Rheinische Post Mettmann

FUSSBALLPR­OFI – TRAUMJOB MIT TÜCKEN (10) Die große Leere

- VON TIM HARPERS FOTO: MIS

Psychische Erkrankung­en sind im Fußball keine Seltenheit. Besonders nach dem Karriereen­de wissen die Ex-Profis oft nicht, wie es weitergehe­n soll. Die größten Probleme macht die Suche nach neuen Aufgaben.

DÜSSELDORF Sebastian Deisler war vieles: Ausnahmeta­lent, Nationalsp­ieler, Idol. In den späten 90er Jahren kannte den Mittelfeld­strategen aus Lörrach fast jedes Kind. Er legte als Fußballer eine Ausnahmeka­rriere hin. Deisler begann in Gladbach, wechselte zur Hertha und später zu Bayern München, holte drei Meister- und drei DFB-Pokal-Titel. Was Fußballdeu­tschland damals nicht wusste, war, dass es noch einen ganz anderen Sebastian Deisler gab. Einen, der nichts mit dem coolen Vollprofi zu tun hatte, als der er sich ausgab. Einen, der mit dem Druck im harten Fußballges­chäft nicht mehr klarkam. Einen, den der Fußball krank machte. Sebastian Deisler litt an Depression­en. Er beendete frühzeitig seine Karriere und zog sich aus der Öffentlich­keit zurück.

Dabei sind Deislers Erfahrunge­n für einen Fußballpro­fi weniger ungewöhnli­ch, als man glauben mag. Neben Verletzung­sfolgen, wie beim ehemaligen Kölner Profi Dieter Prestin, dem seine Laufbahn mehr als 30 Operatione­n und zwei künstliche Kniegelenk­e einbrachte, haben Fußballer häufig mit psychische­n Spätfolgen zu kämpfen. Neben hohen Belastunge­n im Profiallta­g macht vor allem das Karriereen­de vielen ehemaligen Stars zu schaffen. Laut einer von der internatio­nalen Spielergew­erkschaft Fifpro in Auftrag gegebenen Studie leiden 39 Prozent aller früheren Profifußba­ller an Depression­en und Angstzustä­nden.

Wie belastend eine Fußballkar­riere und vor allem deren Ende sein kann, weiß Antje Hill, früher selbst internatio­nal erfolgreic­he Voltgierer­in und Sport-Psychologi­n am Neusser St.-Alexius-Klinikum für seelische Gesundheit. „Profis stehen dauerhaft unter Druck“, sagt sie. „Sie müssen immer funktionie­ren und den hohen Ansprüchen genügen, die die Branche an sie stellt.“Der Fall Robert Enke hat aufgezeigt, dass es Athleten als Schwäche ausgelegt wird, wenn sie Zweifel zeigen. An so etwas könne man leicht zer- brechen, sagt die Psychologi­n. Enkes tragisches Schicksal belegt das. Der Nationalto­rwart nahm sich das Leben. Depressive Phasen und Unsicherhe­it passten einfach nicht in das Bild, das Leistungss­portler von sich selber haben, erklärt Hill. „Aus diesem Grund fällt es dieser Gruppe besonders schwer, sich nach dem Karriereen­de Hilfe zu holen.“Ohnehin sei für Leistungss­portler oft das Ende ihrer Profizeit der eigentlich­e Auslöser psychische­r Probleme. „Nach einer langen Profilaufb­ahn stehen Fußballer vor der Aufgabe, sich neu erfinden zu müssen“, sagt die Psychologi­n. „Das ist gar nicht so einfach. Deshalb fallen viele in ein seelisches Loch.“Das größte Problem sei, dass mit dem Ende der Laufbahn die Alltagsstr­uktur verloren geht. „Profisport­ler haben ein durchgetak­tetes Leben. Ihnen wird alles vorgegeben. Es gibt feste Zeiten fürs Essen, für die Familie und für Freizeit.“Nach der Karriere falle diese Struktur weg. „Und das kann dazu führen, dass sich die Sportler verloren fühlen.“

Es sei deshalb für Profis besonders wichtig, sich auf die Phase nach ihrer aktiven Zeit vorbereite­n zu können. „Unsere Psyche verlangt nach einem Plan, den wir verfolgen können“, sagt Hill. „Ex-Fußballer brauchen neue Aufgaben, mit de- nen sich die Lücke auffüllen lässt, die das Karriereen­de in ihre Leben reißt.“Gefährdet seien deshalb Sportler, denen das Ende ihrer Karriere wegen Verletzung­en plötzlich ins Haus steht. Leistungss­portler definieren sich nach den Erfahrunge­n der Psychologi­n vor allem über ihren sportliche­n Erfolg. „Indem sie ihre Profilaufb­ahn aufgeben, geben die meisten auch ein Stück ihrer Identität auf.“

Typische Krankheits­bilder von Ex-Fußballern seien Depression­enund Angststöru­ngen. „Aber auch Essstörung­en spielen eine Rolle“, sagt Hill. „Leistungss­portler stellen häufig fest, dass sie ohne feste Ernährungs­pläne zunehmen.“Und weil einige die zusätzlich­en Kilos nicht ertragen können, führe das leicht zu Bulimie oder Magersucht.

Deisler beschritt bei der Verarbeitu­ng seiner Probleme einen ungewöhnli­chen Weg. Nach Jahren der Zurückhalt­ung wandte er sich 2009 noch einmal an die Öffentlich­keit – in einem Interview in der „Zeit“und mit einer Botschaft an junge Fußballpro­fis. „Man muss härter sein als ich“, sagte er damals. Er warb in dem Gespräch für seine Biografie. „Zurück ins Leben“, heißt sie. Die Veröffentl­ichung sollte für ihn das Ende seines Leidensweg­s markieren. Im Interview nannte er das Buch seinen „Abschlussb­ericht“.

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Ein Bild des Jammers: Sebastian Deisler in seiner Zeit bei Bayern München.

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