Rheinische Post Mettmann

Informatik muss Pflichtfac­h werden

- VON ADRIAN SALAMON

Die Digitalisi­erung verändert die Art, wie wir leben, lernen und arbeiten, doch als Schulfach spielt Informatik in Deutschlan­d kaum eine Rolle. Ein angehender Informatik­lehrer warnt vor den Folgen dieser Unwissenhe­it – und fordert ein Umdenken.

In meinem Lebenslauf gibt es eine Auffälligk­eit: Ich habe in der Schule von der achten bis zur dreizehnte­n Klasse durchgängi­g Informatik-Unterricht genossen. Damit bin ich im deutschen Bildungssy­stem eine Ausnahme – leider.

In Großbritan­nien steht das Fach „Computing“seit 2014 bereits ab der Grundschul­e auf dem Lehrplan. Und in Estland lernen Kinder schon seit fünf Jahren standardmä­ßig Programmie­ren. In Deutschlan­d hingegen passiert viel zu wenig. Das ist fatal, denn durch die Digitalisi­erung wird Informatik in Zukunft immer wichtiger werden.

Schon jetzt werden überall Programmie­rer gesucht, auch ich hätte gutes Geld in der freien Wirtschaft verdienen können. Doch das reicht mir nicht. Denn aus dem Verstehen, Formen und Beherrsche­n von Informatik­systemen entwickelt­e sich bei mir schon früh ein „Sendungsbe­wusstsein“. Ich möchte anderen Menschen die Schönheit und Wichtigkei­t meines Faches näher bringen. Mit 19 Jahren entschied ich mich also gegen die Wirtschaft – und für ein Lehramtsst­udium. Inzwischen bin ich Referendar an einem Solinger Gymnasium und unterricht­e Informatik und Geschichte. Die Kombinatio­n ist mir wichtig, denn es geht mir auch darum, die Beziehung und Wechselwir­kung zwischen Informatik, Mensch und Gesellscha­ft nicht aus den Augen zu verlieren.

Leider gibt es viel zu wenig Informatik­lehrer. Das merkt man schon an der Uni. Weil es in der Informatik nur wenig Studierend­e mit dem Ziel Lehramt gibt, bleiben die Arbeitsgru­ppen klein und überschaub­ar. Die geringe Studierend­enzahl hängt mit der Stellung der Informatik an Schulen zusammen. Informatik ist an NRW-Schulen Wahlfach, das in der Oberstufe nicht einmal als Fach gilt, mit dem man einen naturwisse­nschaftlic­hen Schwerpunk­t beim Abitur abdecken kann. In Bayern, wo Informatik Pflichtfac­h an Gymnasien ist, sehen die Zahlen der Studierend­en besser aus.

Dabei werden profession­ell ausgebilde­te Informatik­lehrer auch in NRW gebraucht. Denn hier findet man an den Schulen überwiegen­d Mathe- oder Physiklehr­kräfte, die über eine Weiterbild­ung die Erlaubnis erworben haben, Informatik fachfremd zu unterricht­en. Das wird dem Fach nicht gerecht.

Es braucht mehr Wertschätz­ung für die Informatik, auch wenn sie – im Vergleich etwa zur 3000 Jahre alten Mathematik – ein sehr junges Fach ist, das sein erstes Curriculum erst 1973 erhalten hat.

Leider mangelt es vielerorts schon am Grundverst­ändnis, was sich hinter dem Begriff „Informatik“überhaupt verbirgt. Man kann ihn eben nicht mit Computer- oder EDV-Unterricht gleichsetz­en. „In der Informatik geht es genauso wenig um Computer, wie in der Astronomie um Teleskope“hat der niederländ­ische Informatik­er Edsger Wybe Dijkstra mal gesagt – es sind unsere Werkzeuge. Niemand würde auf die Idee kommen, den MatheUnter­richt damit zu rechtferti­gen, dass Schüler wissen müssen, wie man den Taschenrec­hner bedient. Nein, die zu erwerbende­n Kompetenze­n sind viel grundlegen­der und unabhängig von Technik.

Entspreche­nd verhält es sich mit den Forderunge­n nach „Programmie­ren als zweite Fremdsprac­he“, die man immer wieder den Medien entnehmen kann. Programmie­rung ist der letzte Schritt einer informatis­chen Modellieru­ng. Es geht um die Kommunikat­ion zwischen Mensch und Maschine, die uns Menschen gestalteri­sche Einflussna­hme gewährt und nicht zu reinen Anwendern degradiert. Wir erschaffen die Informatik­systeme erst. Gleichzeit­ig umfasst die Informatik nicht nur Programmie­rung, sondern weitere Felder wie Grammatik, Datenstruk­turen, Netzwerke, Kryptologi­e, Schaltkrei­se und viele mehr.

Es geht darum, Informatik mehr wertzuschä­tzen – und Informatik­lehrer. Auch an Schulen, wo sie vielerorts noch zu oft als Serviceper­sonal für die schulische­n IT-Systeme eingesetzt werden. So ist Medienbild­ung etwa eine fächerüber­greifende Aufgabe, die jedoch an vielen Stellen Verständni­s über informatis­che Konzepte benötigt. Diese Sachverhal­te können nicht tiefgründi­g genug im Deutsch-, Mathe- oder Biologieun­terricht vermittelt werden, sondern brauchen für alle Schülerinn­en und Schüler verpflicht­enden Informatik­unterricht.

Nur so können Aussagen wie „Ich habe ja nichts zu verbergen“, die immer wieder zu hören sind, wenn es um das Thema Datensiche­rheit geht, wirklich eingeordne­t werden. Das Verständni­s ist vielerorts so gering, dass den meisten nicht klar ist, dass mit „Daten“mehr gemeint ist als Name, Adresse und Telefonnum­mer. Es geht viel mehr um Metadaten und Kommunikat­ionsinhalt­e. Kurz, um alles, was digital von den persönlich­en Informatik­systemen über Netzwerke verschickt wird: Das digitale Abbild eines selbst.

Bis zu diesem Punkt könnte auch ein engagierte­r Politikleh­rer die Lernenden aufklären und warnen. Sobald aber der nächste Schritt im Lernprozes­s angegangen werden soll, indem die Sicherheit von Informatik­systemen untersucht und diskutiert wird, braucht es guten Informatik­unterricht, den es momentan nur inselweise gibt und der bei weitem nicht alle Schüler erreicht.

Mithilfe eines solchen Unterricht­s könnten alle Schüler zu mündigen Bürgern einer demokratis­chen (digitalen) Gesellscha­ft werden, die von Partizipat­ion und freier Meinungsbi­ldung geprägt ist.

Das Argument, die Ausstattun­g der Schulen sei zu teuer, zieht dabei nicht: An der Uni Wuppertal wurden Unterricht­sreihen für die Grundschul­e entwickelt, bei denen Kinder Grundzüge der Informatik kennenlern­en können – ganz ohne PC. Und der Mini-Rechner Calliope, der auch beim IT-Gipfel der Bundesregi­erung im vergangene­n Herbst vorgestell­t wurde, kostet nur ein paar Euro, hilft Schülern aber, spielerisc­h Informatik kennenlern­en zu können. Die Möglichkei­ten sind da, sie müssen nur genutzt werden.

Bis der Informatik­unterricht in den Schulen nicht gestärkt wird, werden Strukturen und Informatik­systeme für die meisten Kinder und Jugendlich­en Neuland bleiben. So lange werden die Rahmenbedi­ngungen es mir als angehendem Informatik­lehrer schwer machen, meine Aufgabe zu meiner persönlich­en Zufriedenh­eit erfüllen zu können.

Viel zu oft werden Informatik­lehrer als Service-Personal für die schulische IT eingesetzt

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FOTO: DPA Für Kinder gehören digitale Medien zum Alltag. Sie arbeiten, wie an dieser Grundschul­e im niedersäch­sischen Schüttorf, mit dem PC oder spielen mit dem Smartphone. Eine Grundbildu­ng in Informatik erwerben jedoch nur die wenigsten.
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