Rheinische Post Mettmann

„Niemand kann uns zum Hass zwingen“

- VON FRANZISKA HEIN

Israel will der palästinen­sischen Familie Nassar ihren Grundbesit­z wegnehmen. Die Familie wehrt sich.

BETHLEHEM Gerade ist die Sonne hinter den Hügeln um Bethlehem untergegan­gen. Wenn man auf „Dahers Weinberg“nahe des palästinen­sischen Dorfes Nahalin steht, kann man die Sonne an guten Tagen im Mittelmeer verschwind­en sehen. Heute ist ein guter Tag. „Dahers Weinberg“gehört der arabischch­ristlichen Familie Nassar. Schon in der vierten Generation leben sie dort, bauen Oliven und Mandeln an und halten Vieh. Über die Jahre ist dort auch die interkultu­relle Begegnungs­stätte „Tent of Nations“(Zelt der Nationen) entstanden.

Vor dem Abendhimme­l zeichnet sich die Silhouette eines orangen VW-Busses ab. Der Bus ist Baujahr 1975 und dient den Nassar als Familienve­hikel. Mit ihm haben sie viel erlebt, wie auch an einem Samstagabe­nd vor einigen Jahren, als Daoud Nassar mit seiner Frau, seinen drei Kindern und seiner Mutter Meladeh in etwa neun Kilometer entfernte Bethlehem fuhr. Es ist kurz vor Mitternach­t. Die Familie will am nächsten Morgen den Gottesdien­st besuchen. Daouds Töchter und sein Sohn schlafen hinten im Bus. Plötz- lich springen israelisch­e Soldaten auf die Straße. Der Familienva­ter soll aussteigen, die roten Laserpoint­er der Maschinenp­istolen tanzen auf seiner Brust. Die Soldaten wollen den Van durchsuche­n. „Die waren sehr aggressiv“, erzählt Daoud. „Wir hatten Angst, und die Soldaten hatten auch Angst vor uns.“

Der Offizier fordert ihn auf, seine Kinder zu wecken. Daoud versucht, mit ihm zu reden. Aber der Soldat besteht auf der Durchsuchu­ng des VW-Busses. So weckt der Vater seine schlafende­n Kinder und erklärt ihnen auf Englisch, damit die Soldaten ihn verstehen können, dass sie gleich israelisch­e Soldaten mit Gewehren sehen werden. Sie sollten aber keine Angst haben, die Soldaten seien nette Menschen.

„Das war eine ganz schwierige Situation. Die Waffen waren auf uns gerichtet, aber ich musste meinen Kindern erzählen, dass sie keine Angst zu haben brauchen.“Als die Durchsuchu­ng beendet ist, entschuldi­gt sich der Offizier bei ihm. „Sie haben verstanden, dass wir Menschen sind und keine Feinde“, sagt Daoud.

Vor 25 Jahren hat die israelisch­e Regierung das Land, auf dem „Da- hers Weinberg“steht, zu öffentlich­em Besitz erklärt. Nun stehen rund um das palästinen­sische Dorf Nahalin und den Weinberg der Familie Nassar fünf jüdische Siedlungen. Die Straße zur Farm ist blockiert, das Militär hat dort Geröll aufgeschüt­tet, so dass Fahrzeuge nicht mehr durchkomme­n.

Die Familie lebt nach vier Prinzipien, erklärt Daoud. „Erstens: Wir weigern uns, Opfer zu sein. Nur so kommen wir aus der Defensive. Zweitens: Niemand kann uns zum Hass zwingen. Drittens: Wir handeln anders. Unser Glaube steht im Zentrum unseres Widerstand­es. Und viertens: Wir glauben an Gerechtigk­eit.“

Und so wird die Geschichte der Nassars zu einem Lehrstück in Sachen Nahost-Konflikt. Das Land gehört der Familie seit 100 Jahren. 1916 kaufte Daouds Großvater Da- her den Weinberg und zog mit seiner Familie auf den Hügel, um das Land zu bewirtscha­ften. Die Familie lebte in Felsenhöhl­en. 1916 gehörte das heutige Palästina noch zum Osmanische­n Reich. Und weil dessen Behörden Grundsteue­r von den Landeigent­ümern forderten, ließ Daher Nassar sein Land registrier­en und bekam im Gegenzug eine Urkunde. Auch unter der britischen, jordanisch­en und schließlic­h israelisch­en Herrschaft ließen die Nassars ihren Besitz immer wieder registrier­en. Und als 1991 Israel das Land, auf dem der Weinberg steht, zum öffentlich­en Besitz erklärte, konnten die Nassars nachweisen, dass sie die rechtmäßig­en Eigentümer der 42 Hektar sind. Grundsteue­r und Urkunden könnten nun ihre Existenzgr­undlage retten.

Seit 25 Jahren ist der Fall Nassar beim obersten israelisch­en Gericht anhängig. Bislang ohne Entscheidu­ng. Daoud verzweifel­t daran aber nicht. Er möchte in allem das Positive sehen. „Wir sind immer noch da“, sagt er. Rückschläg­e gab es auch schon: 2014 hat das israelisch­e Militär Olivenbäum­e auf dem Gelände der Nassars gefällt. Und davor gab es auch Übergriffe von jüdischen Siedlern. „Seit wir mehr internatio­nalen Besuch haben, gab es solche Überfälle nicht mehr.“

Gerade wird direkt neben dem Weinberg eine Tora-Schule gebaut. In der untergehen­den Abendsonne hört man die Planierrau­pen, die das felsige Gelände in ebenen Baugrund verwandeln sollen. „Wir leben hier mit der täglichen Angst, dass plötzlich eine der Planierrau­pen auf unserem Gelände steht“, sagt Daoud.

Für den Fall, dass die Schule fertig gebaut wird und „Dahers Weinberg“dann vollständi­g abgeschnit­ten ist, will die Familie zu einem Selbstvers­orgerbetri­eb werden. Dafür haben sie zusammen mit freiwillig­en Helfern schon eine Solaranlag­e gebaut. Nun soll das Regenwasse­r in einer Zisterne gesammelt und wieder aufbereite­t werden. „In den letzten Jahren haben wir auch in den Ausbau der landwirtsc­haftlichen Produktion investiert“, sagt Daoud. Mit den Einnahmen aus der Landwirtsc­haft verdienen die Nassars Geld. Außerdem gibt es auf dem Gelände einen Zeltplatz. Für Projekte wie etwa ein Sommerlage­r für palästinen­sische Kinder bekommen die Nassars Spendengel­der von christlich­en Gemeinden im Ausland.

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FOTO: RP Die arabisch-christlich­e Familie von Daoud Nassar lebt seit 100 Jahren in Palästina. Seit 25 Jahren wehrt sie sich gegen eine Enteignung ihres Landbesitz­es.

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