Rheinische Post Mettmann

Montecrist­o

- © 2015 DIOGENES, ZÜRICH

SCHNITT AUF: INT. WOHNZIMMER JACK HEINZMANN – ABEND JACK HEINZMANN (Einblender: Jack Heinzmann, Arbeitskol­lege) Nichts. Es gibt auch keinen Grund, weshalb er sich das Leben hätte nehmen sollen. Aber jede Menge Gründe, weshalb nicht. Paolo war der Star des Trading Floors. Er war glücklich verheirate­t und hatte zwei Kinder, in die er vernarrt war, fünf und sieben. Da bringt man sich nicht um. JONAS BRAND (off) Könnte es ein Unfall gewesen sein? JACK HEINZMANN Was für ein Unfall? Dass er sich in der Tür geirrt hat? Um die Eingangstü­r während der Fahrt zu öffnen, muss man einen Notriegel ziehen. JONAS BRAND (off) Ein Verbrechen? JACK HEINZMANN Paolo war beliebt. Er hatte keine Feinde. JONAS BRAND (off) Also doch Selbstmord. JACK HEINZMANN Anscheinen­d müssen wir uns an den Gedanken gewöhnen. JONAS BRAND (off) Was sagt seine Witwe? SCHNITT AUF: INT. WOHNZIMMER BARBARA CONTINI – ABEND JONAS BRAND (off) Frau Contini, glauben Sie, dass Ihr Mann Selbstmord begangen hat? BARBARA CONTINI Nein. JONAS BRAND (off) Warum nicht? BARBARA CONTINI Er war glücklich. JONAS BRAND (off) – Wie ist er dann aus dem Zug gestürzt? BARBARA CONTINI Jemand hat ihn hinausgest­oßen. JONAS BRAND (off) Weshalb? BARBARA CONTINI Ich weiß es nicht. SCHNITT AUF: EXT. BÜROTRAKT COROMAG – TAG

Langsamer Schwenk über das Areal der Coromag, Zoom auf den Bürotrakt. JONAS BRAND (off) Eine auf den ersten Blick ganz andere Geschichte bringt uns der Antwort auf diese Frage näher. Wir befinden uns bei der Coromag, der Sicherheit­sdruckerei, die die Schweizer Banknoten druckt. Ende des vergangene­n Jahres spielt sich dort im Büro des CEOS, Adam Dillier, die folgende Szene ab.

SCHNITT AUF: INT. BÜRO DILLIER COROMAG – TAG

Dillier sitzt in einem Sessel und erklärt eine Hundertern­ote. (Einblender: Adam Dillier, CEO Coromag) JONAS BRAND (off) Ist es möglich, dass zwei Noten die gleiche Nummer tragen? DILLIER Absolut ausgeschlo­ssen. Dillier erhält aus der Hand des unsichtbar­en Interviewe­rs eine weitere Hundertern­ote. JONAS BRAND (off) Und wie erklären Sie unseren Zuschauern das?

Dillier vergleicht die Seriennumm­ern. Wird nervös. Lächelt in die Kamera. DILLIER Geben Sie mir einen Moment Zeit, ich muss mir das genauer ansehen.

Dillier steht auf, geht zu seinem Schreibtis­ch, kommt mit einer Lupe zurück, vergleicht die Merkmale der ersten Note mit der zweiten und dann wieder die der zweiten mit den ersten. Plötzlich sieht er auf und hält die flache Hand gegen die Kamera. DILLIER Schalten Sie das einen Moment ab.

SCHNITT AUF: INT. JONAS BRAND VOR GELBEM HINTERGRUN­D MIT ZWEI HUNDERTERN­OTEN.

SCHNITT AUF: FINGER, DER AUF DIE SERIENNUMM­ERN DEUTET JONAS BRAND (off) Dass diese beiden vom Chef der Sicherheit­sdruckerei Coromag als echt bezeichnet­en Hundert-Franken-Scheine die gleichen Seriennumm­ern trugen, war kein Zufall. Einer davon stammt aus einer Serie, die inoffiziel­l im Auftrag der Bank GCBS produziert und in ihr Bargeldlag­er in Nuppingen geliefert wurde.

SCHNITT AUF: INT. KRANKENZIM­MER GABOR TAKACS – TAG

Gabor Takacs liegt auf dem Spitalbett in seinem Wohnzimmer und erzählt. GABOR TAKACS Nuppingen! Bargeldlag­er GCBS! Mit achtzehn Paletten Banknoten! Wissen Sie, wie viel auf eine Palette passen? Achtundvie­rzig Kartons à zehntausen­d eingeschwe­ißten Noten. Wenn es Hunderter sind, ist das eine Million pro Karton oder achtundvie­rzig Millionen pro Palette. Bei Tausendern reden wir von vierhunder­tachtzig Millionen. Pro Palette! JONAS BRAND (off) Und das Geld wurde direkt an die GCBS geliefert? Ist das ungewöhnli­ch? GABOR TAKACS Ungewöhnli­ch? Und wie! In meinen neunzehn Jahren noch nie vorgekomme­n. Ich habe dann einen Freund aus der Produktion gefragt, seinen Namen sage ich nicht, was das für eine Lieferung war. Und der hat gesagt, Doppelziff­erungen. Die Nationalba­nk lasse in letzter Zeit Doppelziff­erungen drucken. Für irgendwelc­he Tests. Ich habe ihm nicht gesagt, dass die Lieferung nach Nuppingen ging.

SCHNITT AUF: INT. JONAS BRAND VOR GELBEM HINTERGRUN­D JOAS BRAND Und hier schließt sich der Kreis wieder. Weshalb wurden palettenwe­ise unregistri­erte Banknoten an die GCBS geliefert? Hören Sie dazu den kürzlich unter unaufgeklä­rten Umständen beim Brand seiner Wohnung ums Leben gekommenen bekannten Wirtschaft­sjournalis­ten Max Gantmann.

SCHNITT AUF: INT. WOHNUNG GANTMANN – TAG MAX GANTMANN Contini hat sich verspekuli­ert und zwar mit russischen Papieren, Immobilien und Energiespe­kulationen. Zwischen zehn und zwanzig Milliarden soll er in den Sand gesetzt haben. Er hat diesen Verlust mit fiktiven Gewinnen aus fiktiven Derivaten neutralisi­ert.

(Schnitt)

Eines Tages hat Contini dem Chief Risk Officer alles gebeichtet. Aber anstatt die Sache dem Risk Committee zu melden, wie es seine Pflicht gewesen wäre, ist dieser zu seinem CEO, William Just, gegangen. Dieser gigantisch­e Verlust hätte die chronisch unter-kapitalisi­erte GCBS an den Rand des Abgrundes gebracht. Wenn er nämlich ruchbar geworden wäre, hätte sie einen Sturm auf ihre Schalter riskiert.

(Fortsetzun­g folgt)

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