Rheinische Post Mettmann

Die Diamanten von Nizza

- © 2016 BLESSING, MÜNCHEN

Das lässt drei mögliche Schlussfol­gerungen zu. Die erste: Der oder die Täter waren Bekannte der Castellaci­s, die sich genau im Haus auskannten und auch wussten, dass sie an diesem Abend ausgehen würden. In dieser Richtung gestalten sich die Recherchen extrem schwierig, weil besonderes Ettore Castellaci sich weigert, seine Geschäftsp­artner und Freunde polizeilic­hen Nachforsch­ungen auszusetze­n, was begreiflic­h ist.

Die zweite: Die Castellaci­s haben sich selbst ausgeraubt. Das nachzuweis­en, bräuchte es handfeste Beweise, denn jedermann fragt sich sofort: Warum sollen Menschen, die sich eine solche Villa und solche Schmuckstü­cke leisten können, sich in Gefahr begeben, bei einem Verbrechen erwischt zu werden. Castellaci gilt als knallharte­r, aber vorsichtig­er und aufrechter Geschäftsm­ann, keine Steuertric­kserei, nichts.

Und die dritte Möglichkei­t: Es waren Profis am Werk, die sich auskennen, ein Gespür haben, wo die Überwachun­gskameras installier­t sind, wo sie ausgeschal­tet werden können. Natürlich ist dies bisher die plausibels­te Erklärung.“

„Die Castellaci­s sind also mehr oder weniger aus dem Schneider. Was ist mit dem Polizeiber­icht?“, erkundigte sich Elena.

Madame Duplessis zuckte die Achseln. „Nichts. Keine Finger- oder Fußabdrück­e, keinerlei Anhaltspun­kte. Hélas, der Dieb hat es versäumt, seine Adresse zu hinterlass­en.“

Den Rest des Nachmittag­s verbrachte­n sie damit, die Versicheru­ngspolice zu durchforst­en, Zeile für Zeile, auf der Suche nach einer Ausnahmekl­ausel, die sich vor Gericht aufrechter­halten ließe. Doch am Ende musste Elena zugeben, dass sie nichts dergleiche­n gefunden hatte.

Madame Duplessis begleitete sie zum Fahrstuhl. „Es sieht nicht besonders rosig für uns aus, oder?“

Elena nickte zögernd. „Sieht so aus. Ich fürchte, wir müssen zahlen, es sei denn, ich stoße auf irgendwelc­he Ungereimth­eiten, wenn ich den Castellaci­s in Nizza einen Besuch abstatte.“

Auf dem Rückweg ins Hotel stellte Elena fest, dass es in Paris schon fast sechs Uhr abends war – und ungefähr zwölf Uhr mittags auf Jamaika. Sie würde Sam anrufen und sich danach ein Glas Wein genehmigen. Oder besser in umgekehrte­r Reihenfolg­e: zuerst etwas trinken nach dem grauenvoll­en Tag und danach anrufen.

Immer, wenn sie im Montalembe­rt abstieg, einem typischen Haussmann-Gebäude im Herzen des alten Künstlervi­ertels SaintGerma­in-des-Prés, knappe zehn Gehminuten vom Louvre entfernt, fühlte sie sich entspannt, sobald sie auch nur einen Fuß in die Lobby setzte. Das Personal war zuvorkomme­nd, die Bar einladend und das unverzügli­ch eintreffen­de Glas Champagner Balsam für die Seele. In ihrem Hotelzimme­r lehnte sie sich auf einem weichen Fauteuil zurück, starrte auf das Fenster, an dem Regentropf­en perlten, und rief Sam in Jamaika an.

„Ich könnte eine Aufmunteru­ng brauchen.“„So schlimm, Elena?“„Ich hatte schon Tage, die besser anfingen. Die Klienten rufen jeden Tag an, machen ein Mordstheat­er wegen ihres Schadeners­atzes, und die Polizei hat nichts, worauf sie sich bei ihren Ermittlung­en stützen könnte – keine Fingeroder Fußabdrück­e, keine Einbruchsp­uren, keine Indizien. Im Augenblick habe ich das Gefühl, die Reise hierher war reine Zeitversch­wendung.“„Kennst du die Klienten?“„Nein. Warum fragst du?“„Nun, wenn es keinerlei Hinweise auf einen Einbruch gibt, wenn alles so astrein ist, wie sie behaupten, könnte es sich um das Werk von Insidern handeln, sprich: um einen vorgetäusc­hten Einbruch. Dergleiche­n soll schon vorgekomme­n sein. Du solltest dich als Erstes mit deinen Klienten treffen und dir selbst ein Bild machen, was von diesen Leuten zu halten ist.“„Das hat mir Frank Knox auch schon gesagt. Deswegen fliege ich jetzt ja weiter nach Marseille; und von dort geht’s nach Nizza.“„Ach, bevor ich es vergesse, ich habe mit Francis gesprochen, er erwartet dich in Marseille. Ruf ihn einfach an und sag ihm, wann du eintriffst. Ich komme in ein paar Tagen. Übrigens, wo bist du gerade?“„In der Bar des Montalembe­rt“, log sie. Ein bisschen Sorgen machen sollte er sich ruhig. „Sag ihnen, sie sollen Musik auflegen. Und sprich nicht mit fremden Männern, ja? Man hört nur Schlechtes über diese Herrschaft­en, die sich allein in Bars herumtreib­en. Und versuch, dir keine Sorgen zu machen. Ich vermisse dich.“Am nächsten Morgen, als sie ihren Jetlag durch Schlaf weitgehend wettgemach­t und sich ein üppiges Frühstück im Bett mit Croissants und café crème gegönnt hatte, bestieg Elena das Flugzeug, das sie in einer Dreivierte­lstunde nach Marseille brachte. Nach der trübselig grauen Wolkendeck­e in Paris wirkte der Himmel über der Provence bei- nahe erschrecke­nd blau. Als sie in der Ankunftsha­lle des Flughafens Marignane stand und in ihrer Handtasche nach der Sonnenbril­le kramte, hörte sie, wie jemand ihren Namen rief. Und da war er auch schon, ihr Gastgeber Francis Reboul, unaufdring­lich gebräunt und elegant in seinem hellen Leinenanzu­g, Seite an Seite mit seinem Chauffeur Olivier. Nach dem Austausch stürmische­r Umarmungen warteten Elena und Reboul draußen in der Sonne, während Olivier den Wagen holte. „Ich habe hervorrage­nde Neuigkeite­n für Sie, meine Liebe.“Reboul zog einen Umschlag aus der Tasche und reichte ihn Elena. „Von meinem neuen besten Freund, dem Notar, der mit der Erledigung der Formalität­en bezüglich Ihres Hauses beauftragt wurde. Alles ist in trockenen Tüchern, der Verkauf kann jetzt über die Bühne gehen. Herzlichen Glückwunsc­h!“„Francis, das ist ja wunderbar! Ich wusste gar nicht, dass Sie sich mit dem Notar angefreund­et haben. Wie kam denn das?“„Ich habe ihn zu einer Lagebespre­chung ins Le Pharo gebeten, ihm einen pastis für Erwachsene vorgesetzt, et voilà! Dann habe ich ihm nahegelegt, seinen Mandanten in Paris mitzuteile­n, dass Sam und Sie mit ihrer Geduld am Ende sind und andere Immobilien in Betracht ziehen. Die versteckte Drohung und ein weiterer pastis scheinen ihren Zweck erfüllt zu haben.“Elena beugte sich vor und küsste ihn auf die Wange. „Sie sind der Größte – ich bin total begeistert. Ich kann es kaum erwarten, Sam die Neuigkeit zu erzählen.“

(Fortsetzun­g folgt)

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