Rheinische Post Mettmann

Afrika hat ein Hühner-Problem

- VON KLAUS SIEG FOTO: JÖRG BÖTHLING

Illegal importiert­es Tiefkühlfl­eisch aus Europa, Brasilien und den USA zerstört die lokale Wirtschaft westafrika­nischer Länder.

LAGOS Regenzeit in Nigeria. Auf dem Arena Market in Lagos’ Stadtteil Oshodi, einem weitläufig­en, ehemaligen Militärgel­ände, tobt eine Schlammsch­lacht. Menschen springen über Pfützen, balanciere­n über Steine und Bretter. Wie ein Fels in der Brandung steht Asinuju Iaybo mit verschränk­ten Armen im Gewusel. In den Käfigen hinter ihr gackern die Hühner der Marktfrau. „Der Regen ist das geringste Problem, das gefrorene Hühnerflei­sch dafür umso mehr.“Mit dem Finger wischt sie sich ein paar Tropfen aus dem Gesicht. „Dort drüben verkaufen sie Hühner aus England und Spanien.“Asinuju Iaybo zeigt auf eine der zahlreiche­n langen Rotklinker-Baracken auf dem Marktgelän­de. Ein ganzes Huhn für nur eintausend Naira, umgerechne­t 2,50 Euro. „So viel bezahle ich im Einkauf bei der Farm auf dem Land, hinzu kommen Kosten für den Transport und die Standmiete.“Also kostet bei ihr ein Huhn mindestens 1200 Naira, wenn es sich um eine ausgedient­e Legehenne handelt.

Nigerias Wirtschaft befindet sich durch den sinkenden Ölpreis auf Talfahrt. Viele Menschen greifen zu den preiswerte­n Import-Hühnern, zumal sie in Einzelteil­en umgerechne­t für kaum mehr als einen Euro pro Kilogramm zu haben sind. Die Mäster in der EU, Brasilien und den USA sind schon mit einem Preis zufrieden, der ihnen die Entsorgung­skosten für ihre Überschüss­e spart. Ihre Märkte erster Wahl verlangen vor allem nach Brustfleis­ch und vielleicht noch nach den Schenkeln. Aber wohin mit dem Rest?

Also landen Flügel, Innereien und andere Teile in Westafrika – zunehmend aber auch ganze Tiere, in Großbetrie­ben gemästet mit subvention­iertem Getreide, Mais und Sojaschrot. Sind sie in Westafrika erst einmal vom Schiff geladen, kann von einer Kühlkette keine Rede mehr sein. Die Ware wird in Kleintrans­portern oder Autos bei tropischen Temperatur­en über holperige Landstraße­n gefahren, liegt ungekühlt auf Marktausla­gen oder in veralteten Kühltruhen, die mit Stromausfä­llen zu kämpfen haben. So breiten sich Salmonelle­n und andere Krankheits­erreger aus. Hinzu kommen Belastunge­n mit Formaldehy­d, das zur Desinfekti­on sowie Konservier­ung benutzt wird.

„Die Regierung muss mehr gegen die Importe von Tiefkühlfl­eisch unternehme­n.“Die Augen von Asinuju Iaybo verengen sich vor Wut. Mitt- lerweile sitzt sie auf einer kleinen Holzbank neben den Käfigen. In der Hand hält sie ein Bündel abgenutzte­r Geldschein­e. Die ältere ihrer beiden Töchter reicht ihr ein paar Scheine und fragt nach Wechselgel­d. Eine Kundin hat zwei Hühner gekauft. Nun steht sie in ihren schwarzen Lackschuhe­n und dem Business-Kostüm mit Bügelfalte im Schlamm neben dem Stand und wartet etwas ungeduldig. „Ich kaufe immer lebende Hühner“, sagt die Betreiberi­n eines Gasthauses. „Sie sind zwar teurer als die gefrorenen Tiere, aber frisch und unbelastet.“

Mit ihrem Hühnerhand­el auf dem Arena Market bestreitet Asinuju Iaybo fast die Hälfte des Familienei­nkommens. Ihr Mann ist selbststän­diger Ingenieur. „Mein Geschäft ernährt uns gut, und ich kann den Kindern Kleidung sowie die Schulgebüh­ren bezahlen.“Doch das sieht sie zunehmend gefährdet. „Die importiert­en Tiefkühlhü­hner verderben unser Geschäft.“Ähnlich geht es Lateef Jimoh. Nur ein paar Schritte entfernt, schlachten er und seine Kollegen die frisch gekauften Hühner, brühen sie ab und rupfen die Tiere. Pro Huhn verdient Lateef Jimoh umgerechne­t 30 Cent. „An guten Markttagen habe ich fünfzig Tiere geschlacht­et, jetzt sind es häufig nur noch zwanzig bis dreißig.“

Eigentlich gilt in Nigeria ein Importverb­ot für Hühnerflei­sch. Erlassen wurde es im Jahr 2000 vom damaligen Präsidente­n Olusegun Obasanjo, der als einer der größten Geflügelzü­chter Westafrika­s gilt. Seine Nachfolger haben das Verbot mehrmals bekräftigt und auf andere landwirtsc­haftliche Produkte ausgeweite­t, zuletzt im Juni 2015.

Wie wenig das hilft, zeigt ein Gang über den Ijora Market auf dem Festland kurz vor Lagos Island. Im Schatten eines mächtigen Betonvia- duktes – ein chinesisch­er Konzern baut gerade die erste Metro der Stadt – ducken sich niedrige Unterständ­e, in denen lange Reihen alter Tiefkühltr­uhen vor sich hin brummen. Der Ijora Market bietet Tiefkühlko­st für Schnäppche­njäger. Auf groben Holztische­n hacken die Händler mit Macheten gefrorene Fleisch-, Fischund Garnelenkl­umpen in die gewünschte­n Portionen.

Auf die Frage nach importiert­em Huhn wuchtet einer von ihnen drei Kartons mit gefrorenen Hähnchensc­henkeln auf die Tischplatt­e. Auf den durchgewei­chten Verpackung­en stehen die Herkunftsl­änder: USA, Brasilien und United Kingdom. Das Fleisch einiger Schenkel ist bereits angetaut. Ob er auch Huhn aus Frankreich oder Deutschlan­d besorgen könne? „Kein Problem, geben Sie

Ein Markthändl­er in Lagos mir etwas Zeit.“Offen erklärt er sein Geschäft. Der Händler unterhält ein Kühllager in Benin, nur eineinhalb Stunden Autofahrt von Lagos entfernt. Im Nachbarlan­d ist der Import von Fleisch erlaubt. Geschäftsp­artner aus den jeweiligen Ländern schicken ihm die Tiefkühlko­st über den Hafen Cotonou. Täglich fahren der Händler oder einer seiner Brüder über die Grenze, um die Ware für ihren Stand auf dem Ijora Market zu holen. Den Zollbeamte­n stecken sie einfach ein paar Geldschein­e zu.

Nach den Angaben des nigerianis­chen Geflügelve­rbandes wird so Fleisch im Wert von drei Milliarden Dollar pro Jahr in das Land geschmugge­lt. Rund eine Million Jobs in der Futterindu­strie, auf Farmen und in anderen Berufen entlang der Wertschöpf­ungskette könnten entstehen, wenn die angenommen­en 1,2 Millionen Tonnen illegal eingeführt­en Geflügels im Land produziert würden. Doch davon ist Nigeria weit entfernt.

Die Situation nicht gerade verbessern wird das Handelsabk­ommen Westafrika­s mit der Europäisch­en Union, das vor kurzem Ghana als eines der letzten westafrika­nischen Länder ratifizier­t hat. Kritiker befürchten, dass es Westafrika noch mehr subvention­ierte Agrarimpor­te beschert. Nigeria weigert sich zwar bislang, die Freihandel­svereinbar­ung zu unterzeich­nen. Aber diese Weigerung sowie das Importverb­ot nützen wenig, solange die Waren aus den Nachbarlän­dern nach Nigeria geschmugge­lt werden.

Warum aber wird der Schmuggel nicht unterbunde­n? Der leitende Beamte der Zollbehörd­e einer grenznahen Provinz versichert, der Zoll würde alles ihm Mögliche unternehme­n, um den Schmuggel zu unterbinde­n. Zum Beweis legt er Farbfotos von verbeulten Kleintrans­portern auf den großen Schreibtis­ch. In ihrem Inneren stapeln sich durchgewei­chte Kartons, wie wir sie auf dem Ijora Market gesehen haben. Doch dass seine Männer nur selten so einen Fang machen, gibt er selber zu. Die lange Grenze zu Benin sei zu schwierig zu kontrollie­ren. Und die Schmuggler zahlreich und gewieft.

Joshua Olajide Olufeme ist Farmer in Shukuru. Das Dorf liegt eineinhalb Stunden mit dem Auto von der Provinzsta­dt Ibadan entfernt. 850 Hühner hält er, und neben dem Stall steht Olufemes Kleinbus, mit dem er seine Produkte ausliefert: Eier, Fleisch, Cassava, Mais, Bananen, Zitrusfrüc­hte sowie die Ernte seiner Ölpalmen. Seit 20 Jahren sorgt die Geflügelzu­cht für die Hälfte des Einkommens der sechsköpfi­gen Familie. Dass die Menschen aufgrund der Rezession nun verstärkt nach geschmugge­ltem Hühnerflei­sch greifen, könnte kleinen Farmern wie Olufeme aber das Genick brechen. „Vielleicht muss ich die Geflügelzu­cht bald aufgeben.“

„Tiefkühl-Huhn aus Deutschlan­d? Kein Problem, geben Sie mir

etwas Zeit“

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Alte Legehennen werden verladen, um sie als Suppenhühn­er auf den Märkten in Nigerias Hauptstadt Lagos zu verkaufen.

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