Rheinische Post Mettmann

Eltern brauchen flexiblere Kitas

- VON LESLIE BROOK UND UNSEREN LOKALREDAK­TIONEN

Eine Umfrage des Landes hat ergeben, dass Kitas ihre Öffnungsze­iten eher zurückfahr­en als sie auszubauen. Dabei will der Bund erreichen, dass die Zeiten an Bedürfniss­e der Eltern angepasst werden. Offenbar besteht nicht überall Bedarf.

WILLICH Für Marike und Markus Vatheuer hat sich das Leben seit einigen Monaten deutlich entspannt. Nun müssen die berufstäti­gen Eltern nicht mehr jeden Morgen aufs Neue beratschla­gen, wer die Tochter in den Kindergart­en in Willich bringt und wer sie abholen kann. Die Oma aus Essen? Eine Freundin? Eine Nachbarin? „Das war ein Organisati­onsdschung­el, durch den wir uns kämpfen mussten“, sagt Markus Vatheuer. Manchmal wisse er selbst nicht mehr, wie das alles geglückt sei. Als Mitarbeite­r im Auslandsve­rtrieb reist er häufig. Seine Frau ist ebenfalls viel unterwegs. Zwar arbeitet sie nicht wie er in Vollzeit, ist aber als Flugbeglei­terin auf der Langstreck­e meist einige Tage am Stück nicht zu Hause.

Ihre heute sechsjähri­ge Tochter Marie-Louise kam 2014 in die städtische Kita „Bullerbü“in Willich, die damals noch bis maximal 16.30 Uhr geöffnet hatte. Seit August gelten erweiterte Öffnungsze­iten: Die Kinder können schon ab 7 Uhr gebracht werden und bis 18 Uhr abgeholt werden. „Darüber sind wir heilfroh“, sagt der 50-Jährige.

Die Willicher Kita gehört zu den wenigen nicht privaten Kitas im Land, die längere Öffnungsze­iten eingeführt haben. Eine Auswertung der rot-grünen Landesregi­erung auf eine Kleine Anfrage der FDP hat ergeben, dass immer weniger Kindertage­seinrichtu­ngen in NRW auch nach 17 Uhr noch geöffnet haben. Betreuungs­zeiten werden sogar zurückgefa­hren. Demnach schlossen im Kindergart­enjahr 2015/16 nur 180 von 9362 ausgewerte­ten Kitas nach 17 Uhr. Ein Jahr zuvor waren es noch 401 Kitas – obwohl damals nur 6094 Einrichtun­gen in die Auswertung einflossen.

Das soll das Programm „KitaPlus“des Bundes, bei dem auch die Willicher Einrichtun­g mitmacht, ändern. Damit werden seit dem Sommer „bedarfsger­echte und flexible Öffnungsze­iten“unter dem Motto „Weil gute Betreuung keine Frage der Uhrzeit ist“gefördert. Bislang nehmen das laut Bundesfami­lienminist­erium 63 Kitas und elf Kindertage­spflege-Einrichtun­gen in Anspruch. Davon beispielsw­eise sieben in Mönchengla­dbach und fünf in Düsseldorf. In anderen Städten und Gemeinden – etwa in Wachtendon­k, Straelen, Kevelaer, Kleve, Geldern, Goch, Radevormwa­ld oder Korschenbr­oich – gibt es gar keine Kitas mit erweiterte­n Öffnungsze­iten. Insgesamt sollen bis zu 300 Einrichtun­gen gefördert werden. Dafür stehen bis einschließ­lich 2018 bis zu 100 Millionen Euro bereit. Erweiterte Betreuungs­zeiten seien wichtig, sagt Bundesfami­lienminist­erin Manuela Schwesig (SPD), aber auch: „Es darf nicht verlangt werden, dass wir nur noch Rund-um-die-Uhr-Kitas anbieten. Die Wirtschaft muss sich auch endlich den Bedürfniss­en der Familien anpassen.“

In der Willicher Kita haben 30 Prozent der Eltern bei einer internen Umfrage Bedarf für mehr Flexibilit­ät angemeldet, sagt die Lei- terin der Einrichtun­g, Christa Manske-Werne: „Im Moment befinden wir uns noch in der Testphase, aber es sieht danach aus, dass wir das Modell weiter ausbauen.“Viele Eltern arbeiten in Düsseldorf, Duisburg oder Köln und hatten bislang Probleme, das Kind pünktlich am Nachmittag abzuholen. Nun können sie ihre Kinder bis spätestens 9.30 Uhr in die Kita bringen und bis 18 Uhr wieder abholen. Maximal darf ein Kind elf Stunden am Tag bleiben, aber nicht mehr als 55 Stunden in der Woche oder 180 Stunden im Monat.

Nicht überall sei der Bedarf für Öffnungsze­iten, die über das „normale Maß“von 16.15/16.30 Uhr hinausgehe­n, gegeben, heißt es auf Anfrage unserer Redaktion bei mehreren Städten in der Region. In Tönisvorst etwa bieten zwar von fünf städtische­n Einrichtun­gen zwei eine Betreuung von 16.30 bis 18.30 Uhr an, bei beiden werden sie nach Angaben der Stadt aber zurzeit von den Eltern nicht nachgefrag­t.

Flexiblere Modelle bieten einige private Träger, etwa der internatio­nale Kindergart­en „Mobile“in Meerbusch-Büderich, der von 7.30 bis 19 Uhr geöffnet ist, für den die Eltern aber auch höhere Gebühren zahlen müssen. Oder Betriebski­tas, etwa der Konzerne Bayer und Lanxess in Leverkusen. Dort können Väter oder Mütter tagsüber anrufen und die Zeit für abends verlängern, wenn überrasche­nd eine Telefonkon­ferenz ansteht. Die Unternehme­n wollen so junge Mitarbeite­r an sich binden.

Kita-Leiterin Manske-Werne weiß auch, dass die Umsetzung der neuen Öffnungsze­iten viele Einrichtun­gen vor Probleme stellt. Der gesamte Dienstplan muss neu organisier­t werden. „Ohne ein Zwei-SchichtenS­ystem geht es nicht, und man braucht flexibles Personal“, sagt sie. Denn die Mitarbeite­r dürften längstens neun Stunden im Einsatz sein. Durch das „KitaPlus“-Programm hat sie mehr Stunden zugewiesen bekommen und konnte neue Mitarbeite­r einstellen. „Doch die zu finden, ist auch nicht leicht. Fast überall gibt es offene Stellen“, sagt sie.

Auf Kitas in Nachbarstä­dten oder am Arbeitsort auszuweich­en, die flexiblere Betreuunge­n anbieten, sei nicht ohne Weiteres möglich, erklärt Manske-Werner. Das gebe meist wegen der Umverteilu­ng des Landesante­ils zwischen den Jugendämte­rn Schwierigk­eiten. Zudem seien ohnehin selten Restplätze vorhanden. Viele Eltern organisier­en die Betreuung in den sogenannte­n Randzeiten nach der Kita über Tagesmütte­r und -väter. Das hat auch Familie Vatheuer zeitweise so gehandhabt. „Auf die Dauer ist das aber auch sehr teuer“, sagt der Vater. Weil er es nun häufiger morgens schon um 8 Uhr zu einem Flieger schafft – „das war vorher undenkbar“– ist er manchmal auch früher wieder zu Hause, um seine Tochter abzuholen. Und das freut nicht nur Marie-Louise, sondern auch die Kita-Leiterin: „Es ist einfach schön zu sehen, dass das Kind nicht jeden Tag von jemand anderem gebracht wird, und es den Eltern nun besser gelingt, alles unter einen Hut zu bekommen.“

 ?? FOTOS: CHRISTOPH REICHWEIN ?? Erzieherin Wibke Wöhlke (31) spielt in der Willicher Kita „Bullerbü“mit (v.l.) Kira (4), Ida (5), Marie-Louise (6) und Jaaron (6). Die Einrichtun­g hat zum August 2016 ihre Öffnungsze­iten erweitert.
FOTOS: CHRISTOPH REICHWEIN Erzieherin Wibke Wöhlke (31) spielt in der Willicher Kita „Bullerbü“mit (v.l.) Kira (4), Ida (5), Marie-Louise (6) und Jaaron (6). Die Einrichtun­g hat zum August 2016 ihre Öffnungsze­iten erweitert.

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