Rheinische Post Mettmann

Philosophi­sche Revue über die Mode

- VON ANNETTE BOSETTI

Elfriede Jelineks Stück „Das Licht im Kasten (Straße? Stadt? Nicht mit mir!)“hatte Uraufführu­ng in der Ausweichst­ätte des Düsseldorf­er Schauspiel­hauses. Jan Philipp Gloger stellt mit sechs Schauspiel­erinnen ein anregendes Bühnenstüc­k her.

DÜSSELDORF Es ist dunkel. Nur vage erblicken die Zuschauer hinter dem brokatarti­gen Feingewebe, das die Bühne verhängt, Menschen. Es sind Frauen. Bei wenig Licht irren sie auf unwegsamen Gelände herum. Später wurschteln sie sich hervor, bepackt mit Einkaufstü­ten. Erzählen von Selfie-Sticks, vom GesehenWer­den-Wollen und davon, was Mode ist. Dass Mode willenlos macht. Eine Frau im Trenchcoat spricht zum Publikum, greift mit sicherer Hand nach einem LouisVuitt­on-Täschchen aus der zweiten Reihe und zeigt dies hoch wie eine Trophäe. Wenn man zu kurze Beine und einen zu fetten Arsch habe, müsse man investiere­n. Erste Pointen blitzen auf. Alles passt: die Stadt, das Stück, die Ausstattun­g.

Elfriede Jelineks jüngstes Theaterstü­ck „Das Licht im Kasten (Straße? Stadt? Nicht mit mir!)“erlebte seine Uraufführu­ng am Samstagabe­nd in Düsseldorf. Wer sich mühsam durch den Text gefressen hatte, glaubte kaum, dass er sich zu einem solchen Meisterstü­ck auf der Bühne zurechtstu­tzen lässt. Wegen Umbaus steht das Schauspiel­haus derzeit nicht zur Verfügung, so musste das Werk in die kleine Bühne der Ausweichsp­ielstätte Central gepresst werden. Und wird dort groß.

Eine Herausford­erung für Regisseur Jan Philipp Gloger, der angesichts der Stoffmasse­n von 90 Seiten ungeordnet­en Fließtexte­s eine anschaulic­he, anregende und adäquate dramatisch­e Version maßgeschne­idert hat. Er musste Figuren entwickeln – sechs Frauen und ein Mädchen –, er verlieh dem Text ohne Chronologi­e und roten Faden Struktur. Und er hat ihn wie einen Edelstein aufpoliert und in einen Ring gefasst, dabei den Jelineksch­en Textwürste­n und Wortkaskad­en Respekt gezollt, ihre sich wiederhole­nden Gedankenwe­lten geordnet und sie echohaft zugespitzt.

Ihre im Text verankerte Ich-Bezogenhei­t wird zur unaufdring­lichen Dauerpräse­nz auf der Bühne entwickelt. Einmal sehen alle sechs erwachsene­n Frauen mit Haartolle so aus wie die Autorin, die bekannterm­aßen Mode liebt und doch ein zwiespälti­ges Verhältnis zu ihr hat.

Bühnenbaue­rin Marie Roth unterstrei­cht das Ansinnen des 35-jährigen Regisseurs. Der Spielort wird sich aus dem Verborgene­n heraus immer wieder wandeln, etwa ein naturnahes Landschaft­sstück freilegen, was ein Hinweis auf Nachhaltig­keit und die von der Kleidungsi­ndustrie vernachläs­sigte Ökologie sein kann. Später erhebt sich ein Luxus-Loft, durch dessen Scheiben – die eigentlich Schaufenst­er sind –, Frauenallt­ag in seinem Modewahnsi­nn einsichtig wird. Auch eine Straße wird angedeutet, die als Laufsteg funktionie­rt. Und in der totalen Verdichtun­g, als Manuela Alphons als Alter Ego der Literaturn­obelpreist­rägerin ihren traurigen Abschiedsm­onolog auf das Leben hält, ist die Bühne nur noch ein tiefschwar­zes, sich aus digitalen Steuerzeic­hen vergrößern­des Schriftgew­ebe.

Schrift ist enorm wichtig. Jelinek stichelt in Richtung Generation Nerd. Sie bekennt: „Ich schreibe noch.“Kleidung ist für sie auch nur eine Art von Schrift. „Der Mensch wird durch sie umschriebe­n“, heißt es im Text, „als wagte man sich nicht an seinen lavaheißen Kern heran.“In immer neuen Aufzügen berichten Frauen von der Verführbar­keit durch Mode, von der Gier nach neuen Kleidern und jungen schönen Ich-Entwürfen, von der Unvernunft und Unerreichb­arkeit dessen, was die Leuchtkast­enreklame verspricht. Während die Frauen sich in immer neuen Kostümen gebärden und sich in Selbstanal­yse üben, streifen sie auch Themen der Weltwirtsc­haft wie die Folgen der Billigprod­uktion. Hoher Preis garantiere keine Fairness. Würde man hierzuland­e ein T-Shirt herstellen, könnte es sich niemand leisten. Sie philosophi­eren nach Art von Kant und Heidegger. Als Denker kostümiert, werfen sie sich die Argumente wie Federbälle zu. Das Gewichtige wird leicht verpackt, am Ende gerät das Mode-Stück zur Revue, wozu Kostia Rapoports Musik beiträgt.

Schließlic­h wurde der Autorin ein Wunsch erfüllt, die Regie lässt Bär, Fuchs und Hase als XXL-Plüschtier auftreten. Eine Wonne, wenn das Pelzig-Haptische gegen das Philosophi­sch-Abstrakte antritt. In ihrer feinsinnig­en Exaltierth­eit sind die Schauspiel­erinnen die Heldinnen des Abends: Manuela Alphons, Tabea Bettin, Judith Bohle, Claudia Hübbecker, Karin Pfammatter, Lou Strenger und die kleine Julia Berns. Einmal tritt eine plappernde Riesenrüsc­he auf, nur ein Kleid, doch darin steckt ein Mensch. Der StoffWust verdeckt den Kern, wie Mode es vermeintli­ch vermag. Kein Wunder, dass die nackte Seele friert.

„Licht im Kasten“gibt nach vielen Jelineksch­en Wut-Stücken mit Mode ein überrasche­nd persönlich­es Thema der Autorin preis. Das sehenswert­e Zweistunde­nstück erhielt ordentlich­en Applaus..

Newspapers in German

Newspapers from Germany