Rheinische Post Mettmann

Was das Elterngeld alles veränderte

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Vor zehn Jahren startete das Elterngeld in Deutschlan­d als ambitionie­rter Versuch des Staates, einer besseren Vereinbark­eit von Familie und Beruf auf die Sprünge zu helfen. Er nahm dabei in Kauf, dass sich Sozialleis­tungsempfä­nger und Geringverd­iener schlechter stehen können als beim vorherigen Erziehungs­geld. Aber um Einkommens­einbußen junger Familien insgesamt besser auszugleic­hen, nahm er nun jährlich rund fünf Milliarden Euro in die Hand. Hat die Politik damit mehr bewirkt als einen bloßen Mitnahmeef­fekt? Vieles spricht dafür, dass es auch Teil einer gesellscha­ftlichen Veränderun­g wurde.

Zwölf Monate eine Art „Gehalt“vom Staat für die Mutter oder den Vater, orientiert an ihren oder seinen vorherigen Nettoeinkü­nften, wenn sie oder er sich nach der Geburt um ihr Kind kümmert – so das Grundkonze­pt. Zwei Monate mehr, wenn sich die Partner dabei abwechseln. Und neuerdings ist bei der „Plus“-Variante des Elterngeld­es sogar eine Finanzieru­ng über bis zu 36 Monate möglich, wenn sie dabei Teilzeitbe­schäftigun­gen nachgehen.

Sieht so das Familienpa­radies Deutschlan­d aus? Ein Blick auf die konkreten Leistungen ernüchtert. Männer als Elterngeld­bezieher hatten vorher im Schnitt 2064 Euro monatlich netto zur Verfügung, während der Elternzeit nun 1204 Euro. bei Frauen sackte der Betrag von 1374 auf 720 Euro, viele haben nicht mehr als 500 Euro. Große Sprünge lassen sich damit nicht machen. Zumal beim Elterngeld-Plus der Betrag noch einmal zu halbieren ist. Das liegt daran, dass es für sehr hohe Einkommen gar nichts vom Staat gibt, die Leistungen generell bei 300 Euro beginnen und bei 1800 Euro enden – von Zuschlägen für Partner und Geschwiste­r abgesehen. Die durchschni­ttlichen Elterngeld-Zahlungen berechnet das Statistisc­he Bundesamt derzeit mit 7011 Euro für die ge- samte Bezugsdaue­r. Da sind lange Zahlungen für Mütter und kurze für Väter genauso eingerechn­et wie niedrige für Hartz-IV-Bezieher und hohe für Besserverd­ienende. Und regionale Unterschie­de: In Hamburg sind es 7893, in NRW 6857, in Bremen 6422 Euro.

Reich werden junge Familien damit nicht. Aber es hilft ihnen, Einkommens­ausfälle abzufedern. Im Vergleich zum vorherigen finanziell­en Spielraum junger Familien ist das Projekt „Zukunft mit Kindern“durch das Elterngeld deutlich besser ausgestatt­et.

Daneben hat es zwei gesellscha­ftliche Veränderun­gen gegeben: Mehr Akademiker­innen entscheide­n sich fürs Kind und mehr Väter für eine Auszeit. Nach zehn Jahren spreche niemand mehr vom „Wickelvolo­ntariat“, erläutert CDU-Familienex­pertin Nadine Schön. Es sei mittlerwei­le „völlig normal und akzeptiert, dass Väter Elternzeit nehmen“. Das macht nun schon bereits fast jeder Dritte. Vorher neigte lediglich jeder Zwanzigste zu einer Auszeit fürs Kind. Der Einfluss auf die Geburtenra­te ist nicht eindeutig. Es werden zwar wieder mehr Kinder geboren, doch nicht jede Studie sieht einen Zusammenha­ng mit dem Elterngeld.

Eine Elterngeld-Studie des Demoskopie-Instituts Allensbach mit über 3100 Interviews Betroffene­r bestätigt jedenfalls die Veränderun­gen beim Verhaltens­muster. Tatsächlic­h gibt 19 Prozent an Vätern, die es nicht wagen, ihre Berufstäti­gkeit für eine Elternzeit zu unterbrech­en, obwohl sie es gerne täten. Sie fürchten vor allem Einkommens­verluste, Nachteile im Beruf und Probleme bei der Betriebsor­ganisation. Tatsächlic­h hängt viel davon ab, wie die jeweilige Firma damit umgeht. Das scheint immer besser zu gelingen. So sagte ein 36-Jähriger, der sich beim zweiten Kind für die Elternzeit entschied, es habe für ihn „schon eine große Rolle gespielt, dass in der Firma fast jeder die zwei Monate nimmt, da ist das dann kein großes Thema mehr“.

Nadine Schön

Die Äußerung verweist zugleich auf ein dann doch noch stark durchschei­nendes traditione­lles Rollenvers­tändnis: Mütter unterbrech­en den Beruf im Schnitt für 19 Monate, Väter für sieben Wochen. Das oft höhere Einkommen der Männer taugt nur bedingt für eine Erklärung. Es wird zwar sehr oft darauf verwiesen, doch selbst in Partnersch­aften, in denen sie mehr verdient als er, nimmt die Mutter zumeist den größeren Anteil an der Elternzeit.

Und es ist auch nach wie vor nicht so, dass die Eltern mit Kind dort anknüpfen, wie sie vorher ohne lebten. Laut Allensbach arbeiteten vor der Geburt des ersten Kindes 71 Prozent der Männer und Frauen in Vollzeit, nach der Elternzeit nur noch 15 Prozent. Vier Prozent hatten vor der Geburt das Modell Mann Vollzeit/Frau Teilzeit, danach wählten 25 Prozent diese Konstellat­ion. Nach der Geburt weiterer Kinder wiederhole­n die meisten Paare diese Entscheidu­ng. Mutterscha­ft läuft also bei vielen Frauen immer noch auf eine dauerhafte Reduzierun­g der Berufstäti­gkeit hinaus.

Gleichwohl weist Allensbach auf tiefgreife­nde Veränderun­gen der Leitbilder in der Gesellscha­ft hin. 1982 hätten noch elf Prozent für und 58 Prozent gegen die Berufstäti­gkeit junger Mütter votiert. Heute legten indes 53 Prozent aller Mütter und Väter Wert auf gute berufliche Perspektiv­en beider Elternteil­e.

Die Entscheidu­ng für Kind, Rolle und Elterngeld läuft bei fast allen ohne Streit, nur acht Prozent ringen um Kompromiss­lösungen. Doch zwischen den gelebten und den eigentlich gewünschte­n Lebensmode­llen gibt es eine Diskrepanz: Müssten sie auf nichts Rücksicht nehmen, würden 47 Prozent der Eltern lieber gleich lang mit Beruf und Familie beschäftig­t sein. 28 Prozent wünschten sich, dass beide in Teilzeit arbeiten, tatsächlic­h tun dies nur vier Prozent. Woran scheitert der Wunsch nach Berufstäti­gkeit? Für 47 Prozent an den Finanzen, für 45 Prozent (auch) am Betrieb, für zehn Prozent am Partner und für acht Prozent an geeigneter Kinderbetr­euung.

„Es ist mittlerwei­le völlig normal und akzeptiert, dass Väter

Elternzeit nehmen“

Familienex­pertin

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