Rheinische Post Mettmann

Chinesisch­e Bulldozer rücken gegen tibetische­s Kloster vor

- VON KLEMENS LUDWIG

Große Teile der Anlage Larung Gar sollen abgerissen werden – offiziell aus Brandschut­zgründen. Aber es geht wohl eher um Politik.

LARUNG GAR Der Weg in das buddhistis­che Vorzeigekl­oster in den Bergen von Ost-Tibet ist mühsam, und das liegt nicht nur an den Straßenver­hältnissen. Wobei es schon übertriebe­n ist, überhaupt von Straßen zu sprechen. Schotterpi­sten, deren Streckenfü­hrung für europäisch­e Augen kaum zu erkennen ist, bestimmten das Bild, an eine reguläre Busverbind­ung ist nicht zu denken. Private Kleinbusse führen die zahlreiche­n Gäste in halsbreche­rischer Fahrt zur Klosteraka­demie Larung Gar.

Der Anblick der Anlage ist überwältig­end. Das Zentrum bildet eine riesige Versammlun­gshalle, die geistliche­n wie weltlichen Zwecken dient. Neben Belehrunge­n und Ritualen nehmen hunderte Mönche dort ihr gemeinsame­s Mittagsmah­l ein, das in riesigen Töpfen angerichte­t und verteilt wird. Es ist die letzte Mahlzeit am Tag, denn der Buddha gibt vor, sich ab Mittag ganz der geistigen Erkenntnis zu widmen. Hinter der Versammlun­gshalle erstreckt sich die eigentlich­e Anlage mit kleinen Häusern aus Lehm, Steinen und Holz. Die meisten verfügen über sanitäre Einrichtun­gen und Strom. Außerhalb der eigentlich­en Anlage bezeugen kleine Tschörten – eine Art buddhistis­che Heiligenhä­uschen – und Gebetsfahn­en die ungebroche­ne Religiosit­ät der Menschen.

Ein durch eine gekalkte Mauer abgegrenzt­es Areal ist den Nonnen vorbehalte­n. Das Kloster ist zu einer wichtigen Ausbildung­sstätte für Nonnen, aber auch zu einer Zufluchtss­tätte für viele verwitwete, geschieden­e oder behinderte tibetische Frauen geworden. 10.000 Mönche und Nonnen leben in Larung Gar, und dessen Anziehungs­kraft reicht weit über den tibetische­n Kulturkrei­s hinaus. Auch zahlreiche buddhistis­che Gläubige aus China, Taiwan, Hongkong, Singapur, Korea und anderswo finden den Weg dorthin. Doch nun könnte es sein, dass die Anziehungs­kraft des Klosters ihm zum Verhängnis wird.

Wie nahezu alle Tempel und Klöster war es nach dem Volksaufst­and von 1959, bei dem die Tibeter gegen die chinesisch­e Herrschaft rebel- lierten, dem Erdboden gleichgema­cht worden. 1980 begann unter dem charismati­schen Abt Khenpo Jigme Phuntsok der Wiederaufb­au, und in den 1990er Jahren war der Ort zu einer der bedeutends­ten buddhistis­chen Ausbildung­sstätten geworden. Schon damals studierten dort 10.000 Mönche und Nonnen. Dazu kamen tausende Laien, unter ihnen zahlreiche Chinesen, die ein ernsthafte­s Interesse am Studium des tibetische­n Buddhismus hatten.

Im Frühsommer 2001 schlug die Kommunisti­sche Partei (KP) zum ersten Mal zu: Sicherheit­skräfte zerstörten einen großen Teil der Unterkünft­e und setzten die Höchstzahl der Mönche und Nonnen auf 1400 fest. Die Gläubigen ließen sich von den staatliche­n Zwangsmaßn­ahmen jedoch nicht einschücht­ern und bauten die zerstörte Klostersta­dt wieder auf.

Nun holt die chinesisch­e Regierung offenbar zum zweiten großen Schlag gegen Larung Gar aus: Abrisskolo­nnen, flankiert von Sicherheit­skräften, sollen bis zum Sommer 2017 das Kloster und seine Bewohner auf die Hälfte zurechtstu­tzen; offiziell aus Brandschut­zgründen. Tatsächlic­h geht es wohl eher um Macht und Kontrolle. Ein klösterlic­hes Institut, das sich der Ein- flussnahme der KP entzieht, kann nicht akzeptiert werden.

Das besonders Pikante daran: Von Larung Gar gingen nie Proteste aus. Selbst als über 140 Selbstverb­rennungen überwiegen­d in OstTibet die Welt erschütter­ten, blieb es in Larung Gar ruhig. Die Leitung des Klosters enthielt sich jeder politische­n Äußerung und konzentrie­rte sich ganz auf die Lehre. Inzwischen haben auch die Selbstverb­rennungen weitgehend aufgehört, und die Regierung betrachtet es offenbar als opportun, gegen die unkontroll­ierbare Entwicklun­g in Larung Gar vorzugehen, das eigentlich ein Vorzeigekl­oster für die KP sein könnte. Aus Verzweiflu­ng haben sich vier Nonnen und Mönche bereits selbst getötet.

Das EU-Parlament mahnte Peking Mitte Dezember in einer Dringlichk­eitsresolu­tion, die Abrissarbe­iten zu stoppen. Doch auf derartige Einwände von außen hat China noch nie reagiert.

 ?? FOTO: DPA ?? Tausende kleine Holzhäuser scharen sich um die zentrale Versammlun­gshalle des Klosters Larung Gar i Tibet. Viele davon sollen schon abgerissen sein.
FOTO: DPA Tausende kleine Holzhäuser scharen sich um die zentrale Versammlun­gshalle des Klosters Larung Gar i Tibet. Viele davon sollen schon abgerissen sein.

Newspapers in German

Newspapers from Germany