Schulz führt SPD gegen Merkel
Der frühere Präsident des Europaparlaments soll auch Parteichef werden. Sigmar Gabriel will das Außenministerium übernehmen. Offenbar waren schlechte Umfragewerte Grund für seinen Rücktritt.
BERLIN Die monatelangen Spekulationen um die offenen Spitzenpositionen bei der SPD sind gestern mit einem Paukenschlag beendet worden. Überraschend erklärte SPDChef Sigmar Gabriel in der Fraktionssitzung der Sozialdemokraten, dass der frühere Präsident des Europa-Parlaments, Martin Schulz, SPD-Kanzlerkandidat und neuer Parteichef werden soll.
Gabriel ergänzte am Abend, dass er Ressortchef im Außenministerium werde und damit die Nachfolge von Frank-Walter Steinmeier antrete, der sich am 12. Februar der Wahl zum Bundespräsidenten stellt. An die Spitze des Wirtschaftsministeriums wird nach einem abendlichen Beschluss des SPD-Präsidiums die bisherige Staatssekretärin Brigitte Zypries rücken. Sie war von 2002 bis 2009 Bundesjustizministerin. Der Wechsel im Kabinett soll schon am Freitag vollzogen werden. Dies teilte Fraktionschef Thomas Oppermann gestern Abend in einem Schreiben an die SPD-Abgeordneten mit.
Ursprünglich wollte die SPD-Führung ihr Personaltableau für das Wahlkampfjahr 2017 am Sonntag nach einer Klausurtagung präsentieren. Dann allerdings gab Gabriel dem „Stern“ein Interview, in dem er seinen Verzicht erklärte. Das Nachrichtenmagazin erscheint normalerweise donnerstags. Die Nachricht sickerte jedoch bereits gestern Nachmittag durch. „Wenn ich jetzt anträte, würde ich scheitern – und mit mir die SPD“, sagte Gabriel in dem Interview. Schulz habe „die eindeutig besseren Wahlchancen“. Für seinen Verzicht gab Gabriel aber auch private Gründe an.
Am Abend traten Gabriel und Schulz nach einer Sitzung des Parteipräsidiums gemeinsam vor die Presse. Gabriel nannte Schulz einen „großen Sozialdemokraten“. Schulz sei jemand, der Brücken bauen könne und Menschen zusammenführe. Schulz wisse, was für Deutschland, aber auch für Europa wichtig sei. Dass er und Schulz befreundet seien, sei wichtig, aber für die Personalentscheidung nicht ausschlaggebend gewesen, sagte Gabriel. Schulz selbst sprach von einem „besonderen Tag, der mich tief bewegt“. Die Nominierung als Kanzlerkandidat und Parteichef sei „eine außergewöhnliche Ehre, die ich mit Stolz, aber auch mit der gebotenen Demut annehme“. Er wolle am Sonntag die Inhalte des Wahlkampfs genauer erläutern, sagte Schulz.
Heute wollen sich die SPD-Abgeordneten zu einer Sondersitzung der Fraktion treffen. Der Parteitag, bei dem Schulz zum Vorsitzenden gewählt und als Kanzlerkandidat offiziell ausgerufen werden soll, ist nun für Ende März geplant, früher als bisher vorgesehen.
In der SPD stieß Schulz‘ Kandidatur auf durchweg positive Resonanz. „Ich habe großen Respekt für die Entscheidung von Sigmar Gabriel. Er hat mit dieser Entscheidung gezeigt, dass es ihm wirklich um die Partei und eine Perspektive für ein gutes Wahlergebnis geht“, sagte die SPD-Vizevorsitzende Manuela Schwesig unserer Redaktion. „Wir haben mit Martin Schulz eindeutig bessere Chancen im Wahlkampf gegen Angela Merkel“, betonte der Fraktionsvizevorsitzende Karl Lauterbach. Auch die Parteilinke, die sich in Wahlkämpfen oft als eine Hypothek für die Kanzlerkandidaten der SPD erwiesen hat, bekannte sich zu Schulz. „Er wird die Partei im Wahlkampf einen, wir stehen absolut hinter ihm“, sagte Matthias Miersch, Vorsitzender des linken Fraktionsflügels.
Freundliche Reaktionen kamen auch von Grünen und Linken. Grünen-Chef Özdemir lobte: „Martin Schulz steht zweifelsohne für einen proeuropäischen Kurs.“Von einer „souveränen Entscheidung“Gabriels sprach Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch. Vertreter anderer Parteien äußerten sich skeptisch. Für den CDU-Vizevorsitzenden Thomas Strobl hat sich Gabriel „in die Büsche geschlagen“, weil es schwer sei, gegen Merkel anzutreten: „Menschlich kann man das irgendwie nachvollziehen, professionell ist es aber nicht.“Fraglich sei, ob der als Europapolitiker bekanntgewordene Schulz in der Bundespolitik ankomme, sagte Strobl. Leitartikel Sonderseiten