In der Tonhalle hat Joshua Bell alles im Griff
Es bleibt zu hoffen, dass sich in der ausverkauften Tonhalle unter den begeisterten Zuhörern kein Betriebsrationalisierer befand. Der wäre nämlich nicht nur – wie alle anderen auch – von der Qualität begeistert gewesen, sondern auch über ein nicht zu unterschätzendes Einsparpotenzial: Joshua Bell, ein renommierter und begnadeter Geiger, übernahm neben seiner solistischen Aufgabe die Leitung der ebenfalls renommierten „Academy of St Martin in the Fields“. Und das tat er nicht mit Hilfe eines Taktstocks, sondern indem er selbst zur Geige griff. Als Konzertmeister hatte er alles so präzise einstudiert, dass der Versuch, ohne Dirigenten aufzutreten, problemlos gelang.
Ausschließlich Beethoven stand auf dem Programm. Dass erwies sich keineswegs als eintönig; bei Beethoven muss man sich über einen Mangel an Abwechslung ohnehin nie beklagen. Es begann mit der Coriolan-Ouvertüre, und da wurde schon einiges über die Qualität des Orchesters und die Konzeption seines Leiters deutlich. Obwohl die Streicher relativ klein besetzt sind, ist der Klang symphonisch kräftig. Es sind eben qualifizierte Streicher mit Tonqualität und Verve am Werk.: Tadellos die Bläser; ein Kieckser beim Horneinsatz muss nicht an die große Glocke gehängt werden. Bell und seinen Musikern gelang es, Spannung auf- zubauen. Im Pianissimo erzeugten sie regelrecht eine Geisterstimmung.
Beethovens Violinkonzert hört man leider oft von vielen, auch namhaften Solisten im ersten Satz zu langsam und im zweiten Satz zu gleichförmig. Nicht so Joshua Bell. Seine Tempi verschleppten nichts, waren aber auch nicht zu hastig. Das virtuose Element kam nicht zu kurz, in den Kadenzen schon gar nicht. Aber der musikalische Zusammenhang ging über der Virtuosität nicht verloren, zumal Bell auch die Orchesterpartien mit Akribie einstudiert hatte. Die begeisterten Zuhörer hätten noch gern eine Zugabe gehört. Wahrscheinlich waren aber konditionelle Grenzen erreicht. Schließlich leitete Bell auch noch Beethovens sechste Sinfonie, die „Pastorale“, vom ersten Geigenpult aus.
Bei aller ländlichen Idylle, die Beethoven in dieser Sinfonie zeichnet: Auf dem Land geht es nicht immer gemütlich zu. Das wusste Beethoven, und das brachten Bell und seine Academy vorzüglich zum Ausdruck. Die lyrischen Partien erklangen nicht abgeschliffen; die Ecken und Kanten, die auch in der lebensfrohen sechsten Sinfonie stecken, blieben immer klar erkennbar. Knackig ging es im dritten Satz zu, dramatisch im vierten bei der Schilderung eines Gewitters. Viel Beifall für einen exzellenten Solisten und ein hochqualifiziertes, präzise einstudiertes Orchester.
Viel Beifall für den exzellenten Solisten und Konzertmeister
in einer Person.