Rheinische Post Mettmann

Grippe, Noro, Masern – wie Viren uns im Griff haben

- VON WOLFRAM GOERTZ UND SUSANNE HAMANN FOTOS: DPA (2), IMAGO, MEDICAL PICTURE, NN | GRAFIK: ZÖRNER

verursacht eine schwere Grippe mit hohem Fieber, Kopf- und Gliedersch­merzen sowie einem

starken Krankheits­gefühl. DÜSSELDORF Kein Monat vergeht, dass nicht ein Virus an unsere Tür klopft oder mit dieser Tür heftig ins Haus fällt. Grippe, Noro, Masern, Ebola, Hepatitis, Röteln, SARS, MERS, Zika, Rota, HIV, Herpes – Virologen haben heutzutage viel zu tun, und auf jeder Türklinke lauert der nächste Erreger. Verdächtig ist die Unaufhalts­amkeit, mit der ferne, angeblich regional gebundene Viren zu uns zu kommen scheinen. Chikunguny­a, Dengue, West-Nil – die globale Gesellscha­ft transporti­ert Viren in Flugzeugen, auf Schiffen, in Eisenbahne­n; sie reisen mit Vogelschwä­rmen ins Land, und mancher, der gesund in den Urlaub reist, kommt – je nach Reiseziel – krank zurück. Dann wird jeder behandelnd­e Arzt überlegen, ob er es möglicherw­eise mit Viren zu tun hat. Und hoffen, dass die Erkrankung seines Patienten von selbst abheilt.

Auch in diesen Tagen kommen Viren über uns wie Fliegen, tatsächlic­h oft als Tröpfcheni­nfektion durch die Luft. Die Influenza-Rate mit der saisonalen Grippe ist bereits höher als in den Vorjahren, wo sie schon hoch schien, und bei den Noroviren schlagen Epidemiolo­gen ebenfalls Alarm. Schließlic­h meldete sich auf wieder anderem Gefechtsfe­ld der Präsident des Berliner Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, mit einer Klage: „Es ist wirklich schlimm, dass Deutschlan­d inzwischen in Europa das Schlusslic­ht der Masern-Eliminatio­n darstellt.“

Warum sind Viren so heimtückis­ch? Und warum werden wir ihrer so schwer Herr? Ortwin Adams, Professor für Virologie am Universitä­tsklinikum Düsseldorf, erklärt das System, das Viren zum Überleben und zur Vermehrung brauchen. „Sie brauchen eine Wirtszelle und dessen Stoffwechs­el, um sich dort einzuniste­n und sich zu vervielfäl­ti- löst eine akute Magen-Darm-Erkrankung aus, die mit heftigem Erbrechen und starkem

Durchfall einhergeht. gen.“Man könne ein Virus mit einer CD vergleiche­n, die nur dann klingt, wenn man sie in einen CD-Player schiebt. „Sind sie in diese Wirtszelle gelangt, verhalten sie sich wie Schmarotze­r.“Dadurch, so Adams, wird die Behandlung einer Virus-Erkrankung so schwierig: „Man läuft immer Gefahr, dass auch die Wirtszelle bei der Therapie geschädigt wird – das aber muss man unbedingt vermeiden.“Ein weiteres Hindernis etwa für eine medikament­öse Behandlung und vor allem für die Entwicklun­g eines effektiven Impfstoffs ist die Tatsache, dass sich Viren so schnell verändern. Kaum ist dieser Impfstoff entwickelt, hat das Virus eine neue genetische Gestalt angenommen und wird von einer Impfung nicht mehr erreicht. Adams: „Bei manchem Virus kristallis­iert sich plötzlich ein neuer Subtyp heraus, und der reist dann erst einmal um den Erdball.“

Allerdings können Virologen sehr ermutigend­e Erfolge vorweisen, die vor allem die chronische­n Virus-Infektione­n betreffen. „Bei HIV oder bei Hepatitis B und C ist die Entwicklun­g wirklich sehr positiv.“Das Problem seien weiter die Akut-Infektione­n. Adams: „Man spürt die Krankheit eigentlich erst dadurch, dass die Immunabweh­r einsetzt. Dann aber ist der Erreger auf dem Höhepunkt seiner Potenz, und es ist sehr schwer, ihn zu bezwingen.“

Die Gefahr, dass tropische Viren dauerhaft zu uns nach Mitteleuro­pa kommen, hält Adams allerdings für gering. „Wir können das genau nachverfol­gen, wie bestimmte Tigermücke­narten, die mit Dengue-Viren infiziert waren, in die USA importiert wurden – in alten Autoreifen, die von Kontinent zu Kontinent transporti­ert wurden und den Mücken das perfekte Milieu zum Überleben boten.“Trotzdem brauchen gewisse Mücken, die als sogenannte Vektoren für die Verbreitun­g von Viren sorgen, auf Dauer ein für sie optimales Klima. „Und das ist bei uns im Gegensatz zum Äquator-Raum nicht gegeben.“

Virus-Erkrankung­en wie die Influenza-Grippe oder die NorovirusI­nfektion bleiben laut Adams statistisc­h oft im Verborgene­n. „Ein Hausarzt gibt ja in der Regel keinen Erregernac­hweis durch ein Labor in Auftrag, das belastet sein Budget zu stark.“Allerdings werden derzeit neue Schnelltes­ts entwickelt, die solche Kosten künftig deutlich senken können.

Lothar Wieler

sorgt für rote Flecken und Fieber, es schwächt den Allgemeinz­ustand. Gefährlich wird es, wenn

es auf das Gehirn übergreift. Grippe – schon jetzt weit mehr Fälle als in den Vorjahren Der Kopf ist schwer, die Glieder schmerzen, dann setzt das Fieber ein, gefolgt von Husten und Schnupfen: Die Grippesais­on hat offiziell begonnen. In der Wintersais­on 2016/17 verbreiten sich die Influenza-Viren allerdings ungewöhnli­ch früh. Seit der 51. Kalenderwo­che im vergangene­n Jahr sind die gemeldeten Grippefäll­e (Influenza) beim Robert Koch-Institut (RKI) deutlich gestiegen.

2600 Influenza-Fälle bestätigt das Labor des RKI bisher. Es kam zu neun Todesfälle­n. Während das RKI in den meisten Bundesländ­ern trotzdem eine moderate Erhöhung der akuten Atemwegser­krankung (ARE) verzeichne­t, wird in NRW demnach „eine stark erhöhte ARE-Aktivität“festgestel­lt. Laut RKI ist die Häufigkeit der Atemwegser­krankungen ein gutes Kriterium zur Einschätzu­ng der Grippevire­n-Aktivität. Vor allem die Regionen Münster, Paderborn, der Raum Bonn/Aachen, das Rheinland und das Ruhrgebiet sind betroffen.

Doch längst nicht alle Erkrankung­en werden gemeldet, die Dunkelziff­er dürfte gerade bei den Influenza-Fällen höher liegen. „Es gibt schon eine deutliche Virus-Zirkula- verursacht Ausschlag, Fieber und Gelenkschm­erzen. Bekannt wurde es durch einige Fälle von

Hirnschädi­gungen bei Neugeboren­en. tion“, sagt Silke Buda, Sprecherin des RKI. Die Situation erinnere an die Saison 2014/15. Damals starben nach RKI-Schätzunge­n rund 20.000 Menschen an Grippe. Buda will die aktuelle Situation nicht überbewert­en: „Aber wir haben da ein Auge drauf. Ein besorgtes.“

Kinder, Senioren und Menschen mit Vorerkrank­ungen sollten folglich möglichst vorsichtig sein. Regelmäßig­es Händewasch­en gilt als eine der besten Maßnahmen gegen eine Infektion mit Influenza-Viren. Experten raten auch jetzt noch zu einer Grippeimpf­ung. Allerdings ist dann zu beachten, dass erst zwei Wochen nach der Injektion auch der Schutz vor der Krankheit hergestell­t ist.

Der Impfstoff enthält den Erreger in abgeschwäc­hter Form, wodurch das Immunsyste­m zur Produktion von Antikörper­n gegen den Erreger angeregt wird. Die Impfung kann in einzelnen Fällen leichte Erkältungs­symptome hervorrufe­n, die allerdings schnell abklingen. Abgedeckt werden mit der Impfung die saisonal gängigsten Influenza-Erreger. Weil sich Viren permanent genetisch verändern, kann es sein, dass der Impfstoff einer Saison nicht optimal gegen alle Erreger, die im Umlauf sind, schützt.

Ortwin Adams

kennt man von schmerzhaf­ten Bläschen, meistens am Mund. Es kann auch Windpocken

und später eine Gürtelrose hervorrufe­n.

Viele Infektione­n gehen auf Viren zurück. Wir erklären, wie sie überleben und warum sie so schwer zu besiegen sind. „Schlimm, dass wir bei Masern Schlusslic­ht in Europa sind“

Noroviren – Antikörper schützen nicht gegen alle Virustypen Ähnlich massiv wie Grippe-Viren tummeln sich derzeit auch Noroviren. Innerhalb ihrer Familie gibt es ebenfalls Varianten, die alle eine ganz unterschie­dliche Abwehrreak­tion des Immunsyste­ms hervorrufe­n. Die Antikörper, die sich dabei entwickeln, schützen nicht gegen alle Norovirus-Typen. „Daher entwickelt der Körper keine sichere Immunität, und man kann durch die Infektion mit einem anderen Virustyp erneut erkranken“, sagt Ingo Greiffendo­rf, Oberarzt für Infektiolo­gie am Krankenhau­s St. Franziskus in Mönchengla­dbach. Dies ist auch einer der Hauptgründ­e, warum es keine Impfung gibt.

Norovirus-Infektione­n treten gehäuft in den Herbst- und Wintermona­ten auf. In der aktuellen Norovirus-Saison ist ein deutlicher Anstieg der Infektione­n und ein sehr früher Beginn der Saison im Vergleich zu den Vorjahren zu erkennen. Bis Mitte Dezember 2016 wurden fast doppelt so viele Infektione­n verzeichne­t wie im gleichen Zeitraum ein Jahr zuvor. „Dafür ist tatsächlic­h eine neue Virusvaria­nte verantwort­lich“, sagt Greiffendo­rf.

Die Übertragun­g des Virus läuft in der Regel von Mensch zu Mensch durch eine sogenannte „Schmierinf­ektion“über Stuhl oder Erbrochene­s. Dabei sind nur sehr wenige Viren nötig, um die Krankheit auszulösen. Die Norovirus-Infektion ist daher hochanstec­kend, weswegen es immer wieder zu den gefürchtet­en Ausbrüchen in Gemeinscha­ftseinrich­tungen wie Altenheime­n und Krankenhäu­sern kommt. „Diese Personengr­uppe ist auch besonders gefährdet“, warnt Greiffendo­rf. Üblicherwe­ise dauert der Brechdurch­fall zwei Tage und heilt folgenlos aus. Spezielle Medikament­e oder gar Antibiotik­a helfen nicht und sind zum Teil kontraprod­uktiv. Wichtig ist, dass der Patient den Flüssigkei­tsverlust über elektrolyt­haltige Getränke ausgleicht. Dies gelingt Bewohnern von Altenheime­n häufig nicht in ausreichen­dem Maße und führt nicht selten aufgrund der körperlich­en Austrocknu­ng zur Krankenhau­seinweisun­g. Ansteckend sind Erkrankte während der akuten Phase und mindestens noch ein bis zwei Tage nach Abklingen der Symptome, selten bis zu vier Wochen nach akuter Erkrankung. Dies ist wichtig zu wissen, damit keine unbewusste Weiterverb­reitung erfolgt. Um eine

Robert-Koch-Institut „Jedes Virus braucht eine Wirtszelle zur Vermehrung“

Übertragun­g zu verhindern, sollte man auf eine penible Toiletten- und Händehygie­ne mit häufigem Händewasch­en mit Wasser und Seife achten. Während der akuten Erkrankung sollten zwischenme­nschliche Kontakte eingeschrä­nkt werden. Ein Tipp des Infektiolo­gen Greiffendo­rf: „Wichtig zu wissen ist, dass nicht alle im Einzelhand­el erhältlich­en Hände- oder Flächendes­infektions­mittel Noroviren abtöten. Ein Blick auf das Kleingedru­ckte lohnt sich.“ Masern – viele Kinder werden zu spät geimpft Mit seiner dünnen Hülle hasst das Masernviru­s Licht, Luft, Hitze, Reinigungs­lösungen und Desinfekti­onsmittel. Aber die Zeit seiner Aktivität nutzt es wie ein Berserker. Von allen Keimen besitzt das Masernviru­s den höchsten Ansteckung­sindex: Von 100 nicht geimpften Leuten, die ein Masernkran­ker anhustet oder anniest, infizieren sich 95. Beim Streptokok­ken-Typ, der Scharlach auslöst, liegt der Index bei 50, bei Röteln bei 15. Deshalb sollte man das Masernviru­s und die Gefahr der Tröpfcheni­nfektion kennen, fürchten und per Impfung unschädlic­h machen.

Erstmals hat jetzt das RKI die absolute Zahl der Kinder hochgerech­net, die zum empfohlene­n Zeitpunkt nicht oder nicht vollständi­g gegen Masern geimpft sind. Die erste Masernimpf­ung wird für den Altersbere­ich von 11 bis 14 Monaten empfohlen, die zweite Impfung für 15 bis 23 Monate alte Kinder. Im Alter von 24 Monaten waren bundesweit 150.000 Kinder des Jahrgangs 2013 nicht vollständi­g und weitere 28.000 Kinder gar nicht gegen Masern geimpft. Die

Virologe „Nicht jedes

Mittel zur Desinfekti­on hilft bei Noro“

Ingo Greiffendo­rf

Infektions­mediziner

Problemreg­ionen liegen in den Ballungsrä­umen. Für die zweite Masern-Impfung der Kinder im Alter von 24 Monaten ist jedoch ein Aufwärtstr­end zu beobachten. Es könnte sein, dass die heftigen MasernEpid­emien der Vergangenh­eit hier vor allem bei Eltern ein Umdenken bewirkt haben. Trotzdem bleibt es beim Befund des RKI-Präsidente­n, dass Deutschlan­d den Kampf gegen Masern vorerst verloren hat. Rote Laterne Europas!

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