CHRISTIAN JAKUBCZAK Wenn Kinder mit Handicap ausziehen
Der Experte der Koordinierungs-, Kontakt- und Beratungsstelle (KoKoBe) im Kreis Mettmann berät auch in Wülfrath.
KREIS METTMANN Wenn Kinder erwachsen werden, ziehen sie irgendwann aus. Das ist in der Regel auch bei Kindern mit geistiger Behinderung so. Damit alles glatt läuft, hilft Christian Jakubczak von der Koordinierungs-, Kontakt- und Beratungsstelle (KoKoBe) im Kreis Mettmann. Herr Jakubczak, wie groß ist die Nachfrage nach Ihrer Beratung? JAKUBCZAK Das ist sehr unterschiedlich. Ich bin für die Städte Hilden, Monheim und Langenfeld zuständig und habe unterm Strich jeden Tag mit einem neuen Menschen Kontakt. Das sind immer entweder Menschen mit Förderbedarf oder Angehörige. In welcher Situation rufen die Menschen Sie an? JAKUBCZAK In der Regel melden sich die Eltern. Für sie ist der Auszug ihrer Kinder ein Thema, das gut vorbereitet werden muss und zu dem sie ganz viele Fragen haben. Das fängt an bei Fragen zu Möglichkeiten und unterschiedlichen Wohnformen. Es geht aber auch um Anträge, Zu- schüsse, Pflegegeld, Kindergeld und ganz Alltägliches, etwa die Frage: Wer hilft meinem erwachsenen Kind beim Wäschewaschen? Oder auch: Wer kauft ein, wenn mein erwachsenes Kind nicht in der Lage ist, alleine einzukaufen? Wenn ein behindertes Kind ausziehen möchte oder soll, ist das sicher ein in besonderer Hinsicht sehr emotionales Thema: Haben manche Eltern das Gefühl, das Kind abzuschieben und ein schlechtes Gewissen? JAKUBCZAK Ja, das ist sehr häufig der Fall. Aber diese Sorge und diese Gefühle möchten wir den Eltern nehmen. Tatsächlich ist es in der Regel so: Nach dem Auszug merken die Eltern, dass sich das Kind positiv entwickelt und neue Fähigkeiten und Kompetenzen erlernt und auch selbstbewusster wird. In welchem Alter sind die geistig Behinderten, wenn sie ausziehen? JAKUBCZAK Die Spanne geht von 18 Jahren bis Anfang 60. Mit Anfang 60 ist es dann schon komplexer, einen Auszug vorzubereiten. Gilt also: je früher desto besser? JAKUBCZAK So weit möchte ich mich nicht festlegen, weil da natürlich viele Faktoren eine Rolle spielen. Aber ja, für die Entwicklung ist es in der Regel förderlich, wenn so ein Auszug früher passiert. In welche Wohnungen vermitteln Sie beziehungsweise welche Wohnformen gibt es denn? JAKUBCZAK Das ist abhängig vom Förderbedarf. Manche können alleine leben, dann können sie in eine eigene Wohnung ziehen. Für andere bietet sich vielleicht eher eine Wohngemeinschaft an, die dann immer auch pädagogisch begleitet wird, oder auch Stationäres Wohnen. Stationäres Wohnen ist das, was man früher Wohnheim nannte. Dort ist 24 Stunden jemand da, der sich kümmert. Das Leben ist in Gruppen strukturiert. Auch sind rund um die Uhr Fachkräfte unterschiedlicher Professionen vor Ort. Wie lange muss man denn in der Regel warten, bis eine Wohnung, ein Zimmer oder ein Platz verfügbar ist? JAKUBCZAK Der Wohnungsmarkt ist sehr angespannt. Das gilt insgesamt und insbesondere für unsere Klienten. Wer alleine wohnen möchte in einer Wohnung, die durch öffentlich Mittel finanziert wird, hat in der Regel längere Wartezeiten. Kleine Wohnungen zum Beispiel sind so gut wie gar nicht zu haben. Bei WGs ist das Verhältnis von Angebot und Nachfrage etwas besser. Beim Stationären Wohnen dagegen gibt es auch wieder längere Wartezeiten. Wie ermitteln Sie denn, wer welchen Bedarf hat und welche Unterstützung benötigt? JAKUBCZAK Es wird für jeden einzelnen ein individueller Hilfeplan erstellt. Dinge, die jemand auch alleine kann, die müssen nicht unterstützt werden. Bei allen anderen Dingen müssen wir schauen. Oft reicht auch eine kleine Hilfestellung. Wer nicht lesen kann, bekommt einen Einkaufszettel mit Piktogrammen – und dann kann er plötzlich selbständig und mit eigenem Geld einkaufen gehen. Oft sind es solche alltäglichen Kleinigkeiten, die ein ganz tolles Gefühl geben und das Selbstbewusstsein ungemein stärken.
SABINE SCHMITT STELLTE DIE FRAGEN