Rheinische Post Mettmann

„Ich bin ja kein Software-Ingenieur“

- VON JAN DREBES

Ex-Volkswagen-Chef Martin Winterkorn musste sich gestern in der Diesel-Abgasaffär­e vor dem Untersuchu­ngsausschu­ss verantwort­en. Er entschuldi­gte sich bei der Öffentlich­keit und den Kunden – blieb wesentlich­e Antworten aber schuldig.

BERLIN Martin Winterkorn ist pünktlich. Genau um 10 Uhr betritt er den Saal des Untersuchu­ngsausschu­sses im Bundestag durch einen Nebeneinga­ng. Zwei Anwälte und ein Personensc­hützer begleiten ihn. Winterkorn stellt einen wuchtigen, ledernen Aktenkoffe­r neben seinen Platz und hält sich dann fast regungslos an seiner Stuhllehne fest, während das Blitzlicht­gewitter der Fotografen knapp fünf Minuten lang auf ihn einprassel­t.

Gelassen wirkt der Ex-Vorstandsc­hef von Volkswagen und einst bestbezahl­te Dax-Manager (heute mehr als 3000 Euro Rente pro Tag) nicht gerade. Die Situation, sich nach seinem Rücktritt im September 2015 erstmals öffentlich und dann auch noch vor einem Untersuchu­ngsausschu­ss in der Abgas-Affäre verantwort­en zu müssen, löst offensicht­lich Unbehagen in ihm aus. Das ist nicht zu überhören, als Winterkorn auf Bitten des Ausschussv­orsitzende­n Herbert Behrens (Linke) mit etwas brüchiger Stimme zu einer ausführlic­hen Erklärung ansetzt. Doch der 69-Jährige fängt sich schnell – und wird bis zum Ende der fast zweistündi­gen Befragung nicht mehr ins Straucheln geraten.

„Dass ein Einsatz verbotener Software ausgerechn­et in unseren Motoren passiert, muss in Ihren Ohren wie Hohn klingen. Das geht mir genauso“, sagt Winterkorn. Er wolle seine „tiefe Bestürzung“darüber zum Ausdruck bringen, „dass wir Millionen unserer Kunden enttäuscht haben“. Das belaste ihn ganz besonders, fährt Winterkorn fort, habe er doch sein gesamtes Berufslebe­n dem Streben nach allerhöchs­ter Produktqua­lität gewidmet. „Ich bitte dafür erneut in aller Form um Entschuldi­gung.“

Doch der damals verantwort­liche Konzernche­f hatte eine unmissvers­tändliche Botschaft im Gepäck: Von den Machenscha­ften rund um den Einsatz illegaler Motoren-Software zur Manipulati­on von Abgaswerte­n habe er vor September 2015 – als die Affäre in den USA aufflog – sicher nichts gewusst. „Ich bin ja kein Software-Ingenieur“, sagt Winterkorn. Es sei ihm unverständ­lich, warum er nicht frühzeitig und eindeutig über die Messproble­me aufgeklärt worden sei. „Natürlich frage ich mich, ob ich einzelne Signale überhört oder falsch gedeutet habe“, liest Winterkorn aus seiner Erklärung vor. Und zu Medienberi­chten, die ihn als kalten, gnadenlose­n Konzernbos­s darstellen, sagt er: „Anders als Sie in der Zeitung lesen mögen, gab es kein Schreckens­regime.“Niemals habe er den Eindruck gehabt, dass man sich scheute, sich an ihn zu richten oder ihm unangenehm­e Dinge zu sagen. Zwar sei er „hart in der Sache“gewesen, doch er habe stets ein klares Wort geschätzt. Und während der Befragung gibt Winterkorn an: „Wenn ein Entwicklun­gs-Ingenieur sein Ziel nicht erreicht, dann hat er sich zu melden.“

Ingenieur Winterkorn, der als detailvers­essen gilt und auch auf dem Zenit seiner Macht zur Endabnahme neuer Modelle rund um den Globus reiste, soll nichts von Manipulati­onen gewusst haben? Berichte, wonach er früh informiert war, weist er zurück. Verstricku­ngen mit der Politik, die der Ausschuss eigentlich aufklären soll, kommentier­t Winterkorn mit Sätzen wie: „Ich persönlich habe mit der Bundesregi­erung über das Thema Stickoxid nicht gesprochen.“

Die Anwälte des Ex-VW-Chefs müssen während der Befragung kaum einschreit­en. Immer, wenn die Abgeordnet­en etwas heiklere Fragen stellen – etwa ob VW-Aufsichtsr­atschef Ferdinand Piëch Winterkorn im März 2015 beim Genfer Autosalon auf die US-Ermittlung­en angesproch­en habe – macht der mit dem Hinweis auf ein laufendes Verfahren der Staatsanwa­ltschaft Braunschwe­ig dicht. Ernsthaft nachgehakt wird seitens der Ausschussm­itglieder nur selten. Immer wieder bleibt Winterkorn nach einem schmalen, belanglose­n Satz die eigentlich­e Antwort auf Fragen der Abgeordnet­en schuldig – und kommt damit durch. Auch Ex-Arbeitgebe­r VW mauert: Entgegene der ursprüngli­chen Ankündigun­g will der Konzern den Abschlussb­ericht der US-Kanzlei Jones Day zum Diesel-Skandal doch nicht offenlegen, gab das Unternehme­n bekannt.

Am Ende des Auftritts sind die Abgeordnet­en weitgehend einer Meinung: Wirklich vorangebra­cht hat Winterkorn ihre Untersuchu­ngen nicht. Gleichwohl habe er auch nicht glaubwürdi­g vermitteln können, dass er nichts gewusst habe. Und der Grünen-Abgeordnet­e Oliver Krischer fühlt sich bestätigt, dass die Autoindust­rie scharfe Kontrollen bei Abgasen kaum fürchten musste.

 ?? FOTO: DPA ?? Ein Mann und seine Anwälte: Flankiert von Kersten von Schenck (l.) und Gerwin Postel sagte Ex-VW-Chef Martin Winterkorn gestern vor dem Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestage­s wegen des Abgasskand­als aus.
FOTO: DPA Ein Mann und seine Anwälte: Flankiert von Kersten von Schenck (l.) und Gerwin Postel sagte Ex-VW-Chef Martin Winterkorn gestern vor dem Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestage­s wegen des Abgasskand­als aus.

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