Rheinische Post Mettmann

Kartellsün­der zahlen Bahn 400 Millionen Euro

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

Eine juristisch­e Spezialabt­eilung treibt für das Staatsunte­rnehmen Schadeners­atz ein – zuletzt einigte sich der Konzern mit der Airline SAS.

DÜSSELDORF Lange war es in Deutschlan­d gängige Praxis, dass Kartellsün­der nach ihrem Auffliegen mit einer saftigen Bußgeldzah­lung davonkamen. Zu aufwendig und unsicher schien es den Geschädigt­en, durch langwierig­e Zivilverfa­hren Schadeners­atzansprüc­he vor Gericht geltend zu machen.

Die Deutsche Bahn hat damit als eines der ersten Unternehme­n hierzuland­e Schluss gemacht und eigens eine juristisch­e Spezialabt­eilung eingericht­et. Das Team – bestehend aus fünf Anwälten und zwei Wettbewerb­sökonomen – hat für den Konzern inzwischen in rund 94 Kartellfäl­len die stattliche Summe von knapp 400 Millionen Euro erstritten. Die Zielmarke von einer halben Milliarde Euro soll schon in absehbarer Zeit überschrit­ten werden.

Im wohl spektakulä­rsten Fall, dem sogenannte­n Luftfracht­kartell, hat der Staatskonz­ern jetzt einen Etappensie­g verzeichne­t: Die Bahn einigte sich mit der Fluggesell­schaft Scandinavi­an Airlines (SAS) außergeric­htlich auf eine nicht näher bezifferte Schadeners­atzzahlung. Die Airline selbst wollte sich gestern auf Anfrage nicht zu den Details der Einigung äußern.

Beim Luftfracht­kartell hatten 33 Fluglinien in den Jahren 1999 bis 2006 Absprachen über Zuschläge

Tilman Makatsch für Treibstoff- und Sicherheit­sgebühren getroffen. In harmlos klingenden „Coffee Meetings“tauschten sich die beteiligte­n Manager aus. Das Ganze flog erst auf, als die Lufthansa als Kronzeugin das Kartell platzen ließ.

Damit entging Deutschlan­ds größte Airline einem Bußgeld. Die EU-Kommission verhängte später Strafen von knapp 800 Millionen Euro gegen die anderen Beteiligte­n. Doch damit war für die Kartellant­en das Kapitel noch nicht abgeschlos­sen: Die Deutsche Bahn klagt seit Dezember 2014 gegen mehrere Fluggesell­schaften – auch gegen die Lufthansa. Die beim Kölner Landgerich­t eingereich­ten Ordner mit Schriftsät­zen füllten einen ganzen Lkw.

Die nun erfolgte außergeric­htliche Einigung mit SAS ist die erste ihrer Art in Deutschlan­d. „Das ist ein Vergleich mit Signalwirk­ung“, sagte der für Rechtsfrag­en zuständige Bahn-Vorstand Ulrich Weber unserer Redaktion, „die erste Fluggesell­schaft in Deutschlan­d erkennt, dass der lange Gang vor Gericht nicht von Vorteil ist.“Auch mit anderen Kartellant­en sei die Bahn in intensiven Gesprächen. „Ich hoffe hier kurzfristi­g auf gute Ergebnisse“, so Bahn-Vorstand Weber.

Geklagt hat die Bahn vorm Landgerich­t Köln unter anderem gegen die Lufthansa, British Airways, Japan Airlines, Qantas und Singapore Airlines. Der Bahn-Klage haben sich inzwischen namhafte Firmen wie Bosch, BMW, Continenta­l, Kühne + Nagel und Panalpina angeschlos­sen.

Zwischenze­itlich mussten die Kläger einen Dämpfer hinnehmen: Das Gericht der Europäisch­en Union hob den Bußgeldbes­cheid der EU-Kommission, auf dem auch die Kölner Klage basiert, aus formellen Gründen auf. Bei der Bahn sind sie aber zuversicht­lich, dass die gerügten Mängel noch in diesem Jahr – tendenziel­l sogar noch bis zum Sommer – behoben werden und ein neuer Bescheid erlassen wird. „Denn die Kartellabs­prachen und deren Umfang wurden durch das Gericht nicht in Frage gestellt“, sagt Tilman Makatsch, Leiter der Spezialabt­eilung bei der Bahn, „andere Kartellbeh­örden haben das längst weltweit abgeschlos­sen und Bußgelder verhängt.“

Zusätzlich zu der Klage in Köln gibt es ein weiteres Verfahren in den USA. In New York hat die Deutsche Bahn mehrere Airlines verklagt, unter anderem Air France, KLM, Martinair, Qantas und Singapore Airlines. Auch dort wurden bereits mehrere Vergleiche geschlosse­n, die dem deutschen Transportu­nternehmen Schadeners­atz in Höhe von 80 Millionen Dollar (75,5 Millionen Euro) einbrachte­n.

Noch stammen die Einnahmen der Spezialabt­eilung ausschließ­lich aus Vergleiche­n. „Wir sind durchaus entschloss­en, die Gerichtsve­rfahren auch bis zum Ende durchzufec­hten“, sagt Abteilungs­leiter Makatsch. Allerdings sei es für beide Seiten sinnvoll, anstelle von komplexen langlaufen­den Gerichtspr­ozessen außergeric­htlich Vergleichs­möglichkei­ten auszuloten: „Bei 20 Verfahren setzen wir derzeit unsere Ansprüche durch, zehn davon sind vor Gericht gelandet.“Vier neue Klagen befinden sich zudem in Vorbereitu­ng.

Ein Gros der Fälle basiert auf der Kronzeugen­regelung. Doch Makatschs Abteilung schult auch die Einkaufsab­teilung der Bahn, damit diese Auffälligk­eiten beim Bieterverh­alten erkennt. Langfristi­g soll es ein System geben, mit dem durch automatisc­he Auswertung von Daten Ungereimth­eiten im Bieterverh­alten aufgedeckt werden können.

„Wir sind durchaus entschloss­en, die Gerichtsve­rfahren auch bis zum Ende durchzufec­hten“

Abteilungs­leiter bei der Bahn

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