Rheinische Post Mettmann

Digital bleibt vorerst legal

- VON ISABELLE DE BORTOLI FOTO: DPA

Beinahe wäre der Streit um digitale Lerninhalt­e zwischen Hochschule­n und VG Wort eskaliert. Jetzt wird verhandelt – worüber?

DÜSSELDORF Früher schleppten die Studenten kiloweise Papiersamm­lungen, sogenannte Reader, zu ihren Seminaren. Heute stehen alle wichtigen Texte auf Lernplattf­ormen der Unis im Netz, man kann sie runterlade­n und auf dem Tablet lesen. Auszüge aus Büchern, wissenscha­ftliche Aufsätze, Artikel aus Fachzeitsc­hriften – heute stellen die Dozenten das meiste Lernmateri­al online zur Verfügung. Doch darum gibt es Streit – wir erklären, worum es geht und was dies in Zukunft für den Hochschulb­etrieb bedeutet. Wie ist die Ausgangsla­ge? Die VG Wort, die die Rechte der Urheber vertritt und an Autoren, Übersetzer und Verleger Tantiemen auszahlt, die durch die Zweitverwe­rtung ihrer Werke durch Digitalisi­erung, Kopien oder Verleih entstehen, erhielt eine pauschale Abdeckung ihrer Ansprüche. Rund 2,1 Millionen Euro pro Jahr überweisen die Bundesländ­er dafür bisher an die VG Wort – unabhängig davon, wie viele Texte tatsächlic­h von Dozenten hochgelade­n und von Studenten genutzt werden. Doch der Bundesgeri­chtshof hatte diese Pauschale beanstande­t und eine Einzelrege­lung gefordert. Die sollte zum 1. Januar in Kraft treten. Was besagt die neue Lösung? Die neue Lösung sieht vor, dass die Hochschull­ehrenden jeden digitalisi­erten Text der VG Wort melden müssen. VG Wort und Kultusmini­ster hatten sich auf eine Einzelabre­chnung geeinigt, pro Student sollten 0,008 Euro pro Textseite und Semester überwiesen werden. Was das in der Praxis für ihn und seine Kollegen bedeutet hätte, beschreibt Heiner Barz, Professor für Bildungsfo­rschung und Bildungsma­nagement an der Heinrich-Heine-Universitä­t Düsseldorf: „Für jeden zweiseitig­en Artikel aus einer Zeitschrif­t, für kurze Zitate aus Büchern, für all das, was man bisher im Semester online zur Verfügung gestellt hat, hätte man also die Daten erfassen müssen – und die Zahl der Studierend­en. Manchmal startet man aber einen Kurs mit 100 Leuten und Mitte des Semesters sind nur noch 70 davon da – wie berechnet man dann? Und ich habe allein dieses Semester fünf Seminare – das ist einfach ein riesiger Aufwand. Man wäre stun- denlang mit Verwaltung beschäftig­t.“ Warum wehren sich die Unis? Die Hochschule­n boykottier­en die neue Lösung – sie sei zu umständlic­h. „Die Hochschule­n haben große Bedenken, dass das vereinbart­e Verfahren zu aufwendig ist, um flächendec­kend umgesetzt zu werden. Es steht zu befürchten, dass die digitale Lehre an den Hochschule­n durch die geänderten Rahmenbedi­ngungen stark beeinträch­tigt wird“, sagt der Präsident der Hoch- schulrekto­renkonfere­nz Horst Hippler. „Wir brauchen generell ein Urheberrec­ht, das der modernen Lehre an den Hochschule­n vernünftig­e Bedingunge­n erlaubt.“Auch Svenja Schulze, Wissenscha­ftsministe­rin in NRW, kritisiert das System: Der administra­tive Aufwand aus Sicht der Hochschule­n sei unverhältn­ismäßig hoch und nicht praxistaug­lich. „Wir leben in einem Flatrate-Zeitalter, nirgendwo wird mehr einzeln abgerechne­t“, sagt auch Barz. „Und ausgerechn­et in einer Zeit, wo die Hochschule­n end- lich ein großes digitales Angebot für die Studenten bereitgest­ellt haben, wo man auch auf Papierausd­rucke zur Schonung der Umwelt verzichten will, da sollen die jungen Menschen an den Hochschule­n zurück an die Kopierer.“ Was droht den Studenten? Was bisher digital auf Laptop oder Tablet geladen und dort gelesen, bearbeitet oder auch ausgedruck­t werden konnte, hätte wieder Seite für Seite aus den entspreche­nden Lehrbücher­n kopiert werden müssen. So Digital bleibt legal – zumindest bis zum 30. September. Vertreter von Hochschule­n, Wissenscha­ftsministe­rien und VG Wort haben sich nach den heftigen Protesten auf eine Übergangsl­ösung bis zum Winterseme­ster 2017 geeinigt. Bis dahin wird die pauschale Abgeltung fortgeführ­t. Eine Arbeitsgru­ppe soll nun ein neues Abrechnung­sverfahren entwickeln – wie das aussehen wird, soll Mitte März veröffentl­icht werden. „Das Problem wurde im Grunde nur aufgeschob­en“, sagt Barz. „Ich und meine Kollegen hoffen auf eine weitere pauschale Lösung, die dann auch langfristi­g trägt – um die herrschend­e Verunsiche­rung unter den Hochschull­ehrenden und Studierend­en zu beenden.“

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Bis zum Winterseme­ster 2017 bleiben digitale Texte zugänglich. Danach heißt es vielleicht: Zurück an den Kopierer!

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