Rheinische Post Mettmann

Fingerthea­ter für die große Leinwand

- VON KLAS LIBUDA

Zum Auftakt des Temps-D’Images-Festival wurde im Tanzhaus NRW ein Film gedreht und zeitgleich vorgeführt.

Kann sein, dass sich der Abend am Ende des Jahres in der persönlich­en Bestenlist­e wiederfind­et. Dass man sich im Dezember an Anfang des Jahres erinnern wird und dann denkt: Ja, „Cold Blood“, das war eine der Top-Aufführung­en, da war alles drin: Technik, gute Musik und Überraschu­ng — vorher hätte man nicht gedacht, dass man so etwas so perfekt auf die Bühne bringen kann.

Im Tanzhaus NRW wurde nun das Temps-D’Images-Festival eröffnet, mit einem Live-Filmdreh vor Publikum, der Film wiederum wurde zeitgleich über den zehn Köpfen des Ensembles vorgeführt, gespielt wurde hauptsächl­ich mit den Fingern in schuhkarto­ngroßen Kulissen.

Zu Beginn sagt ein Sprecher mit hypnotisie­render Stimme: „Jetzt schlafen Sie ein! Eins, zwei, drei.“Rabenschwa­rze Nacht: Auf der Bühne füllt sich ein Aquarium mit weißem Rauch aus der Nebelmasch­ine, es gibt flackernde Taschenlam­penBlitze und ein Modellflug­zeug, das an einer Art Schaschlik-Stab hängt — auf der Kinoleinwa­nd sieht man einen Jumbo-Jet in Turbulenze­n durch das schlimmste Gewitter fliegen.

„Cold Blood“— da feuert die Kommandoze­ntrale im Assoziatio­nskortex aus allen Rohren. Bei dem Titel denkt man an Vampir-Trilogien, kühle Industrial-Elektromus­ik oder an Truman Capotes Mordund-Totschlag-Story „Kaltblütig“, jedenfalls an nichts Gutes.

Tatsächlic­h lauert der Tod in der Produktion von Choreograf­in Michèle Anne De Mey und Regisseur und Cannes-Preisträge­r Jaco Van Dormael an jeder Ecke. Das Flugzeug stürzt ab und kracht in einen Wald. Auf der Bühne stellen sie es auf einer mit Moos und Ästen bedeckten Tischplatt­e ab. Auf der Leinwand sieht die Miniaturwe­lt aus wie ein Kiefernwal­d im Mecklenbur­g.

Siebenmal wird in „Cold Blood“der Tod vorgeführt, in sieben Episoden bewegen sich die Hauptfigur­en unaufhalts­am auf das Ende zu. Einer gerät in der Waschstraß­e in die Walzenbürs­ten. Aus den Lautsprech­ern dröhnt „Perfect Day“von Lou Reed. Auch Doris Day, David Bowie und Ravels „Boléro“gehören zur Filmmusik — der Tod hat hier eine gewisse Klasse.

Gespielt wird mit den Händen, zu erleben ist ein Daumenkino, in dem auch Zeige- und Mittelfing­er mittun dürfen. So bewegen sich die ungewöhnli­chen Hauptfigur­en durch düstere Noir-Häuserschl­uchten, mit dem Wagen ins Autokino, einmal werden beim Stepptanz die Schwarz-Weiß-Filme der 20er und 30er Jahre zitiert.

Das Tolle ist, dass man sich entweder der Illusion auf der Leinwand hingeben oder beim Produktion­sprozess auf der Bühne zuschauen kann. „Cold Blood“ist ein Zaubertric­k, der immer auch auf das Gemachtsei­n verweist.

Zuletzt noch mal die Stimme: „Eins, zwei, drei. Sie wachen jetzt auf.“Schade eigentlich.

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FOTO: JULIEN LAMBERT Szene aus „Cold Blood“, das im Tanzhaus gezeigt wurde.

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