Der perfekte Schnitt
In Solingen sitzt United Salon Technologies, der weltbeste Hersteller von Friseurscheren. Ein gutes Exemplar kann leicht mehr als 1000 Euro kosten. Dafür bleibt es auch bei einer Million Schnitten verlässlich scharf.
SOLINGEN Egal, ob Mann oder Frau – wenn Sie das hier gelesen haben und das nächste Mal zum Friseur gehen, werden Sie ihm haarscharf auf die Finger schauen. Oder vielmehr auf seine Schere. Denn die ist so ganz anders als alles, was Sie bisher unter dem Begriff „Schere“kennengelernt oder benutzt haben – ein Stück Hightech aus Stahl, ergonomisch ausgetüftelt bis ins kleinste Detail, von Fachleuten weitgehend in Handarbeit erstellt – und, vor allem, ist sie sehr teuer.
„Manchmal verwenden wir besondere Stähle, wie sie auch für einen Marsflug genutzt wer
den könnten“
Produktmanager Uwe Schlichting
Eine gute Friseurschere kann locker weit über 1000 Euro kosten. Und sie ist jeden Cent davon wert, sagt Friseur Dominic, der in den Düsseldorfer Schadow Arkaden bei der Image-Hair-Group Frauen- und Männerhaare wäscht, schneidet, föhnt und legt. Regelrecht liebevoll schaut er dabei auf sein Werkzeug, lässt es auf- und zuschnippen und zeigt die Leichtigkeit, mit der die Schneiden gegeneinander laufen und die Haare kürzen.
Der Hersteller dieses Werkzeugs sitzt – wo sonst – in Solingen. Dort fusionierten vor einigen Jahren die beiden Hersteller Jaguar und Tondeo zur United Salon Technologies und machen seitdem gemeinsam das, was sie seit Jahrzehnten jeder für sich schon gemacht haben: Das Werkzeug von Friseuren bauen. Derzeit sind sie weltweit an der Spitze der Hersteller, Konkurrenz kommt, wenn überhaupt, nur aus Japan.
Die Produktion in der vergleichsweise kleinen Fabrik im Solinger Stadtteil Gräfrath mit 3000 Stück am Tag ist das typische Beispiel bergischer Metallverarbeitung. Seit hunderten von Jahren ist sie in der Region tief verwurzelt, bei den Menschen hat man den Eindruck, es liegt in ihren Genen, Stahl zu formen und aus dem Metall alles das zu machen, was schneiden soll. Und zwar möglichst scharf. Einst war das Bergische Land die Waffenschmiede der Region, heute hat es einen weltweit anerkannten Ruf bei der Produktion von allem, was sehr gut (ab-)schneidet.
Uwe Schlichting (57), Produktmanager der Firma, kennt seine Produkte bis ins Detail. „Manchmal verwenden wir besondere Stähle, wie sie auch für einen Marsflug ge- nutzt werden könnten.“Was er damit meint: Die Qualität des Materials hat oberste Priorität bei der Produktion, es geht um Bruchteile von Millimetern, es geht um Schärfegrade, und es geht, nicht zuletzt, um Gewicht.
Denn beim Haareschneiden ist die Kraft, die man aufwendet, um sein Werkzeug zu bewegen, das Maß aller Dinge. Pro Haarschnitt werden die beiden Schneiden im Durchschnitt 500 Mal hin und her bewegt. Und das bei zehn bis 20 Kunden pro Tag. Im Jahr addiert sich das auf rund eine Million dieser Bewegungen mit einer Hand, vielmehr: mit einigen Fingern. Der Druck, den man bei jeder Bewegung überwinden muss, ist bei einer guten Schere rund 50 Gramm schwer. Leicht hochzurechnen, wie viele Tonnen pro Jahr zu bewegen sind. Ist die Schere schlecht, stumpft sie zu schnell ab, wächst dieser Druck immer mehr, das Gewicht summiert sich und geht, buchstäblich, auf die Knochen. Es ist also keine Haarspalterei, wenn das Unternehmen mit seinen 200 Mitarbeitern (120 in der Produktion) darauf achtet, wie präzise die Metallteile aus bestem Stahl bearbeitet und zusammen gefügt werden.
120 Arbeitsgänge dauert es, bis so ein Meisterwerk fertig ist. Und der Besucher staunt, wenn am Ende das scheinbar vollkommene Stück doch noch nachjustiert und mit verschiedenen Hämmern sehr vorsichtig, sanft klopfend, perfektioniert wird. Über Jahre erlerntes Können, Fingerspitzengefühl und ein gutes Auge – damit wird das Produkt schließlich fertig, das den Solingern einen weltweiten Spitzenplatz bei der Produktion dieser speziellen Scheren gesichert hat. Den- noch kennt außerhalb der Haarpflegebranche kaum einer den Namen Tondeo Jaguar oder United Salon Technologies. „Wir gehören zu den Hidden Champions,“sagt Geschäftsführer Christian Strasoldo (55).
In der Spitze zu bleiben, funktioniert nur mit einer Spitzen-Crew. Der Scherenpolierer Ralf Zimmermann (62) macht seinen Job seit 48 Jahren und pocht auf die Erfahrung, die ihn spüren lässt, wo das glänzende Stück, das er in den Händen hält, noch nicht ausreichend glatt ist. Yüksel Eliacik (48), ebenfalls sehr lange dabei, beschreibt es so: „Sieht einfach aus, ist aber kompliziert!“Scherenschleifer Kai vom Hofe (51), der – für den Zuschauer unsichtbare – kleine Unebenheiten weghäm- mert oder -feilt, antwortet auf die Frage, wie diese winzigen Ecken und Kanten denn überhaupt wahrzunehmen sind: „Das fühle ich, das sehe ich!“
Aber jedes Durchtrennen des Haares hat auch Nachteile. Weil Haare wie feine Röhren sind, ist die Schnittstelle offen, und franst aus. Der berüchtigte und bei Frauen mit langen Haaren gefürchtete Spliss kann entstehen. Dagegen haben die Fachleute der Firma nun eine Schere entwickelt, die das unterbindet: Sie schneidet nicht nur, sie verschmilzt die Schnittstelle mit Hitze, dichtet sie so ab.
Wie man es schafft, nur die Bruchteile von Millimetern breite Schneide der Schere mit Strom zu erhitzen, während der Rest kühl bleibt, ist ein Firmengeheimnis. Bei den weiblichen Kunden, so verkünden es Umfragen, schneidet die neue Technik namens „Carecut“jedenfalls sehr gut ab.
Die Arbeit mit stumpfen Scheren geht Friseuren mit jedem Haarschnitt buchstäblich auf die Knochen