwei­le mehr Vitamin C als ein Apfel.

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