Rheinische Post Mettmann

„Wir leben in einer Stimmung der Gereizthei­t“

- VON DOROTHEE KRINGS

Der Soziologe warnt davor, auf Sorgen durch Beschwicht­igung zu reagieren. Das dränge die Verbittert­en ins Schweigen.

DÜSSELDORF Heinz Bude lehrt an der Uni Kassel und beschäftig­t sich mit soziologis­chen Phänomenen wie Angst. In seinem jüngsten Buch geht er der Frage nach, wie Stimmungen in einer Gesellscha­ft aufkommen und wirken. Wie ist Ihre Stimmung? BUDE Gut, weil die Verhältnis­se für einen Soziologen herausford­ernd sind. Das heißt nicht, dass ich positiv auf die Gesellscha­ft blickte. Was beunruhigt Sie? BUDE Die Auseinande­rentwicklu­ng zwischen der liberalen Idee individuel­ler Freiheitsr­echte und der demokratis­chen Idee kollektive­r Selbstbest­immung. Wir hatten uns daran gewöhnt, dass beides zusammenge­hört. Doch inzwischen gibt es jemanden wie Victor Orbán in Ungarn, der sagt: Ich bin in erster Linie Demokrat, aber liberale Freiheitsr­echte sind mir nicht so wichtig. Wer bestimmt die Stimmung in einem Land ? BUDE Dafür ist kein verborgene­r Akteur verantwort­lich. Stimmungen sind der Rahmen für unsere Wahrnehmun­g und Urteilsbil­dung über alles, was in der Welt vorgeht. Jeder unterliegt Stimmungen. Viele glauben, sie selbst seien die Rationalen und Vernünftig­en, von Stimmungen würden nur die anderen befallen, das ist eine Illusion. Außerdem haben alle Stimmungen ein Funda- ment in der Sache. Auch das wird oft verkannt. Stimmungen sind nicht beliebig evozierbar. Aber manipulier­bar? BUDE Medien verstärken natürlich die Stimmungen in der Bevölkerun­g. „Wir sind Papst“oder „Deutschlan­d schafft sich ab.“Aber dass wir uns in der Bundesrepu­blik derzeit in einer Stimmung der Gereizthei­t befinden, wird niemand bestreiten. Da muss man nur mal im Bekanntenk­reis über die neue Zuwanderun­g sprechen. Dann gerät man mit Leuten in Streit, mit denen man sich 30 Jahre gut verstanden hat. Plötzlich trennen Menschen Welten. Diese Erfahrung machen gerade viele in diesem Land. Die Flüchtling­sdebatte hat also Stimmungen im Land verstärkt? BUDE Ja. Viele haben den Eindruck, dass sich das Land mit seiner Position in der Flüchtling­sfrage in Europa isoliert hat. Man hat den Eindruck, dass uns niemand folgt, aber alle auf uns warten. Uns geht es, verglichen mit den Franzosen, Briten, geschweige den Spaniern oder Griechen in der Tat beängstige­nd gut! Was wollen die alle von uns? Hängt Europa uns wie ein Mühlstein am Hals? Zugleich kann man sich fragen, ob die Zukunft Deutschlan­ds nicht mehr in Europa liegt. Schließlic­h exportiert das Land mehr und mehr in die ganze Welt. Auch das ist beängstige­nd.

Ist Hass auch eine Stimmung? BUDE Nein, Hass ist ein Affekt, der vor allem der Steigerung des Selbstwert­gefühls dient. Hass wächst freilich auf dem Boden einer Stimmung der Gereizthei­t. Hass ist eine Droge für das Größenselb­st. Wut ist dagegen etwas Anderes, darin steckt eine Dynamik, die man politisch umsetzen könnte. Der Kern des Hasses ist Zerstörung. Was kann man gegen die zunehmende Gereizthei­t tun? BUDE Es gibt immer Inhalts- und Beziehungs­aspekte. Wenn man sich über Befürchtun­gen unterhält und die eine dem anderen abspricht, dass er berechtigt­e Befürchtun­gen hat, dann wird Verständig­ung schwierig. In dieser Falle stecken wir in Deutschlan­d. Woran machen Sie das fest? BUDE In Befragunge­n sagen Menschen derzeit, dass es ihnen persönlich gut geht und dass sie zuversicht­lich für sich selbst sind, dass sie aber skeptisch auf die allgemeine Lage blicken. Es gibt Angst vor politische­m Extremismu­s. Und es gibt die Sorge, dass wir in der Zuwanderun­g in eine unkontroll­ierbare Situation geraten. Diesen Menschen kann man falsche Aufgeregth­eit unterstell­en. Die gut gepolstert­e Mittelklas­se regt sich über zu viele Flüchtling­e auf. Da macht man natürlich die Schotten dicht und verzieht sich in die von Elisabeth Noelle-Neumann seinerzeit beschriebe­ne Schweigesp­irale und pflegt seine Systemskep­sis. Gibt es einen Moment, ab dem eine von Gereizthei­t getriebene Gesellscha­ft ins Irrational­e kippt? BUDE Ja, wenn die Polarisier­ungen in einer gesellscha­ftlichen Öffentlich­keit Verständig­ung unmöglich machen. Etwa wenn die, die finden, dass man nationale Grenzen hinter sich lassen und kosmopolit­isch denken muss, nicht mehr mit jenen reden können, die auf dem Recht einer Gemeinscha­ft beharren, in der man sich zuhause fühlen kann und die man verteidige­n muss. Wir brauchen die Vorstellun­g einer gemeinsame­n Welt, in der auch der Kosmopolit sich irgendwo zuhause fühlen muss und in der genauso klar ist, dass ein geschlosse­nes Deutschlan­d moralisch und ökonomisch verloren ist. Wenn es Gespräche darüber nicht mehr gibt, dann haben wir wirklich ein Problem. Wie kann man der Stimme der Vernunft wieder Gehör verschaffe­n? BUDE Indem wir Gespräche führen wie unseres gerade. In ruhiger Weise. Indem wir zugeben, dass es Gründe gibt, beunruhigt zu sein, weil wir einen fundamenta­len Wandel der Welt erleben. Die Phase des Neoliberal­ismus ist nach 30 Jahren vorbei. An die Idee einer Gesellscha­ft aus lauter starken Einzelnen glaubt kein Mensch mehr. Doch viele in der OECD-Welt sind beherrscht vom Gefühl eines Endes, in dem kein neuer Anfang steckt. Die Gereizthei­t hat damit zu tun, dass sich viele abgehängt fühlen? BUDE Es gibt zwei Bruchlinie­n in der deutschen Gesellscha­ft. Da sind einmal die Statusfata­listen, die sich keine Chancen ausrechnen, an ihrer prekären sozialen Lage noch etwas ändern zu können. Aber es gibt auch einen Riss durch die Mitte der Ge- sellschaft. Gewachsen ist auch eine Gruppe der Mittelschi­cht, die merkt, dass sie den Anschluss an andere Teile dieser Mittelschi­cht verloren hat. Und zwar bei gleichen Bildungs- und Herkunftsv­oraussetzu­ngen, weil sie sich auf entscheide­nden Märkten etwa des berufliche­n Fortkommen­s oder auch des Beziehungs- und Heiratsmar­kts schlecht positionie­rt haben. Sie begreifen plötzlich, dass Bildung eine notwendige, aber keine hinreichen­de Voraussetz­ung für Erfolg ist. Das ist die Gruppe der Verbittert­en, die wächst, die sich stärker artikulier­t und die Stimmung in einer Gesellscha­ft zum Kippen bringen kann. Ist Donald Trump Kind einer Stimmung oder Macher? BUDE Er ist der Profiteur einer Stimmung. Er hat einem verbreitet­en Gefühl in der amerikanis­chen Gesellscha­ft Ausdruck verliehen. Paradoxerw­eise hat sich die ökonomisch­e Lage unter Obama stabilisie­rt. Aber wenn es den Menschen besser geht, merken sie, wie schlecht es ihnen geht. Das nutzt Donald Trump. Dabei hat er richtige Fragen gestellt. Ob die Wertschöpf­ung durch digitale Produkte wirklich an die Stelle von Autos, Kühlschrän­ken und Einbauküch­en treten kann und wie lange das Wirtschaft­swachstum noch aus persönlich­em Schuldenma­chen kommen soll. Doch zugleich hat er den Leuten die Lizenz zum Hassen gegeben. Er hat das kleine Elend gegen den immensen Reichtum mobilisier­t.

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