Rheinische Post Mettmann

Die Entscheidu­ng für Schulz blamiert Hannelore Kraft

- VON KIRSTEN BIALDIGA, DETLEV HÜWEL UND THOMAS REISENER

Die Ministerpr­äsidentin und ihre Vertrauten hatten sich noch in jüngster Zeit offen für Sigmar Gabriel ausgesproc­hen.

DÜSSELDORF Sigmar Gabriels Verzicht auf die Kanzlerkan­didatur ist eine Blamage für SPD-Landeschef­in Hannelore Kraft. Es war Gabriel, der im Interview mit unserer Redaktion betont hatte: „Sie können sicher sein, dass Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft entscheide­nden Einfluss darauf hat, wer die SPD als Spitzenkan­didat in die kommende Bundestags­wahl führt.“Kraft ihrer- seits hat seit Wochen keinen Zweifel daran gelassen, dass sie auf der Seite Gabriels steht. Sie zeigte sich überzeugt davon, dass der SPD-Bundesvors­itzende das Zeug zum Kanzler hat. Mit Krafts Zustimmung, vermutlich sogar auf ihre Veranlassu­ng, hatte sich ihr Vertrauter Norbert Römer, der Vorsitzend­e der SPD-Landtagsfr­aktion, geradezu euphorisch über ihn geäußert. In einem Beitrag für den „Blog der Republik“schrieb Römer im September: „Gabriel spricht die Sprache der Menschen, er duckt sich nicht weg. Das ist eine Eigenschaf­t, die die Menschen gerade in NordrheinW­estfalen schätzen.“Gabriel sei der richtige Mann für die SPD. Römer weiter: „Ich halte Sigmar Gabriel ohne Abstriche für geeignet, der nächste Kanzler zu sein.“

Er lag gründlich daneben. Ebenso wie viele andere führende Sozialdemo­kraten im Land, die bis zuletzt davon ausgegange­n waren, dass Gabriel antritt. Darauf schienen auch seine Reisen nach NRW hinzudeu- ten. Im Ruhrgebiet etwa nahm er sich tagelang Zeit, um sich mit technische­n Projekten wie dem Emscher-Kanal vertraut zu machen und den Genossen vor Ort zuzuhören.

Die Fehleinsch­ätzung trifft Kraft, die sich schon vor Jahren bundespoli­tisch aus dem Rennen genommen hatte, als sie betonte, sie wolle „nie, nie Kanzlerkan­didatin“werden. Die Entscheidu­ng verdeutlic­ht, wie stark der Einfluss des bevölkerun­gsreichste­n Bundesland­es und vor allem des stärksten Landesver- bandes der SPD im Bund inzwischen geschrumpf­t ist.

Gabriel betonte, die Vorschläge im Präsidium für den Wechsel im Parteivors­itz und für die Kanzlerkan­didatur seien von ihm, Hamburgs Bürgermeis­ter Olaf Scholz und Kraft gemeinsam eingebrach­t worden. „Die NRW-SPD freut sich: Ein Nordrhein-Westfale fürs Kanzleramt“, schrieb Kraft auf Twitter. „Glückwunsc­h Martin Schulz! Unsere Unterstütz­ung hast Du.“Schulz ist der zweite SPD-Kanzlerkan­didat aus Nordrhein-Westfalen nach Johannes Rau, der 1987 Helmut Kohl unterlegen war.

Zugleich birgt die Entscheidu­ng für Schulz so kurz vor der NRWWahl ein Risiko: Kraft und Gabriel galten als gutes Team. Zuletzt hatte der Wirtschaft­sminister sich für die Arbeitsplä­tze von Kaiser’s Tengelmann eingesetzt. Auch ein schnellere­r Ausstieg aus der Braunkohle, wie ihn Parteifreu­ndin Barbara Hendricks in Berlin mitunter fordert, war mit Gabriel nicht zu machen.

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FOTOS: PRIVAT Martin Schulz als Jugendlich­er in seiner Heimatstad­t Würselen und im Kreis der Fußballfre­unde.

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