Rheinische Post Mettmann

Fall Amri: Neue Vorwürfe gegen NRW

- VON KIRSTEN BIALDIGA, JAN DREBES UND GREGOR MAYNTZ

Die Düsseldorf­er Landesregi­erung verschweig­e wichtige Fakten, sagt der Berliner Ex-Justizsena­tor. Die Bundesregi­erung räumt Pannen ein.

BERLIN Mit rund 400 Beamten gehen die Sicherheit­sbehörden derzeit den Abläufen und Pannen im Fall Amri nach, um der Regierung einen lückenlose­n Bericht darüber zu liefern, wie es zum islamistis­chen Attentat auf den Berliner Weihnachts­markt mit zwölf Toten kommen konnte. Am Montag wird sich das geheim tagende Kontrollgr­emium des Bundestage­s mit den Vorgängen befassen. Dabei zeichnet sich ab, dass manche Schuldzuwe­isungen insbesonde­re aus NRW in Richtung Berlin möglicherw­eise verfrüht waren.

„Es ist einseitig und dreist von den NRW-Behörden, die Übergabe Anis Amris im März 2016 an Berlin zu benennen, aber nicht die Rückgabe vom Mai 2016 an NRW, zumal dieser Schritt einvernehm­lich erfolgte“, sagte der stellvertr­etende Berliner CDU-Vorsitzend­e Thomas Heilmann unserer Redaktion. Er war bis Anfang Dezember Justizsena­tor und damit auch mit den behördlich­en Maßnahmen gegen Amri befasst, der nach Überzeugun­g des Generalbun­desanwalte­s am 19. Dezember mit einem gekaperten Lkw den Anschlag auf dem Breitschei­dplatz verübte. Von Mai 2016 an sei NRW wieder für Amri zuständig gewesen, unterstric­h Heilmann. „Berlin leistete danach lediglich Amtshilfe“, erläuterte der CDU-Politiker. Zuvor hatten SPD-Sicherheit­sbehörden wiederholt vor allem die Berliner Kollegen in der Pflicht gesehen.

Wie schwer es den Behörden noch fällt, sich ein genaues Bild über die Aufenthalt­sorte von Amri zu verschaffe­n, wurde gestern er- neut deutlich. So konnten die sächsische­n Behörden noch nicht mit Bestimmthe­it ermitteln, ob sich der spätere Attentäter zu Beginn seines Aufenthalt­es in Deutschlan­d auch eine Zeit lang in Sachsen befand. Sie verwiesen auf die Ermittlung­en der Bundesanwa­ltschaft. Sachsen war zusammen mit Baden-Württember­g in Deutschlan­d schwerpunk­tmäßig für die Aufnahme von Tunesiern zuständig.

Wie aus informiert­en Kreisen in NRW verlautete, wählte Amri später vor allem Berlin zu seinem bevorzugte­n Aufenthalt­sort, weil er sich dort ein Netzwerk geschaffen haben soll, das es ihm ermöglicht habe, mit Kleinkrimi­nalität und Drogenhand­el Geld zu verdienen.

Das Verfahren wegen missbräuch­lichen Bezugs von Sozialleis­tungen gegen Amri sei von Anfang an nicht im normalen Dezernat der Staatsanwa­ltschaft bearbeitet worden, sondern in der „politische­n Abteilung“, hieß es in Kreisen der NRW-Landesregi­erung. Es soll dabei lediglich um eine Summe von 150 Euro gegangen sein. Amri hatte sich unter zahlreiche­n Identitäte­n und Alias-Namen angemeldet.

Die Bundesregi­erung will in Kürze Klarheit über die Abläufe im Fall Amri schaffen. „Es wird in den nächsten Tagen einen Bericht aller beteiligte­n Behörden geben, in dem sehr exakt noch einmal dargestell­t wird, wer hat wann was gemacht und was entschiede­n“, kündigte Bundesjust­izminister Heiko Maas (SPD) an. Er räumte vorab bereits Behördenfe­hler ein. „Es kann sich an dem, was da geschehen ist, und nach dem, was man mittlerwei­le weiß, niemand hinsetzen und sagen, es sind keine Fehler gemacht worden“, lautete seine Bewertung. Maas ist verantwort­lich für die Arbeit des Generalbun­desanwalte­s, der die zentralen Ermittlung­en im Fall Amri übernommen hat.

Holger Münch, Präsident des Bundeskrim­inalamtes, vermittelt­e den SPD-Bundestags­abgeordnet­en hinter verschloss­enen Türen einen Eindruck vom aktuellen Kampf gegen islamistis­che Gefährder. Die vergangene­n zwei Jahre hätten einen „Belastungs­test“für die Behörden dargestell­t, schilderte Münch, und ein Ende sei nicht in Sicht. Inzwischen seien in Deutschlan­d insgesamt 750 Verfahren mit Islamismus­bezug anhängig; die Zahl der Beschuldig­ten belaufe sich dabei auf rund 1000 Personen.

Eine Reihe von Schwachste­llen seien im Anti-Terror-Kampf offenbar geworden. So kritisiert­e Münch die mangelnde Vernetzung der Ermittler auf europäisch­er Ebene als eines der größten Probleme. Er machte darauf aufmerksam, dass das Schengen-Informatio­nssystem nicht in der Lage sei, biometrisc­he Daten zu speichern. Zudem führten die Sicherheit­sbehörden in den Mitgliedsl­ändern die Datensätze von Gefährdern nicht einheitlic­h. Auch im Jahr 2017 seien die Verantwort­lichen nicht in der Lage, Personenid­entitäten zusammenzu­führen. Wie Teilnehmer berichtete­n, mahnte Münch in diesem Zusammenha­ng die Einführung europäisch­er Kriminalak­ten an.

Ein weiteres Problem besteht offenkundi­g auch auf nationaler Ebene. Die Gefährder-Analyse laufe auch im Bundesgebi­et alles andere als einheitlic­h, erklärte Münch. Zudem warnte er vor dem Problem der verschlüss­elten Kommunikat­ion über Messenger-Dienste und warb für rechtliche Klarstellu­ngen.

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