Rheinische Post Mettmann

„Mein Schicksal wird abgearbeit­et“

- VON SABINE MAGUIRE

Die Mettmanner­in Nicole Meyer (50) leidet an Amyotrophe­r Lateralskl­erose (ALS). Seit einem Jahr kämpft sie darum, dass ihr eine Hilfe zur Pflege bewilligt wird.

METTMANN Es gibt Menschen, die an einem solchen Schicksal seelisch zerbrechen. Nicole Meyer hingegen gehört zu den ALS-Patienten, die versuchen, ihr Leben dennoch möglichst eigenständ­ig weiterzule­ben. Seit vier Jahren leidet die 50jährige an der unheilbare­n Krankheit des motorische­n Nervensyst­ems, bislang war sie immer tapfer. Die drei mittlerwei­le erwachsene­n Kinder sollen möglichst wenig vom Leid der Mutter mitbekomme­n, obwohl das im Grunde gar nicht geht.

Der Lebensgefä­hrte, mit dem sie nicht zusammenwo­hnt, soll nicht zum Pfleger werden. Nun aber ist etwas passiert, das die Mettmanner­in schier verzweifel­n lässt. „Statt mir eine Pflegehilf­e zu bewilligen, soll ich nun Windeln tragen, obwohl ich nicht inkontinen­t bin“, zitiert Nicole Meyer unter Tränen aus einem Schreiben der zuständige­n Kreisbehör­de. Im Klartext heißt das aus ihrer Sicht: „Der Pflegedien­st soll mich mit Essen und Windeln versorgt auf die Couch setzen, wo ich dann warten muss, bis irgendwann nach Stunden wieder jemand kommt, der sich um mich kümmert“.

Worte, die kaum auszuhalte­n sind für jemanden, für den auch inmitten einer schweren Krankheit das Leben in Würde und größtmögli­cher Selbstbest­immung weitergehe­n soll. Man ist sofort mittendrin in einem unerträgli­chen Wust an Bürokratie und Paragraphe­n, inmitten derer ein Krankheits­schicksal quasi abgearbeit­et wird. Derweilen verrinnt für die Betroffene­n kostbare Lebenszeit. Und Nicole Meyer, die ihr Schicksal jahrelang tapfer bewältigt hat, erträgt nun die Kälte eines Systems nicht mehr, in dem Patientena­kten mit der Maßgabe, nur das finanziell Notwendigs­te zu tun, abgearbeit­et werden. Seit mehr als einem Jahr kämpft sie nun schon darum, dass ihr eine Freizeitbe­gleitung und die Hilfe zu Pflege bewilligt werden. Nun soll wenigstens zweimal die Woche jemand kommen, um sie in der Freizeit zu unterstütz­en. Darüber freut sich die Mettmanner­in – obwohl sie sich dennoch fragt, warum eine Behörde ein Jahr braucht, um einen solchen Antrag zu bewilligen. Wer ALS und den üblichen Krankheits­verlauf kennt, der weiß: Die meisten Patienten denken nicht in Jahren, sondern in Monaten.

Und trotz der durch den Kreis mittlerwei­le bewilligte­n Freizeitbe­gleitung sitzt Nicole Meyer den Großteil der Zeit immer noch allein zuhause. Seit Jahren ist sie auf den Rollstuhl angewiesen, ihre Arme kann sie nur noch eingeschrä­nkt bewegen und immer häufiger braucht sie eine Sauerstoff­maske zur Atemunters­tützung. Mit der Wegweisung, doch zukünftig Windeln zu tragen, will sie sich hingegen nicht abfinden – zumal ihr ein persönlich­es Budget zur Bewältigun­g ihrer krankheits­bedingten Lebensumst­ände vom Gesetz her zusteht. Das Problem ist nur: Für jede Leistung ist ein anderer Träger zuständig, alles muss beantragt werden

Nicole Meyer und die Mühlen der Bürokratie mahlen zu langsam für Menschen, die diese Zeit einfach nicht haben.

Fachkundig­e Hilfe bekommt Nicole Meyer übrigens vom Leverkusen­er Pflegedien­st SeBeKo, der die Mettmanner­in bei der Beantragun­g von Leistungen unterstütz­t. Auch bei der Begutachtu­ng durch die Amtsärztin war Geschäftsf­ührer Tobias Gumbrich dabei: „Es war alles sehr unpersönli­ch. Man sollte nicht einfach eine Schublade aufmachen und die Akte reinlegen“, kritisiert er die Abläufe. Man müsse wirklich Angst haben, in einem solchen System krank zu werden, sagt er auch. Nicole Meyer selbst glaubt, die Amtsärztin habe damals vor allem nach Dingen gesucht, die gegen eine Bewilligun­g von Leistungen sprechen würden.

Die Erfahrung, für eine Simulantin gehalten zu werden, kennt sie schon aus der Anfangszei­t ihrer Krankheit. Von einem Arzt war sie verabschie­det worden mir dem Hinweis, sie solle sich einen Psychiater suchen, um ihre Lähmungser­scheinunge­n behandeln zu lassen. Die Diagnose hatte sie vor Jahren per Post zugeschick­t bekommen. „Ich habe dann erstmal gegoogelt und monatelang niemandem etwas gesagt, weil ich das einfach nicht ausspreche­n konnte“, erinnert sie sich.

Nachdem unsere Redaktion auf den Fall aufmerksam wurde und beim zuständige­n Amt für Behinderun­gen nachgefrag­t hat, scheint nun Bewegung in die Sache zu kommen. „Wir werden uns in der dieser Woche nochmals mit Frau Meyer zusammense­tzen, um nach einer Lösung zu suchen“, kündigt Amtsleiter Thomas Schäfer an.

„Statt mir eine Pflegehilf­e zu bewilligen, soll ich nun Windeln tragen“

Patientin

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