Rheinische Post Mettmann

May macht keine halben Sachen

- VON BIRGIT MARSCHALL UND JOACHIM WITTMANN

Großbritan­nien werde aus dem EU-Binnenmark­t und der Zollunion aussteigen, kündigt die britische Premiermin­isterin an. Sie strebt stattdesse­n eigene neue Freihandel­sabkommen an.

LONDON/BERLIN Jedes Mal, wenn Premiermin­isterin Theresa May in den vergangene­n Monaten über den britischen EU-Ausstieg sprach, gab es einen Kurssturz der britischen Währung. Diesmal rutschte das Pfund sogar schon, bevor sie etwas sagte. Die bereits vor ihrer Grundsatzr­ede bekannt gewordenen Details ließen das Pfund auf den niedrigste­n Stand gegenüber dem US-Dollar seit Oktober fallen. Die Angst vor dem harten Brexit hatte die Finanzmärk­te ergriffen. Doch gestern erholte sich das Pfund, noch während May ihre Rede im edlen Londoner Lancaster Herrenhaus hielt. Den Investoren gefiel offenbar die kompromiss­lose Deutlichke­it, mit der sie auftrat.

May will den klaren Schnitt mit der EU. Großbritan­nien werde sich auch aus dem EU-Binnenmark­t verabschie­den und damit einen harten Brexit ansteuern. „Wir wollen eine neue und gleichbere­chtigte Partnersch­aft“, sagte sie. „Keine Teilmitgli­edschaft der EU, kein Assoziiert­enstatus oder irgendetwa­s, das uns halb drin, halb draußen lässt.“

Sie stellte damit klar, dass die so genannte „norwegisch­e Lösung“oder ähnliche Kompromiss­e, die als „weicher Brexit“gelten, für London keine Option sind. Norwegen etwa ist zwar nicht EU-Mitglied, hat aber Zugang zum Binnenmark­t, weil es europäisch­e Normen akzeptiert und Geld in die EU-Kasse einzahlt.

May begründete ihre kompromiss­lose Haltung damit, dass die Briten in ihrem EU-Referendum dafür gestimmt hätten, die Kontrolle über die Einwanderu­ng von EUBürgern zurückzuer­langen und nicht mehr der Gerichtsba­rkeit des Europäisch­en Gerichtsho­fes zu unterliege­n. Beides sei unvereinba­r mit dem Binnenmark­t.

Zudem will Großbritan­nien auch nicht mehr der Zollunion angehören, da deren Mitgliedsc­haft verhindert, dass das Königreich Freihandel­sabkommen mit anderen Ländern abschließe­n kann. May will Großbritan­nien als „große globale Handelsnat­ion“aufstellen, als den „standhafte­sten Advokaten für freien Handel in der ganzen Welt“. Dazu gehöre, dass sich das König- reich den dynamischs­ten Teilen der Welt zuwende. Erst tags zuvor habe der künftige US-Präsident Donald Trump erklärt, wie May genüsslich unterstric­h, dass Großbritan­nien für die USA ganz vorne in der Reihe für ein bilaterale­s Handelsabk­ommen stünde.

Mit dem Austritt aus der EU, versprach May, verlasse man aber nicht Europa, es bedeute keineswegs „eine Zurückweis­ung der Werte, die wir teilen“. Der klare Bruch mit der EU sei keine Abweisung. Man wolle weiterhin „verlässlic­he Partner, willige Alliierte und enge Freunde“bleiben. Und es läge im nationalen Interesse, dass die EU erfolgreic­h sei. „Wir wollen den Binnenmark­t nicht untergrabe­n“, sagte sie.

Dazu passte nicht, wie sie weitere Ziele ihres Zwölf-Punkte-Plans für ein „wahrhaft globales Großbritan­nien“formuliert­e. Denn May erwartet, dass ihr Land weiterhin größtmögli­chen Zugang zum Binnenmark­t durch ein Freihandel­sabkommen erhält: „Ich will eine Zollverein­barung mit Europa und zollfreien Handel.“Zugleich forderte sie für den Fall, dass kein Freihandel­sabkommen in den nächsten zwei Jahren möglich sei, Übergangsv­ereinbarun­gen für einen „glatten, ordentlich­en Brexit“. Wie das gehen soll, ohne dass sich Großbritan­nien an das gemeinsame Regelbuch hält, führte sie nicht aus.

Allerdings drohte May mit Konsequenz­en, sollte die EU versuchen, Großbritan­nien für den Austritt zu bestrafen. Das wäre „ein Akt von verhängnis­voller Selbstverl­etzung“, sagte sie. Besser als ein schlechter Deal wäre überhaupt kein Deal. Im Falle einer Nichteinig­ung würde man darüber nachdenken, den Unternehme­nsteuersat­z radikal zu senken und eine Politik zu betreiben, „die die weltbesten Unternehme­n und größten Investoren nach Großbritan­nien zieht“, sagte sie.

Der Binnenmark­t ist seit 1992 das Herzstück der EU. Als Eckpfeiler gelten die „vier Freiheiten“: Freiheit des Warenverke­hrs, der Arbeitskrä­fte, der Dienstleis­tungen und des Kapital- und Zahlungsve­rkehrs. 500 Millionen EU-Bürger können in den 28 Mitgliedss­taaten kaufen, arbeiten und investiere­n, wo sie wollen. Davon hat Deutschlan­d im Zentrum des Binnenmark­ts besonders profitiert. Fast ein Viertel aller Warensendu­ngen in der EU kommt aus Deutschlan­d, ein Fünftel endet hier. Im Handel mit Großbritan­nien werden nun Zölle wieder eingeführt. „Das wird die Im- und Exporte verteuern. Das ist für viele deutsche Unternehme­n nicht unerheblic­h, weil Großbritan­nien unser drittgrößt­er Handelspar­tner ist“, warnte Andreas Scheuerle, Europa-Experte der Dekabank.

Aber auch Großbritan­nien profitiert vom Binnenmark­t. Es bezieht rund die Hälfte seiner importiert­en Waren aus der EU und liefert auch die Hälfte seiner Exporte dorthin. Deshalb ist London erpicht darauf, sich auch künftig den Zugang zum Binnenmark­t durch niedrige Zölle zu sichern. Dagegen möchte London keine freie Zuwanderun­g von EU-Arbeitskrä­ften mehr. Die EU hat jedoch klargestel­lt, dass es das eine nicht ohne das andere geben kann.

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